Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.ein Knabe oder eine junge Näherin erzählen Schalkheiten, womit sich eine unschuldige Liebschaft anspinnt, ein Bauernbursch sagt einer wassertragenden Magd allerley artiges, und dergleichen mehr. -- Das Lied ist zu eigentlicher Mimik nicht die geschickteste Form, wenigstens muß alsdann der musikalische Ausdruck den Abgang an der Unmittelbarkeit des mimischen ersetzen, und dieß kann durch keine Behandlung erlangt werden, wenn sich der Stoff nicht dazu eignet. So verdienstlich das Ergreifen der gemeinsten Naturen in ihrer ganzen Beschränktheit im Zusammenhange eines Romans oder Schauspiels seyn kann, so wenig sagt er uns zu, wo sie für sich allein etwas bedeuten sollen; in einem lyrischen Gedicht erwarten wir schöne oder wenigstens anziehende Jndividualität. Allein wenn jenes recht gelungen seyn sollte, so müßte man nicht, sowohl in der Klarheit der eingeführten Personen über sich und ihre Empfindungen, als in Eigenheiten der Sprache, den Dichter immer hindurch hören. Die größte Zahl der Lieder bezieht sich auf Familienfeste, und würde, mit den bisherigen derselben Art zusammengetragen, ein ziemlich vollständig ökonomischpoetisches, nicht grade Noth- und Hülfs-, aber doch Lust- und Arbeits-Büchlein ausmachen. Zufolge dem: Jntroite, nam et heic dJ sunt! soll zwar die Poesie überall und also auch in die Haushaltung eingeführt werden; hier möchte aber grade umgekehrt nur die Haushaltung in die Poesie eingeführt seyn. Versifikazion und Sprache müssen das beste thun, um das, was bey einer gewissen Gelegenheit ein Knabe oder eine junge Naͤherin erzaͤhlen Schalkheiten, womit sich eine unschuldige Liebschaft anspinnt, ein Bauernbursch sagt einer wassertragenden Magd allerley artiges, und dergleichen mehr. — Das Lied ist zu eigentlicher Mimik nicht die geschickteste Form, wenigstens muß alsdann der musikalische Ausdruck den Abgang an der Unmittelbarkeit des mimischen ersetzen, und dieß kann durch keine Behandlung erlangt werden, wenn sich der Stoff nicht dazu eignet. So verdienstlich das Ergreifen der gemeinsten Naturen in ihrer ganzen Beschraͤnktheit im Zusammenhange eines Romans oder Schauspiels seyn kann, so wenig sagt er uns zu, wo sie fuͤr sich allein etwas bedeuten sollen; in einem lyrischen Gedicht erwarten wir schoͤne oder wenigstens anziehende Jndividualitaͤt. Allein wenn jenes recht gelungen seyn sollte, so muͤßte man nicht, sowohl in der Klarheit der eingefuͤhrten Personen uͤber sich und ihre Empfindungen, als in Eigenheiten der Sprache, den Dichter immer hindurch hoͤren. Die groͤßte Zahl der Lieder bezieht sich auf Familienfeste, und wuͤrde, mit den bisherigen derselben Art zusammengetragen, ein ziemlich vollstaͤndig oͤkonomischpoetisches, nicht grade Noth- und Huͤlfs-, aber doch Lust- und Arbeits-Buͤchlein ausmachen. Zufolge dem: Jntroite, nam et heic dJ sunt! soll zwar die Poesie uͤberall und also auch in die Haushaltung eingefuͤhrt werden; hier moͤchte aber grade umgekehrt nur die Haushaltung in die Poesie eingefuͤhrt seyn. Versifikazion und Sprache muͤssen das beste thun, um das, was bey einer gewissen Gelegenheit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0162" n="154"/> ein Knabe oder eine junge Naͤherin erzaͤhlen Schalkheiten, womit sich eine unschuldige Liebschaft anspinnt, ein Bauernbursch sagt einer wassertragenden Magd allerley artiges, und dergleichen mehr. — Das Lied ist zu eigentlicher Mimik nicht die geschickteste Form, wenigstens muß alsdann der musikalische Ausdruck den Abgang an der Unmittelbarkeit des mimischen ersetzen, und dieß kann durch keine Behandlung erlangt werden, wenn sich der Stoff nicht dazu eignet. So verdienstlich das Ergreifen der gemeinsten Naturen in ihrer ganzen Beschraͤnktheit im Zusammenhange eines Romans oder Schauspiels seyn kann, so wenig sagt er uns zu, wo sie fuͤr sich allein etwas bedeuten sollen; in einem lyrischen Gedicht erwarten wir schoͤne oder wenigstens anziehende Jndividualitaͤt. Allein wenn jenes recht gelungen seyn sollte, so muͤßte man nicht, sowohl in der Klarheit der eingefuͤhrten Personen uͤber sich und ihre Empfindungen, als in Eigenheiten der Sprache, den Dichter immer hindurch hoͤren.</p><lb/> <p>Die groͤßte Zahl der Lieder bezieht sich auf Familienfeste, und wuͤrde, mit den bisherigen derselben Art zusammengetragen, ein ziemlich vollstaͤndig oͤkonomischpoetisches, nicht grade Noth- und Huͤlfs-, aber doch Lust- und Arbeits-Buͤchlein ausmachen. Zufolge dem: Jntroite, nam et heic dJ sunt! soll zwar die Poesie uͤberall und also auch in die Haushaltung eingefuͤhrt werden; hier moͤchte aber grade umgekehrt nur die Haushaltung in die Poesie eingefuͤhrt seyn. Versifikazion und Sprache muͤssen das beste thun, um das, was bey einer gewissen Gelegenheit </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [154/0162]
ein Knabe oder eine junge Naͤherin erzaͤhlen Schalkheiten, womit sich eine unschuldige Liebschaft anspinnt, ein Bauernbursch sagt einer wassertragenden Magd allerley artiges, und dergleichen mehr. — Das Lied ist zu eigentlicher Mimik nicht die geschickteste Form, wenigstens muß alsdann der musikalische Ausdruck den Abgang an der Unmittelbarkeit des mimischen ersetzen, und dieß kann durch keine Behandlung erlangt werden, wenn sich der Stoff nicht dazu eignet. So verdienstlich das Ergreifen der gemeinsten Naturen in ihrer ganzen Beschraͤnktheit im Zusammenhange eines Romans oder Schauspiels seyn kann, so wenig sagt er uns zu, wo sie fuͤr sich allein etwas bedeuten sollen; in einem lyrischen Gedicht erwarten wir schoͤne oder wenigstens anziehende Jndividualitaͤt. Allein wenn jenes recht gelungen seyn sollte, so muͤßte man nicht, sowohl in der Klarheit der eingefuͤhrten Personen uͤber sich und ihre Empfindungen, als in Eigenheiten der Sprache, den Dichter immer hindurch hoͤren.
Die groͤßte Zahl der Lieder bezieht sich auf Familienfeste, und wuͤrde, mit den bisherigen derselben Art zusammengetragen, ein ziemlich vollstaͤndig oͤkonomischpoetisches, nicht grade Noth- und Huͤlfs-, aber doch Lust- und Arbeits-Buͤchlein ausmachen. Zufolge dem: Jntroite, nam et heic dJ sunt! soll zwar die Poesie uͤberall und also auch in die Haushaltung eingefuͤhrt werden; hier moͤchte aber grade umgekehrt nur die Haushaltung in die Poesie eingefuͤhrt seyn. Versifikazion und Sprache muͤssen das beste thun, um das, was bey einer gewissen Gelegenheit
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