Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.eine lichte Stelle des Baumes fällt ein Schein auf den Umriß seines Kopfes und Bartes, der sich dadurch in der blauen Luft gleich einem halben Monde zeichnet. Auch dieß ist ein Spiel, aber man ist geneigt, es der freundlichen Laune des Mahlers nachzusehen. Die Engel zeigen sich in den mannichfaltigsten Wendungen, einige kommen noch durch die Lüfte und bringen Aehren und dergleichen herbey: sie bevölkern den Baum wie paradiesische Vögel; denkt man sie sich singend, wie man es bey ihrer Lebendigkeit wohl könnte, so wird aus dem Gemählde ein rauschendes Allegro; die Ruhe verschwindet ganz, die Flucht wird nur durch des Reisebündel angedeutet, und der Esel erscheint bloß in der Ferne, wo ihn ein schalkhalftes geflügeltes Bübchen auf dle Weide führt. Die gemeine Wahrheit, die sterbliche Sorge ist davon, aber gewiß ist das Ganze weit poetischer gedacht, wenn es gleich keinen großen Charakter hat. Maria ist nicht die göttliche Mutter, sie ist eine reizende Nymphe, dort ein Mühebeladnes Weib. Wie schön und edel ließe sich diese Lücke ausfüllen! Hier ist eine gar zierliche Anbetung der Könige, auch dem Maaßstabe nach, denn die vordersten Figuren sind nur etwa fünf Zoll hoch. Welche ausdrucksvolle nette Köpfchen und artige Anordnung! Maria sitzt linker Hand auf den Stufen ihrer gleich einem Tempel verzierten Wohnung; Joseph kniet tiefer neben ihr. Er lehnt sich auf seinen Stab nach ihr hin und beschaut das Püppchen auf ihrem Schooß, als eine lichte Stelle des Baumes faͤllt ein Schein auf den Umriß seines Kopfes und Bartes, der sich dadurch in der blauen Luft gleich einem halben Monde zeichnet. Auch dieß ist ein Spiel, aber man ist geneigt, es der freundlichen Laune des Mahlers nachzusehen. Die Engel zeigen sich in den mannichfaltigsten Wendungen, einige kommen noch durch die Luͤfte und bringen Aehren und dergleichen herbey: sie bevoͤlkern den Baum wie paradiesische Voͤgel; denkt man sie sich singend, wie man es bey ihrer Lebendigkeit wohl koͤnnte, so wird aus dem Gemaͤhlde ein rauschendes Allegro; die Ruhe verschwindet ganz, die Flucht wird nur durch des Reisebuͤndel angedeutet, und der Esel erscheint bloß in der Ferne, wo ihn ein schalkhalftes gefluͤgeltes Buͤbchen auf dle Weide fuͤhrt. Die gemeine Wahrheit, die sterbliche Sorge ist davon, aber gewiß ist das Ganze weit poetischer gedacht, wenn es gleich keinen großen Charakter hat. Maria ist nicht die goͤttliche Mutter, sie ist eine reizende Nymphe, dort ein Muͤhebeladnes Weib. Wie schoͤn und edel ließe sich diese Luͤcke ausfuͤllen! Hier ist eine gar zierliche Anbetung der Koͤnige, auch dem Maaßstabe nach, denn die vordersten Figuren sind nur etwa fuͤnf Zoll hoch. Welche ausdrucksvolle nette Koͤpfchen und artige Anordnung! Maria sitzt linker Hand auf den Stufen ihrer gleich einem Tempel verzierten Wohnung; Joseph kniet tiefer neben ihr. Er lehnt sich auf seinen Stab nach ihr hin und beschaut das Puͤppchen auf ihrem Schooß, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0088" n="80"/> eine lichte Stelle des Baumes faͤllt ein Schein auf den Umriß seines Kopfes und Bartes, der sich dadurch in der blauen Luft gleich einem halben Monde zeichnet. Auch dieß ist ein Spiel, aber man ist geneigt, es der freundlichen Laune des Mahlers nachzusehen. Die Engel zeigen sich in den mannichfaltigsten Wendungen, einige kommen noch durch die Luͤfte und bringen Aehren und dergleichen herbey: sie bevoͤlkern den Baum wie paradiesische Voͤgel; denkt man sie sich singend, wie man es bey ihrer Lebendigkeit wohl koͤnnte, so wird aus dem Gemaͤhlde ein rauschendes Allegro; die Ruhe verschwindet ganz, die Flucht wird nur durch des Reisebuͤndel angedeutet, und der Esel erscheint bloß in der Ferne, wo ihn ein schalkhalftes gefluͤgeltes Buͤbchen auf dle Weide fuͤhrt. Die gemeine Wahrheit, die sterbliche Sorge ist davon, aber gewiß ist das Ganze weit poetischer gedacht, wenn es gleich keinen großen Charakter hat. Maria ist nicht die goͤttliche Mutter, sie ist eine reizende Nymphe, dort ein Muͤhebeladnes Weib. Wie schoͤn und edel ließe sich diese Luͤcke ausfuͤllen!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Hier ist eine gar zierliche Anbetung der Koͤnige, auch dem Maaßstabe nach, denn die vordersten Figuren sind nur etwa fuͤnf Zoll hoch. Welche ausdrucksvolle nette Koͤpfchen und artige Anordnung! Maria sitzt linker Hand auf den Stufen ihrer gleich einem Tempel verzierten Wohnung; Joseph kniet tiefer neben ihr. Er lehnt sich auf seinen Stab nach ihr hin und beschaut das Puͤppchen auf ihrem Schooß, als </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0088]
eine lichte Stelle des Baumes faͤllt ein Schein auf den Umriß seines Kopfes und Bartes, der sich dadurch in der blauen Luft gleich einem halben Monde zeichnet. Auch dieß ist ein Spiel, aber man ist geneigt, es der freundlichen Laune des Mahlers nachzusehen. Die Engel zeigen sich in den mannichfaltigsten Wendungen, einige kommen noch durch die Luͤfte und bringen Aehren und dergleichen herbey: sie bevoͤlkern den Baum wie paradiesische Voͤgel; denkt man sie sich singend, wie man es bey ihrer Lebendigkeit wohl koͤnnte, so wird aus dem Gemaͤhlde ein rauschendes Allegro; die Ruhe verschwindet ganz, die Flucht wird nur durch des Reisebuͤndel angedeutet, und der Esel erscheint bloß in der Ferne, wo ihn ein schalkhalftes gefluͤgeltes Buͤbchen auf dle Weide fuͤhrt. Die gemeine Wahrheit, die sterbliche Sorge ist davon, aber gewiß ist das Ganze weit poetischer gedacht, wenn es gleich keinen großen Charakter hat. Maria ist nicht die goͤttliche Mutter, sie ist eine reizende Nymphe, dort ein Muͤhebeladnes Weib. Wie schoͤn und edel ließe sich diese Luͤcke ausfuͤllen!
Hier ist eine gar zierliche Anbetung der Koͤnige, auch dem Maaßstabe nach, denn die vordersten Figuren sind nur etwa fuͤnf Zoll hoch. Welche ausdrucksvolle nette Koͤpfchen und artige Anordnung! Maria sitzt linker Hand auf den Stufen ihrer gleich einem Tempel verzierten Wohnung; Joseph kniet tiefer neben ihr. Er lehnt sich auf seinen Stab nach ihr hin und beschaut das Puͤppchen auf ihrem Schooß, als
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