Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.Sache selbst liegt. Jndem er die unverträglichen Mythologien mit einander streiten läßt, wird er sie zugleich als reell und als nicht reell, als Geschöpfe der Meinung und als Weltbeherrschende Wesen vorstellen, woraus eine umgekehrte Natur, ein lustiges Chaos entstehen muß, in welchem der Witz seine Blitze frey nach allen Seiten kann umherfahren lassen. Die Wahl eines solchen Gegenstandes läßt also, besonders bey einem französischen Dichter, einen ausgezeichneten Grad von Genialität vermuthen. Freylich muß erst die Ausführung zeigen, wie er selbst seinen Gedankenbegriff, und in wiefern er wußte, was es mit seiner Absicht auf sich habe. Parny's Plan ist im ganzen mit Verstand angelegt, die verschiednen Seiten bieten sich nach einander in einer leichten Folge dar, man vermißt nichts nothwendiges, und es ist auch nichts überflüßiges und fremdartiges herbeygezogen. Sein Werk ist darin der Pucelle d'Orleans, dem einzigen Gedicht in französischer Sprache womit es verglichen werden kann, und das er auch in der äußern Form unstreitig vor Augen gehabt hat, weit vorzuziehen. Voltaire hat dabey zwischen seinem Begriff vom Ariostischen Rittergedicht und der scherzhaften Epopöe geschwankt, die schwerfälligere Erfindung geräth auf lauter episodische Abwege. Der Krieg der Götter ist mehr aus Einem Stück, es wird einem beständig gegenwärtig erhalten, warum es zu thun ist, auch scheint mir Ton und Schilderung im einzelnen gefälliger und weicher. Zwar fehlt es nicht an Stellen, wo die Hauptfiction um nichts vorwärts rückt, Sache selbst liegt. Jndem er die unvertraͤglichen Mythologien mit einander streiten laͤßt, wird er sie zugleich als reell und als nicht reell, als Geschoͤpfe der Meinung und als Weltbeherrschende Wesen vorstellen, woraus eine umgekehrte Natur, ein lustiges Chaos entstehen muß, in welchem der Witz seine Blitze frey nach allen Seiten kann umherfahren lassen. Die Wahl eines solchen Gegenstandes laͤßt also, besonders bey einem franzoͤsischen Dichter, einen ausgezeichneten Grad von Genialitaͤt vermuthen. Freylich muß erst die Ausfuͤhrung zeigen, wie er selbst seinen Gedankenbegriff, und in wiefern er wußte, was es mit seiner Absicht auf sich habe. Parny's Plan ist im ganzen mit Verstand angelegt, die verschiednen Seiten bieten sich nach einander in einer leichten Folge dar, man vermißt nichts nothwendiges, und es ist auch nichts uͤberfluͤßiges und fremdartiges herbeygezogen. Sein Werk ist darin der Pucelle d'Orleans, dem einzigen Gedicht in franzoͤsischer Sprache womit es verglichen werden kann, und das er auch in der aͤußern Form unstreitig vor Augen gehabt hat, weit vorzuziehen. Voltaire hat dabey zwischen seinem Begriff vom Ariostischen Rittergedicht und der scherzhaften Epopoͤe geschwankt, die schwerfaͤlligere Erfindung geraͤth auf lauter episodische Abwege. Der Krieg der Goͤtter ist mehr aus Einem Stuͤck, es wird einem bestaͤndig gegenwaͤrtig erhalten, warum es zu thun ist, auch scheint mir Ton und Schilderung im einzelnen gefaͤlliger und weicher. Zwar fehlt es nicht an Stellen, wo die Hauptfiction um nichts vorwaͤrts ruͤckt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0268" n="256"/> Sache selbst liegt. Jndem er die unvertraͤglichen Mythologien mit einander streiten laͤßt, wird er sie zugleich als reell und als nicht reell, als Geschoͤpfe der Meinung und als Weltbeherrschende Wesen vorstellen, woraus eine umgekehrte Natur, ein lustiges Chaos entstehen muß, in welchem der Witz seine Blitze frey nach allen Seiten kann umherfahren lassen.</p><lb/> <p>Die Wahl eines solchen Gegenstandes laͤßt also, besonders bey einem franzoͤsischen Dichter, einen ausgezeichneten Grad von Genialitaͤt vermuthen. Freylich muß erst die Ausfuͤhrung zeigen, wie er selbst seinen Gedankenbegriff, und in wiefern er wußte, was es mit seiner Absicht auf sich habe. Parny's Plan ist im ganzen mit Verstand angelegt, die verschiednen Seiten bieten sich nach einander in einer leichten Folge dar, man vermißt nichts nothwendiges, und es ist auch nichts uͤberfluͤßiges und fremdartiges herbeygezogen. Sein Werk ist darin der Pucelle d'Orleans, dem einzigen Gedicht in franzoͤsischer Sprache womit es verglichen werden kann, und das er auch in der aͤußern Form unstreitig vor Augen gehabt hat, weit vorzuziehen. Voltaire hat dabey zwischen seinem Begriff vom Ariostischen Rittergedicht und der scherzhaften Epopoͤe geschwankt, die schwerfaͤlligere Erfindung geraͤth auf lauter episodische Abwege. Der Krieg der Goͤtter ist mehr aus Einem Stuͤck, es wird einem bestaͤndig gegenwaͤrtig erhalten, warum es zu thun ist, auch scheint mir Ton und Schilderung im einzelnen gefaͤlliger und weicher. Zwar fehlt es nicht an Stellen, wo die Hauptfiction um nichts vorwaͤrts ruͤckt, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [256/0268]
Sache selbst liegt. Jndem er die unvertraͤglichen Mythologien mit einander streiten laͤßt, wird er sie zugleich als reell und als nicht reell, als Geschoͤpfe der Meinung und als Weltbeherrschende Wesen vorstellen, woraus eine umgekehrte Natur, ein lustiges Chaos entstehen muß, in welchem der Witz seine Blitze frey nach allen Seiten kann umherfahren lassen.
Die Wahl eines solchen Gegenstandes laͤßt also, besonders bey einem franzoͤsischen Dichter, einen ausgezeichneten Grad von Genialitaͤt vermuthen. Freylich muß erst die Ausfuͤhrung zeigen, wie er selbst seinen Gedankenbegriff, und in wiefern er wußte, was es mit seiner Absicht auf sich habe. Parny's Plan ist im ganzen mit Verstand angelegt, die verschiednen Seiten bieten sich nach einander in einer leichten Folge dar, man vermißt nichts nothwendiges, und es ist auch nichts uͤberfluͤßiges und fremdartiges herbeygezogen. Sein Werk ist darin der Pucelle d'Orleans, dem einzigen Gedicht in franzoͤsischer Sprache womit es verglichen werden kann, und das er auch in der aͤußern Form unstreitig vor Augen gehabt hat, weit vorzuziehen. Voltaire hat dabey zwischen seinem Begriff vom Ariostischen Rittergedicht und der scherzhaften Epopoͤe geschwankt, die schwerfaͤlligere Erfindung geraͤth auf lauter episodische Abwege. Der Krieg der Goͤtter ist mehr aus Einem Stuͤck, es wird einem bestaͤndig gegenwaͤrtig erhalten, warum es zu thun ist, auch scheint mir Ton und Schilderung im einzelnen gefaͤlliger und weicher. Zwar fehlt es nicht an Stellen, wo die Hauptfiction um nichts vorwaͤrts ruͤckt,
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