Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.altenglische Possen mit fremden Novellen, mit vaterländischen Historien und andern Gegenständen wechselten; in jeder Manier und in jeder Form, aber nichts was wir Kunst nennen dürften. Doch war es für den Effekt und selbst für die Gründlichkeit ein glücklicher Umstand, daß früh schon Schauspieler für die Bühne arbeiteten, die doch durchaus nicht auf den Glanz der äußern Erscheinung berechnet war, und daß im historischen Schauspiel die Einerleyheit des Stoffs, den Geist des Dichters und des Zuschauers auf die Form lenken mußte. Shakspeare's frühste Werke*) müssen mit dem Auge betrachtet werden, mit welchem der Kenner die Alterthümer der italiänischen Mahlerkunst verehrt. Sie sind ohne Perspektive und andre Vollendung, aber gründlich, groß und voll Verstand, und in ihrer Gattung nur durch die Werke aus der schönsten Manier desselben Meisters übertroffen. Wir rechnen dahin den Locrinus, wo der höchste Kothurn in Gothischer Mundart mit der derben altenglischen Lustigkeit grell verbunden ist, den göttlichen Perikles, und andre Kunstwerke des einzigen Meisters, die der Aberwitz seichter Schriftgelehrten ihm gegen alle Geschichte abgesprochen, oder die Dummheit derselben nicht anerkannt hat. Wir *) Ueber die sogenannten unächten Stücke von Shakspeare und die Beweise ihrer Aechtheit dürfen wir den Freunden des Dichters eine ausführliche Untersuchung von Tieck versprechen, dessen gelehrte Kenntniß und originelle Ansicht derselben die Aufmerksamkeit des Verfassers zuerst auf jene interessante kritische Frage lenkte.
altenglische Possen mit fremden Novellen, mit vaterlaͤndischen Historien und andern Gegenstaͤnden wechselten; in jeder Manier und in jeder Form, aber nichts was wir Kunst nennen duͤrften. Doch war es fuͤr den Effekt und selbst fuͤr die Gruͤndlichkeit ein gluͤcklicher Umstand, daß fruͤh schon Schauspieler fuͤr die Buͤhne arbeiteten, die doch durchaus nicht auf den Glanz der aͤußern Erscheinung berechnet war, und daß im historischen Schauspiel die Einerleyheit des Stoffs, den Geist des Dichters und des Zuschauers auf die Form lenken mußte. Shakspeare's fruͤhste Werke*) muͤssen mit dem Auge betrachtet werden, mit welchem der Kenner die Alterthuͤmer der italiaͤnischen Mahlerkunst verehrt. Sie sind ohne Perspektive und andre Vollendung, aber gruͤndlich, groß und voll Verstand, und in ihrer Gattung nur durch die Werke aus der schoͤnsten Manier desselben Meisters uͤbertroffen. Wir rechnen dahin den Locrinus, wo der hoͤchste Kothurn in Gothischer Mundart mit der derben altenglischen Lustigkeit grell verbunden ist, den goͤttlichen Perikles, und andre Kunstwerke des einzigen Meisters, die der Aberwitz seichter Schriftgelehrten ihm gegen alle Geschichte abgesprochen, oder die Dummheit derselben nicht anerkannt hat. Wir *) Ueber die sogenannten unaͤchten Stuͤcke von Shakspeare und die Beweise ihrer Aechtheit duͤrfen wir den Freunden des Dichters eine ausfuͤhrliche Untersuchung von Tieck versprechen, dessen gelehrte Kenntniß und originelle Ansicht derselben die Aufmerksamkeit des Verfassers zuerst auf jene interessante kritische Frage lenkte.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0090" n="82"/> altenglische Possen mit fremden Novellen, mit vaterlaͤndischen Historien und andern Gegenstaͤnden wechselten; in jeder Manier und in jeder Form, aber nichts was wir Kunst nennen duͤrften. Doch war es fuͤr den Effekt und selbst fuͤr die Gruͤndlichkeit ein gluͤcklicher Umstand, daß fruͤh schon Schauspieler fuͤr die Buͤhne arbeiteten, die doch durchaus nicht auf den Glanz der aͤußern Erscheinung berechnet war, und daß im historischen Schauspiel die Einerleyheit des Stoffs, den Geist des Dichters und des Zuschauers auf die Form lenken mußte.</p><lb/> <p>Shakspeare's fruͤhste Werke<note place="foot" n="*)">Ueber die sogenannten unaͤchten Stuͤcke von Shakspeare und die Beweise ihrer Aechtheit duͤrfen wir den Freunden des Dichters eine ausfuͤhrliche Untersuchung von <hi rendition="#g">Tieck</hi> versprechen, dessen gelehrte Kenntniß und originelle Ansicht derselben die Aufmerksamkeit des Verfassers zuerst auf jene interessante kritische Frage lenkte.</note> muͤssen mit dem Auge betrachtet werden, mit welchem der Kenner die Alterthuͤmer der italiaͤnischen Mahlerkunst verehrt. Sie sind ohne Perspektive und andre Vollendung, aber gruͤndlich, groß und voll Verstand, und in ihrer Gattung nur durch die Werke aus der schoͤnsten Manier desselben Meisters uͤbertroffen. Wir rechnen dahin den Locrinus, wo der hoͤchste Kothurn in Gothischer Mundart mit der derben altenglischen Lustigkeit grell verbunden ist, den goͤttlichen Perikles, und andre Kunstwerke des einzigen Meisters, die der Aberwitz seichter Schriftgelehrten ihm gegen alle Geschichte abgesprochen, oder die Dummheit derselben nicht anerkannt hat. Wir </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [82/0090]
altenglische Possen mit fremden Novellen, mit vaterlaͤndischen Historien und andern Gegenstaͤnden wechselten; in jeder Manier und in jeder Form, aber nichts was wir Kunst nennen duͤrften. Doch war es fuͤr den Effekt und selbst fuͤr die Gruͤndlichkeit ein gluͤcklicher Umstand, daß fruͤh schon Schauspieler fuͤr die Buͤhne arbeiteten, die doch durchaus nicht auf den Glanz der aͤußern Erscheinung berechnet war, und daß im historischen Schauspiel die Einerleyheit des Stoffs, den Geist des Dichters und des Zuschauers auf die Form lenken mußte.
Shakspeare's fruͤhste Werke *) muͤssen mit dem Auge betrachtet werden, mit welchem der Kenner die Alterthuͤmer der italiaͤnischen Mahlerkunst verehrt. Sie sind ohne Perspektive und andre Vollendung, aber gruͤndlich, groß und voll Verstand, und in ihrer Gattung nur durch die Werke aus der schoͤnsten Manier desselben Meisters uͤbertroffen. Wir rechnen dahin den Locrinus, wo der hoͤchste Kothurn in Gothischer Mundart mit der derben altenglischen Lustigkeit grell verbunden ist, den goͤttlichen Perikles, und andre Kunstwerke des einzigen Meisters, die der Aberwitz seichter Schriftgelehrten ihm gegen alle Geschichte abgesprochen, oder die Dummheit derselben nicht anerkannt hat. Wir
*) Ueber die sogenannten unaͤchten Stuͤcke von Shakspeare und die Beweise ihrer Aechtheit duͤrfen wir den Freunden des Dichters eine ausfuͤhrliche Untersuchung von Tieck versprechen, dessen gelehrte Kenntniß und originelle Ansicht derselben die Aufmerksamkeit des Verfassers zuerst auf jene interessante kritische Frage lenkte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |