Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Alter des Menschengeschlechts.
verlieren muß. -- Wenn man mit der Erscheinung des Menschen auf
der Erde nothwendig auf wenigstens 100,000 Jahre zurückgewiesen
wird, so bedarf es keiner Entschuldigung mehr, wenn man die allmäh¬
liche Entwicklung der Erde selbst nach vielen Millionen von Jahren
abzumessen versucht.

Es ist nun an sich klar und bedarf keiner weitläufigen Auseinan¬
dersetzung, von wie weitgreifendem Einflusse es auf die Behandlung
der verschiedensten, kaum damit irgendwie verwandt scheinenden
Disciplinen sein muß, wenn man nachweisen kann, daß das Alter des
Menschengeschlechts so lange Zeiträume umfaßt, daß dieselben für die
langsamen Entwicklungen aus einem rohen, fast thierischen Zustande
durch ganz kleine erst allmählich in Jahrtausenden sich summirende Fort¬
schritte zu höheren Culturstufen genügenden Raum gewähren. -- Nicht
nur die Ansichten der systematischen Naturgeschichte, sondern auch die
der Physiologie, der Ethnographie, der Linguistik und vieler anderer
Wissenschaften werden nach und nach den tiefgreifenden Einfluß dieser
neuen Entdeckungen erfahren. Diese Wichtigkeit läßt es denn auch ge¬
rechtfertigt erscheinen, wenn ich hier über die dahineinschlagenden Ent¬
deckungen einen etwas ausführlicheren Bericht erstatte, indem ich dabei
vorzugsweise an das eben erschienene schon oben erwähnte Werk des
berühmten englischen Geognosten Sir Charles Lyell anknüpfe.

Im Jahre 1838 sprach es der Archäolog Boucher de Perthes
in seinem Buche, De la creation, essai sur l'origine et la progres¬
sion des etres
, zuerst ganz bestimmt aus: "Que tot ou tard on fini¬
rait par trouver dans le diluvium a defaut des fossiles humains
des traces d'hommes antediluviens
". -- Dieser seiner Ueberzeugung
folgend, durchforschte er mit unermüdlichem Fleiße alle Diluvialgebilde,
die ihm geeignet schienen, dergleichen Spuren früherer Menschen zu
umschließen und fand endlich in den Steinbrüchen im Sommethal
in der Nähe von Amiens den Lohn seines Eifers. Seine Entdeckun¬
gen stellte er dann 1847 in seinen "Antiquites celtiques et antedilu¬
viennes
" zusammen, denen er 1857 noch einen zweiten Band folgen

Das Alter des Menſchengeſchlechts.
verlieren muß. — Wenn man mit der Erſcheinung des Menſchen auf
der Erde nothwendig auf wenigſtens 100,000 Jahre zurückgewieſen
wird, ſo bedarf es keiner Entſchuldigung mehr, wenn man die allmäh¬
liche Entwicklung der Erde ſelbſt nach vielen Millionen von Jahren
abzumeſſen verſucht.

Es iſt nun an ſich klar und bedarf keiner weitläufigen Auseinan¬
derſetzung, von wie weitgreifendem Einfluſſe es auf die Behandlung
der verſchiedenſten, kaum damit irgendwie verwandt ſcheinenden
Disciplinen ſein muß, wenn man nachweiſen kann, daß das Alter des
Menſchengeſchlechts ſo lange Zeiträume umfaßt, daß dieſelben für die
langſamen Entwicklungen aus einem rohen, faſt thieriſchen Zuſtande
durch ganz kleine erſt allmählich in Jahrtauſenden ſich ſummirende Fort¬
ſchritte zu höheren Culturſtufen genügenden Raum gewähren. — Nicht
nur die Anſichten der ſyſtematiſchen Naturgeſchichte, ſondern auch die
der Phyſiologie, der Ethnographie, der Linguiſtik und vieler anderer
Wiſſenſchaften werden nach und nach den tiefgreifenden Einfluß dieſer
neuen Entdeckungen erfahren. Dieſe Wichtigkeit läßt es denn auch ge¬
rechtfertigt erſcheinen, wenn ich hier über die dahineinſchlagenden Ent¬
deckungen einen etwas ausführlicheren Bericht erſtatte, indem ich dabei
vorzugsweiſe an das eben erſchienene ſchon oben erwähnte Werk des
berühmten engliſchen Geognoſten Sir Charles Lyell anknüpfe.

