Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.langsam entstehen, aber sich desto gleichförmiger verbreiten kann, ist die wahre und gesunde. Allein gewöhnlich erzwingt man schneller eine andere, für beide Theile, die Philosophie und die Welt weit weniger heilsame. Jm Alterthum, wo die äußeren Verhältnisse in vieler Rücksicht weniger gebietend waren, bildete sich bald nach jedem neuen System nicht nur eine Moral, was doch auch immer nur Theorie ist, sondern ein wirkliches Leben, eine eigene Praxis, und die Maximen, die dieser zum Grunde lagen, oder daraus abstrahirt wurden, verbreiteten von dem Ganzen eine einseitige Kenntniß, und eine unrichtige Würdigung. Bei uns entsteht aus dem entgegengesetzten Verhältniß ein noch weit größeres Uebel, indem eben das Ausbleiben eines eigen gestalteten Lebens den Gegnern jeder Philosophie Raum läßt, nach ihrer Art zu fingiren, wie die Praxis derselben, wenn sie sich bilden könnte, beschaffen sein müßte. Solche Jnfinuationen mit Stillschweigen zu übergehen, wäre ganz gegen den Beruf, weil dadurch jeder mögliche künftige Einfluß der Theorie auf die Praxis im voraus vernichtet wird, und so wird leider jedes System durch die Polemik seiner Gegner genöthigt sich früher zu popularisiren, als dies -- ich will nicht sagen mit Nutzen für die Welt, sondern auch nur ohne Schaden für die Philosophie selbst geschehen kann, indem dadurch der Prozeß ihrer völligen Ausbildung alterirt, und die Kraft die innerlich thätig sein sollte zu früh nach außen zerstreut wird. Es ist noch ein Glück, und das beste was dabei geschehen kann, wenn die Werke, die diese Lage der Dinge erzeugt langsam entstehen, aber sich desto gleichfoͤrmiger verbreiten kann, ist die wahre und gesunde. Allein gewoͤhnlich erzwingt man schneller eine andere, fuͤr beide Theile, die Philosophie und die Welt weit weniger heilsame. Jm Alterthum, wo die aͤußeren Verhaͤltnisse in vieler Ruͤcksicht weniger gebietend waren, bildete sich bald nach jedem neuen System nicht nur eine Moral, was doch auch immer nur Theorie ist, sondern ein wirkliches Leben, eine eigene Praxis, und die Maximen, die dieser zum Grunde lagen, oder daraus abstrahirt wurden, verbreiteten von dem Ganzen eine einseitige Kenntniß, und eine unrichtige Wuͤrdigung. Bei uns entsteht aus dem entgegengesetzten Verhaͤltniß ein noch weit groͤßeres Uebel, indem eben das Ausbleiben eines eigen gestalteten Lebens den Gegnern jeder Philosophie Raum laͤßt, nach ihrer Art zu fingiren, wie die Praxis derselben, wenn sie sich bilden koͤnnte, beschaffen sein muͤßte. Solche Jnfinuationen mit Stillschweigen zu uͤbergehen, waͤre ganz gegen den Beruf, weil dadurch jeder moͤgliche kuͤnftige Einfluß der Theorie auf die Praxis im voraus vernichtet wird, und so wird leider jedes System durch die Polemik seiner Gegner genoͤthigt sich fruͤher zu popularisiren, als dies — ich will nicht sagen mit Nutzen fuͤr die Welt, sondern auch nur ohne Schaden fuͤr die Philosophie selbst geschehen kann, indem dadurch der Prozeß ihrer voͤlligen Ausbildung alterirt, und die Kraft die innerlich thaͤtig sein sollte zu fruͤh nach außen zerstreut wird. Es ist noch ein Gluͤck, und das beste was dabei geschehen kann, wenn die Werke, die diese Lage der Dinge erzeugt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0296" n="284"/> langsam entstehen, aber sich desto gleichfoͤrmiger verbreiten kann, ist die wahre und gesunde. Allein gewoͤhnlich erzwingt man schneller eine andere, fuͤr beide Theile, die Philosophie und die Welt weit weniger heilsame. Jm Alterthum, wo die aͤußeren Verhaͤltnisse in vieler Ruͤcksicht weniger gebietend waren, bildete sich bald nach jedem neuen System nicht nur eine Moral, was doch auch immer nur Theorie ist, sondern ein wirkliches Leben, eine eigene Praxis, und die Maximen, die dieser zum Grunde lagen, oder daraus abstrahirt wurden, verbreiteten von dem Ganzen eine einseitige Kenntniß, und eine unrichtige Wuͤrdigung. Bei uns entsteht aus dem entgegengesetzten Verhaͤltniß ein noch weit groͤßeres Uebel, indem eben das Ausbleiben eines eigen gestalteten Lebens den Gegnern jeder Philosophie Raum laͤßt, nach ihrer Art zu fingiren, wie die Praxis derselben, wenn sie sich bilden koͤnnte, beschaffen sein muͤßte. 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langsam entstehen, aber sich desto gleichfoͤrmiger verbreiten kann, ist die wahre und gesunde. Allein gewoͤhnlich erzwingt man schneller eine andere, fuͤr beide Theile, die Philosophie und die Welt weit weniger heilsame. Jm Alterthum, wo die aͤußeren Verhaͤltnisse in vieler Ruͤcksicht weniger gebietend waren, bildete sich bald nach jedem neuen System nicht nur eine Moral, was doch auch immer nur Theorie ist, sondern ein wirkliches Leben, eine eigene Praxis, und die Maximen, die dieser zum Grunde lagen, oder daraus abstrahirt wurden, verbreiteten von dem Ganzen eine einseitige Kenntniß, und eine unrichtige Wuͤrdigung. Bei uns entsteht aus dem entgegengesetzten Verhaͤltniß ein noch weit groͤßeres Uebel, indem eben das Ausbleiben eines eigen gestalteten Lebens den Gegnern jeder Philosophie Raum laͤßt, nach ihrer Art zu fingiren, wie die Praxis derselben, wenn sie sich bilden koͤnnte, beschaffen sein muͤßte. Solche Jnfinuationen mit Stillschweigen zu uͤbergehen, waͤre ganz gegen den Beruf, weil dadurch jeder moͤgliche kuͤnftige Einfluß der Theorie auf die Praxis im voraus vernichtet wird, und so wird leider jedes System durch die Polemik seiner Gegner genoͤthigt sich fruͤher zu popularisiren, als dies — ich will nicht sagen mit Nutzen fuͤr die Welt, sondern auch nur ohne Schaden fuͤr die Philosophie selbst geschehen kann, indem dadurch der Prozeß ihrer voͤlligen Ausbildung alterirt, und die Kraft die innerlich thaͤtig sein sollte zu fruͤh nach außen zerstreut wird. Es ist noch ein Gluͤck, und das beste was dabei geschehen kann, wenn die Werke, die diese Lage der Dinge erzeugt
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