Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.Welt. Ja er ist gewissermaßen ewig und nothwendig, denn seine beyden Prinzipe: Vergötterung der Natur und des Lebens, und vernichtendes Hinausstreben der Freyheit über beydes, sind gleich ursprünglich im Menschen gegründet; so erneuert er sich immer noch in unsern Gemüthern, indem wir das höchste der alten und neuen Bildung zu vereinigen streben. Es begreift sich indessen, warum sich die Poesie bis jetzt so selten an diesen Gegenstand gewagt hat. Jede Mythologie (und auch eine geistige Religion wird sich, wo keine gewaltsame Hemmung eintritt, Mythologie als Symbolik ihrer innern Anschauungen anbilden) ist eine vollständige poetische Ansicht der Dinge, und soll sie mit einer andern, welche sie ausschließt, zugleich als reell dargestellt werden, so muß entweder in der Reflexion des Dichters, oder in der Welt der Erscheinungen ein gemeinschaftlicher Boden gefunden werden, welches schon eine Erhebung über beyde voraussetzt. Wo aber ein solcher Punkt berührt wird, da strömt großes und schönes in Fülle hervor. Man erinnere sich nur an Schillers Götter Griechenlands; auch Goethe's Braut von Korinth erhält hauptsächlich dadurch die erschütternde Hoheit. Es lassen sich Tragödien und Dichtungen aller Art denken, die sich um diesen Angel drehten. Daß sich dieser Stoff auch zu einer komischen Behandlung vorzüglich eigne, leuchtet daraus ein, daß das große Vorrecht des komischen Dichters, die Gesetze der Wirklichkeit aufzuheben, und seine scherzende Willkühr an ihre Stelle zu setzen, hier schon in der Welt. Ja er ist gewissermaßen ewig und nothwendig, denn seine beyden Prinzipe: Vergoͤtterung der Natur und des Lebens, und vernichtendes Hinausstreben der Freyheit uͤber beydes, sind gleich urspruͤnglich im Menschen gegruͤndet; so erneuert er sich immer noch in unsern Gemuͤthern, indem wir das hoͤchste der alten und neuen Bildung zu vereinigen streben. Es begreift sich indessen, warum sich die Poesie bis jetzt so selten an diesen Gegenstand gewagt hat. Jede Mythologie (und auch eine geistige Religion wird sich, wo keine gewaltsame Hemmung eintritt, Mythologie als Symbolik ihrer innern Anschauungen anbilden) ist eine vollstaͤndige poetische Ansicht der Dinge, und soll sie mit einer andern, welche sie ausschließt, zugleich als reell dargestellt werden, so muß entweder in der Reflexion des Dichters, oder in der Welt der Erscheinungen ein gemeinschaftlicher Boden gefunden werden, welches schon eine Erhebung uͤber beyde voraussetzt. Wo aber ein solcher Punkt beruͤhrt wird, da stroͤmt großes und schoͤnes in Fuͤlle hervor. Man erinnere sich nur an Schillers Goͤtter Griechenlands; auch Goethe's Braut von Korinth erhaͤlt hauptsaͤchlich dadurch die erschuͤtternde Hoheit. Es lassen sich Tragoͤdien und Dichtungen aller Art denken, die sich um diesen Angel drehten. Daß sich dieser Stoff auch zu einer komischen Behandlung vorzuͤglich eigne, leuchtet daraus ein, daß das große Vorrecht des komischen Dichters, die Gesetze der Wirklichkeit aufzuheben, und seine scherzende Willkuͤhr an ihre Stelle zu setzen, hier schon in der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0267" n="255"/> Welt. Ja er ist gewissermaßen ewig und nothwendig, denn seine beyden Prinzipe: Vergoͤtterung der Natur und des Lebens, und vernichtendes Hinausstreben der Freyheit uͤber beydes, sind gleich urspruͤnglich im Menschen gegruͤndet; so erneuert er sich immer noch in unsern Gemuͤthern, indem wir das hoͤchste der alten und neuen Bildung zu vereinigen streben. Es begreift sich indessen, warum sich die Poesie bis jetzt so selten an diesen Gegenstand gewagt hat. Jede Mythologie (und auch eine geistige Religion wird sich, wo keine gewaltsame Hemmung eintritt, Mythologie als Symbolik ihrer innern Anschauungen anbilden) ist eine vollstaͤndige poetische Ansicht der Dinge, und soll sie mit einer andern, welche sie ausschließt, zugleich als reell dargestellt werden, so muß entweder in der Reflexion des Dichters, oder in der Welt der Erscheinungen ein gemeinschaftlicher Boden gefunden werden, welches schon eine Erhebung uͤber beyde voraussetzt. Wo aber ein solcher Punkt beruͤhrt wird, da stroͤmt großes und schoͤnes in Fuͤlle hervor. Man erinnere sich nur an Schillers Goͤtter Griechenlands; auch Goethe's Braut von Korinth erhaͤlt hauptsaͤchlich dadurch die erschuͤtternde Hoheit. Es lassen sich Tragoͤdien und Dichtungen aller Art denken, die sich um diesen Angel drehten.</p><lb/> <p>Daß sich dieser Stoff auch zu einer komischen Behandlung vorzuͤglich eigne, leuchtet daraus ein, daß das große Vorrecht des komischen Dichters, die Gesetze der Wirklichkeit aufzuheben, und seine scherzende Willkuͤhr an ihre Stelle zu setzen, hier schon in der </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [255/0267]
Welt. Ja er ist gewissermaßen ewig und nothwendig, denn seine beyden Prinzipe: Vergoͤtterung der Natur und des Lebens, und vernichtendes Hinausstreben der Freyheit uͤber beydes, sind gleich urspruͤnglich im Menschen gegruͤndet; so erneuert er sich immer noch in unsern Gemuͤthern, indem wir das hoͤchste der alten und neuen Bildung zu vereinigen streben. Es begreift sich indessen, warum sich die Poesie bis jetzt so selten an diesen Gegenstand gewagt hat. Jede Mythologie (und auch eine geistige Religion wird sich, wo keine gewaltsame Hemmung eintritt, Mythologie als Symbolik ihrer innern Anschauungen anbilden) ist eine vollstaͤndige poetische Ansicht der Dinge, und soll sie mit einer andern, welche sie ausschließt, zugleich als reell dargestellt werden, so muß entweder in der Reflexion des Dichters, oder in der Welt der Erscheinungen ein gemeinschaftlicher Boden gefunden werden, welches schon eine Erhebung uͤber beyde voraussetzt. Wo aber ein solcher Punkt beruͤhrt wird, da stroͤmt großes und schoͤnes in Fuͤlle hervor. Man erinnere sich nur an Schillers Goͤtter Griechenlands; auch Goethe's Braut von Korinth erhaͤlt hauptsaͤchlich dadurch die erschuͤtternde Hoheit. Es lassen sich Tragoͤdien und Dichtungen aller Art denken, die sich um diesen Angel drehten.
Daß sich dieser Stoff auch zu einer komischen Behandlung vorzuͤglich eigne, leuchtet daraus ein, daß das große Vorrecht des komischen Dichters, die Gesetze der Wirklichkeit aufzuheben, und seine scherzende Willkuͤhr an ihre Stelle zu setzen, hier schon in der
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/267>, abgerufen am 27.07.2024. |