Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite
69.
Die schlanken Seiten, wie ein Spiegel eben
Der reine Leib, und diese weißen Lenden,
Mit Fleiß gebildet schienen sie zu leben
Aus Phidias, ja größrer Meister Händen.
Auch jene Reize muß ich noch erheben,
Die sie umsonst den Blicken will entwenden.
Kurz, von dem Haupt bis zu den Füßen nieder
Enthüllen alle Schönheit ihre Glieder.
70.
Wenn sie der Phryger Hirt auf Jda's Weiden
Gesehen hätte, weiß ich nicht zu sagen,
Ob Venus, übertraf sie gleich die beyden
Göttinnen, wohl den Preis davon getragen.
Vielleicht hätt' ihn, das Gastrecht zu verleiden,
Verbotne Lust nach Sparta nicht verschlagen.
Er hätte wohl gesagt: bleib, Helena,
Beym Menelaus! Jch will diese da.
71.
Und wäre sie in Kroton einst gewesen,
Als Zeuxis jenes Bildniß unternahm
Für Juno's Tempel, als von ihm erlesen
Der schönsten Zahl entkleidet zu ihm kam,
Und er, zu schaffen ein vollkommnes Wesen,
Von dieser eins, von jener andres nahm:
Er durfte nur von ihr allein entlehnen,
Er fand in ihr den Jnbegriff der Schönen.
69.
Die schlanken Seiten, wie ein Spiegel eben
Der reine Leib, und diese weißen Lenden,
Mit Fleiß gebildet schienen sie zu leben
Aus Phidias, ja groͤßrer Meister Haͤnden.
Auch jene Reize muß ich noch erheben,
Die sie umsonst den Blicken will entwenden.
Kurz, von dem Haupt bis zu den Fuͤßen nieder
Enthuͤllen alle Schoͤnheit ihre Glieder.
70.
Wenn sie der Phryger Hirt auf Jda's Weiden
Gesehen haͤtte, weiß ich nicht zu sagen,
Ob Venus, uͤbertraf sie gleich die beyden
Goͤttinnen, wohl den Preis davon getragen.
Vielleicht haͤtt' ihn, das Gastrecht zu verleiden,
Verbotne Lust nach Sparta nicht verschlagen.
Er haͤtte wohl gesagt: bleib, Helena,
Beym Menelaus! Jch will diese da.
71.
Und waͤre sie in Kroton einst gewesen,
Als Zeuxis jenes Bildniß unternahm
Fuͤr Juno's Tempel, als von ihm erlesen
Der schoͤnsten Zahl entkleidet zu ihm kam,
Und er, zu schaffen ein vollkommnès Wesen,
Von dieser eins, von jener andres nahm:
Er durfte nur von ihr allein entlehnen,
Er fand in ihr den Jnbegriff der Schoͤnen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0282" n="272"/>
              <lg n="69">
                <head> <hi rendition="#c">69.</hi> </head>
                <l>Die schlanken Seiten, wie ein Spiegel eben</l><lb/>
                <l>Der reine Leib, und diese weißen Lenden,</l><lb/>
                <l>Mit Fleiß gebildet schienen sie zu leben</l><lb/>
                <l>Aus Phidias, ja gro&#x0364;ßrer Meister Ha&#x0364;nden.</l><lb/>
                <l>Auch jene Reize muß ich noch erheben,</l><lb/>
                <l>Die sie umsonst den Blicken will entwenden.</l><lb/>
                <l>Kurz, von dem Haupt bis zu den Fu&#x0364;ßen nieder</l><lb/>
                <l>Enthu&#x0364;llen alle Scho&#x0364;nheit ihre Glieder.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="70">
                <head> <hi rendition="#c">70.</hi> </head>
                <l>Wenn sie der Phryger Hirt auf Jda's Weiden</l><lb/>
                <l>Gesehen ha&#x0364;tte, weiß ich nicht zu sagen,</l><lb/>
                <l>Ob Venus, u&#x0364;bertraf sie gleich die beyden</l><lb/>
                <l>Go&#x0364;ttinnen, wohl den Preis davon getragen.</l><lb/>
                <l>Vielleicht ha&#x0364;tt' ihn, das Gastrecht zu verleiden,</l><lb/>
                <l>Verbotne Lust nach Sparta nicht verschlagen.</l><lb/>
                <l>Er ha&#x0364;tte wohl gesagt: bleib, Helena,</l><lb/>
                <l>Beym Menelaus! Jch will diese da.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="71">
                <head> <hi rendition="#c">71.</hi> </head>
                <l>Und wa&#x0364;re sie in Kroton einst gewesen,</l><lb/>
                <l>Als Zeuxis jenes Bildniß unternahm</l><lb/>
                <l>Fu&#x0364;r Juno's Tempel, als von ihm erlesen</l><lb/>
                <l>Der scho&#x0364;nsten Zahl entkleidet zu ihm kam,</l><lb/>
                <l>Und er, zu schaffen ein vollkommnès Wesen,</l><lb/>
                <l>Von dieser eins, von jener andres nahm:</l><lb/>
                <l>Er durfte nur von ihr allein entlehnen,</l><lb/>
                <l>Er fand in ihr den Jnbegriff der Scho&#x0364;nen.</l>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0282] 69. Die schlanken Seiten, wie ein Spiegel eben Der reine Leib, und diese weißen Lenden, Mit Fleiß gebildet schienen sie zu leben Aus Phidias, ja groͤßrer Meister Haͤnden. Auch jene Reize muß ich noch erheben, Die sie umsonst den Blicken will entwenden. Kurz, von dem Haupt bis zu den Fuͤßen nieder Enthuͤllen alle Schoͤnheit ihre Glieder. 70. Wenn sie der Phryger Hirt auf Jda's Weiden Gesehen haͤtte, weiß ich nicht zu sagen, Ob Venus, uͤbertraf sie gleich die beyden Goͤttinnen, wohl den Preis davon getragen. Vielleicht haͤtt' ihn, das Gastrecht zu verleiden, Verbotne Lust nach Sparta nicht verschlagen. Er haͤtte wohl gesagt: bleib, Helena, Beym Menelaus! Jch will diese da. 71. Und waͤre sie in Kroton einst gewesen, Als Zeuxis jenes Bildniß unternahm Fuͤr Juno's Tempel, als von ihm erlesen Der schoͤnsten Zahl entkleidet zu ihm kam, Und er, zu schaffen ein vollkommnès Wesen, Von dieser eins, von jener andres nahm: Er durfte nur von ihr allein entlehnen, Er fand in ihr den Jnbegriff der Schoͤnen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/282
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/282>, abgerufen am 17.06.2024.