Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.vor einer aufzustellenden Erfahrung voraus habe." -- Scheint es nun nicht nach dieser Darstellung, als habe Kant den alten Sprachgebrauch nicht gewußt? Müßte nicht ein argwöhnischer Mensch auf die Gedanken gerathen, das Ganze sei mit Bedacht so dargestellt. Weit entfernt dies auszusprechen, kann man sich der Bemerkung nicht enthalten, daß ein Schriftsteller, welcher zu solchen Zweydeutigkeiten Veranlaßung giebt, schlecht darstelle. -- Die richtige Ansicht wäre gewesen, entweder das Wort als unnütz oder als unanalogisch anzugreifen; oder die Sache, die Erkenntniß a priori zu leugnen. Doch dies letztere geschieht ja, aber wie? es ist zum erschrecken merkwürdig. Kant nennt Erkenntniß a priori diejenige, welche schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig ist, und beginnt sein unsterbliches Werk mit dem Satze: "Es sei kein Zweifel,daß alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anfange;" und: "Wenn aber gleich alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anhebt,so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung." Den letztern Satz hat Herder S. 16 abdrucken lassen. Hier protestirt Kant demnach gegen alle historische Ansicht, seine Meinung und sein Sinn ist folgendes: Es ist natürlich, daß das historisch erste, äußre Gegenstände sind, welche Eindruck auf uns machen, allein dieser Eindruck wäre gar nicht möglich, wenn nicht unsere Seele eine gewisse Organisation gehabt hätte, durch welche seine Art und Weise bestimmt wird. Willst vor einer aufzustellenden Erfahrung voraus habe.” — Scheint es nun nicht nach dieser Darstellung, als habe Kant den alten Sprachgebrauch nicht gewußt? Muͤßte nicht ein argwoͤhnischer Mensch auf die Gedanken gerathen, das Ganze sei mit Bedacht so dargestellt. Weit entfernt dies auszusprechen, kann man sich der Bemerkung nicht enthalten, daß ein Schriftsteller, welcher zu solchen Zweydeutigkeiten Veranlaßung giebt, schlecht darstelle. — Die richtige Ansicht waͤre gewesen, entweder das Wort als unnuͤtz oder als unanalogisch anzugreifen; oder die Sache, die Erkenntniß a priori zu leugnen. Doch dies letztere geschieht ja, aber wie? es ist zum erschrecken merkwuͤrdig. Kant nennt Erkenntniß a priori diejenige, welche schlechterdings von aller Erfahrung unabhaͤngig ist, und beginnt sein unsterbliches Werk mit dem Satze: “Es sei kein Zweifel,daß alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anfange;” und: “Wenn aber gleich alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anhebt,so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung.” Den letztern Satz hat Herder S. 16 abdrucken lassen. Hier protestirt Kant demnach gegen alle historische Ansicht, seine Meinung und sein Sinn ist folgendes: Es ist natuͤrlich, daß das historisch erste, aͤußre Gegenstaͤnde sind, welche Eindruck auf uns machen, allein dieser Eindruck waͤre gar nicht moͤglich, wenn nicht unsere Seele eine gewisse Organisation gehabt haͤtte, durch welche seine Art und Weise bestimmt wird. Willst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0287" n="275"/><hi rendition="#g">vor einer aufzustellenden Erfahrung voraus habe</hi>.” — Scheint es nun nicht nach dieser Darstellung, als habe Kant den alten Sprachgebrauch nicht gewußt? Muͤßte nicht ein argwoͤhnischer Mensch auf die Gedanken gerathen, das Ganze sei mit Bedacht so dargestellt. Weit entfernt dies auszusprechen, kann man sich der Bemerkung nicht enthalten, daß ein Schriftsteller, welcher zu solchen Zweydeutigkeiten Veranlaßung giebt, schlecht darstelle. — Die richtige Ansicht waͤre gewesen, entweder <hi rendition="#g">das Wort</hi> als unnuͤtz oder als unanalogisch anzugreifen; oder <hi rendition="#g">die Sache</hi>, die Erkenntniß a priori zu leugnen. Doch dies letztere geschieht ja, aber wie? es ist zum erschrecken merkwuͤrdig. Kant nennt Erkenntniß a priori diejenige, welche schlechterdings von aller Erfahrung unabhaͤngig ist, und beginnt sein unsterbliches Werk mit dem Satze: “<hi rendition="#g">Es sei kein Zweifel</hi>,<hi rendition="#g">daß alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anfange</hi>;” und: “<hi rendition="#g">Wenn aber gleich alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anhebt</hi>,<hi rendition="#g">so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung</hi>.” Den letztern Satz hat Herder S. 16 abdrucken lassen. Hier protestirt Kant demnach gegen alle <hi rendition="#g">historische</hi> Ansicht, seine Meinung und sein Sinn ist folgendes: Es ist natuͤrlich, daß das <hi rendition="#g">historisch</hi> erste, aͤußre Gegenstaͤnde sind, welche Eindruck auf uns machen, allein dieser Eindruck waͤre gar nicht moͤglich, wenn nicht unsere Seele eine gewisse Organisation gehabt haͤtte, durch welche seine Art und Weise bestimmt wird. Willst </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [275/0287]
vor einer aufzustellenden Erfahrung voraus habe.” — Scheint es nun nicht nach dieser Darstellung, als habe Kant den alten Sprachgebrauch nicht gewußt? Muͤßte nicht ein argwoͤhnischer Mensch auf die Gedanken gerathen, das Ganze sei mit Bedacht so dargestellt. Weit entfernt dies auszusprechen, kann man sich der Bemerkung nicht enthalten, daß ein Schriftsteller, welcher zu solchen Zweydeutigkeiten Veranlaßung giebt, schlecht darstelle. — Die richtige Ansicht waͤre gewesen, entweder das Wort als unnuͤtz oder als unanalogisch anzugreifen; oder die Sache, die Erkenntniß a priori zu leugnen. Doch dies letztere geschieht ja, aber wie? es ist zum erschrecken merkwuͤrdig. Kant nennt Erkenntniß a priori diejenige, welche schlechterdings von aller Erfahrung unabhaͤngig ist, und beginnt sein unsterbliches Werk mit dem Satze: “Es sei kein Zweifel,daß alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anfange;” und: “Wenn aber gleich alle unsere Erkenntniß mit der Erfahrung anhebt,so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung.” Den letztern Satz hat Herder S. 16 abdrucken lassen. Hier protestirt Kant demnach gegen alle historische Ansicht, seine Meinung und sein Sinn ist folgendes: Es ist natuͤrlich, daß das historisch erste, aͤußre Gegenstaͤnde sind, welche Eindruck auf uns machen, allein dieser Eindruck waͤre gar nicht moͤglich, wenn nicht unsere Seele eine gewisse Organisation gehabt haͤtte, durch welche seine Art und Weise bestimmt wird. Willst
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/287>, abgerufen am 27.07.2024. |