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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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Louise. Nicht wahr? Sie hätten mir so vie Ruhe und Gründlichkeit gar nicht zugetraut?

Waller. Jch weiß nicht, warum uns Holbein so sehr alt vorkommt, da er doch grade in der blühendsten Periode der Jtaliänischen Kunst lebte. Bey seinem Vorgänger Albrecht Dürer, der auch Zeitgenosse Raphaels war, ist dieß in noch weit höherem Grade der Fall. Jst es den deutschen Mahlern etwa ergangen, wie dem Weibe und den Töchtern des Baseler Bürgermeisters?

Reinhold. Sogar alterthümlich finde ich das Ansehen von Holbeins Werken nicht: sie stehen darin ungefähr auf einer Stufe mit denen des Leonardo da Vinci, der freylich erst als Greis das neue Künstlergeschlecht aufblühen sah. Auch in der Art des Fleißes sind sie zu vergleichen. Stellen Sie nur das Bildniß eines Mailändischen Herzogs von Leonardo, und Holbeins Heinrich den achten von England neben einander.

Louise. Still vom Leonardo! Sie möchten mir vorwegnehmen, was ich von ihm sagen will. Vorher noch einige andre Beschreibungen.

Waller. Sie sparen das Liebste bis zuletzt.

Louise. Jch bin Kind genug dazu.

"Es giebt unter den christlichen Sagen manche Gegenstände für den Mahler, die eben durch ihre Einfachheit reich sind, weil er sie sich denken kann, wie er will. So ist bey der Flucht nach Egypten, und der Ruhe während derselben nichts vorgeschrieben, als die holde Mutter und das Kind, ihren alten väterlichen

Louise. Nicht wahr? Sie haͤtten mir so vie Ruhe und Gruͤndlichkeit gar nicht zugetraut?

Waller. Jch weiß nicht, warum uns Holbein so sehr alt vorkommt, da er doch grade in der bluͤhendsten Periode der Jtaliaͤnischen Kunst lebte. Bey seinem Vorgaͤnger Albrecht Duͤrer, der auch Zeitgenosse Raphaels war, ist dieß in noch weit hoͤherem Grade der Fall. Jst es den deutschen Mahlern etwa ergangen, wie dem Weibe und den Toͤchtern des Baseler Buͤrgermeisters?

Reinhold. Sogar alterthuͤmlich finde ich das Ansehen von Holbeins Werken nicht: sie stehen darin ungefaͤhr auf einer Stufe mit denen des Leonardo da Vinci, der freylich erst als Greis das neue Kuͤnstlergeschlecht aufbluͤhen sah. Auch in der Art des Fleißes sind sie zu vergleichen. Stellen Sie nur das Bildniß eines Mailaͤndischen Herzogs von Leonardo, und Holbeins Heinrich den achten von England neben einander.

Louise. Still vom Leonardo! Sie moͤchten mir vorwegnehmen, was ich von ihm sagen will. Vorher noch einige andre Beschreibungen.

Waller. Sie sparen das Liebste bis zuletzt.

Louise. Jch bin Kind genug dazu.

“Es giebt unter den christlichen Sagen manche Gegenstaͤnde fuͤr den Mahler, die eben durch ihre Einfachheit reich sind, weil er sie sich denken kann, wie er will. So ist bey der Flucht nach Egypten, und der Ruhe waͤhrend derselben nichts vorgeschrieben, als die holde Mutter und das Kind, ihren alten vaͤterlichen

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[76/0084] Louise. Nicht wahr? Sie haͤtten mir so vie Ruhe und Gruͤndlichkeit gar nicht zugetraut? Waller. Jch weiß nicht, warum uns Holbein so sehr alt vorkommt, da er doch grade in der bluͤhendsten Periode der Jtaliaͤnischen Kunst lebte. Bey seinem Vorgaͤnger Albrecht Duͤrer, der auch Zeitgenosse Raphaels war, ist dieß in noch weit hoͤherem Grade der Fall. Jst es den deutschen Mahlern etwa ergangen, wie dem Weibe und den Toͤchtern des Baseler Buͤrgermeisters? Reinhold. Sogar alterthuͤmlich finde ich das Ansehen von Holbeins Werken nicht: sie stehen darin ungefaͤhr auf einer Stufe mit denen des Leonardo da Vinci, der freylich erst als Greis das neue Kuͤnstlergeschlecht aufbluͤhen sah. Auch in der Art des Fleißes sind sie zu vergleichen. Stellen Sie nur das Bildniß eines Mailaͤndischen Herzogs von Leonardo, und Holbeins Heinrich den achten von England neben einander. Louise. Still vom Leonardo! Sie moͤchten mir vorwegnehmen, was ich von ihm sagen will. Vorher noch einige andre Beschreibungen. Waller. Sie sparen das Liebste bis zuletzt. Louise. Jch bin Kind genug dazu. “Es giebt unter den christlichen Sagen manche Gegenstaͤnde fuͤr den Mahler, die eben durch ihre Einfachheit reich sind, weil er sie sich denken kann, wie er will. So ist bey der Flucht nach Egypten, und der Ruhe waͤhrend derselben nichts vorgeschrieben, als die holde Mutter und das Kind, ihren alten vaͤterlichen

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/84>, abgerufen am 21.11.2024.