Im Jahre 1838 ſprach es der Archäolog Boucher de Perthes
in ſeinem Buche, De la création, essai sur l'origine et la progres¬
sion des êtres
, zuerſt ganz beſtimmt aus: »Que tôt ou tard on fini¬
rait par trouver dans le diluvium à défaut des fossiles humains
des traces d'hommes antédiluviens
«. — Dieſer ſeiner Ueberzeugung
folgend, durchforſchte er mit unermüdlichem Fleiße alle Diluvialgebilde,
die ihm geeignet ſchienen, dergleichen Spuren früherer Menſchen zu
umſchließen und fand endlich in den Steinbrüchen im Sommethal
in der Nähe von Amiens den Lohn ſeines Eifers. Seine Entdeckun¬
gen ſtellte er dann 1847 in ſeinen »Antiquités celtiques et antédilu¬
viennes
« zuſammen, denen er 1857 noch einen zweiten Band folgen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="7"/><fw place="top" type="header">Das Alter des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts.<lb/></fw>verlieren muß. &#x2014; Wenn man mit der Er&#x017F;cheinung des Men&#x017F;chen auf<lb/>
der Erde nothwendig auf wenig&#x017F;tens 100,000 Jahre zurückgewie&#x017F;en<lb/>
wird, &#x017F;o bedarf es keiner Ent&#x017F;chuldigung mehr, wenn man die allmäh¬<lb/>
liche Entwicklung der Erde &#x017F;elb&#x017F;t nach vielen Millionen von Jahren<lb/>
abzume&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;ucht.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t nun an &#x017F;ich klar und bedarf keiner weitläufigen Auseinan¬<lb/>
der&#x017F;etzung, von wie weitgreifendem Einflu&#x017F;&#x017F;e es auf die Behandlung<lb/>
der ver&#x017F;chieden&#x017F;ten, kaum damit irgendwie verwandt <hi rendition="#g">&#x017F;cheinenden</hi><lb/>
Disciplinen &#x017F;ein muß, wenn man nachwei&#x017F;en kann, daß das Alter des<lb/>
Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts &#x017F;o lange Zeiträume umfaßt, daß die&#x017F;elben für die<lb/>
lang&#x017F;amen Entwicklungen aus einem rohen, fa&#x017F;t thieri&#x017F;chen Zu&#x017F;tande<lb/>
durch ganz kleine er&#x017F;t allmählich in Jahrtau&#x017F;enden &#x017F;ich &#x017F;ummirende Fort¬<lb/>
&#x017F;chritte zu höheren Cultur&#x017F;tufen genügenden Raum gewähren. &#x2014; Nicht<lb/>
nur die An&#x017F;ichten der &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;chen Naturge&#x017F;chichte, &#x017F;ondern auch die<lb/>
der Phy&#x017F;iologie, der Ethnographie, der Lingui&#x017F;tik und vieler anderer<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften werden nach und nach den tiefgreifenden Einfluß die&#x017F;er<lb/>
neuen Entdeckungen erfahren. Die&#x017F;e Wichtigkeit läßt es denn auch ge¬<lb/>
rechtfertigt er&#x017F;cheinen, wenn ich hier über die dahinein&#x017F;chlagenden Ent¬<lb/>
deckungen einen etwas ausführlicheren Bericht er&#x017F;tatte, indem ich dabei<lb/>
vorzugswei&#x017F;e an das eben er&#x017F;chienene &#x017F;chon oben erwähnte Werk des<lb/>
berühmten engli&#x017F;chen Geogno&#x017F;ten <hi rendition="#g">Sir Charles Lyell</hi> anknüpfe.</p><lb/>
        <p>Im Jahre 1838 &#x017F;prach es der Archäolog <hi rendition="#g">Boucher de Perthes</hi><lb/>
in &#x017F;einem Buche, <hi rendition="#aq">De la création, essai sur l'origine et la progres¬<lb/>
sion des êtres</hi>, zuer&#x017F;t ganz be&#x017F;timmt aus: »<hi rendition="#aq">Que tôt ou tard on fini¬<lb/>
rait par trouver dans le diluvium à défaut des fossiles humains<lb/>
des traces d'hommes antédiluviens</hi>«. &#x2014; Die&#x017F;er &#x017F;einer Ueberzeugung<lb/>
folgend, durchfor&#x017F;chte er mit unermüdlichem Fleiße alle Diluvialgebilde,<lb/>
die ihm geeignet &#x017F;chienen, dergleichen Spuren früherer Men&#x017F;chen zu<lb/>
um&#x017F;chließen und fand endlich in den Steinbrüchen im <hi rendition="#g">Sommethal</hi><lb/>
in der Nähe von <hi rendition="#g">Amiens</hi> den Lohn &#x017F;eines Eifers. Seine Entdeckun¬<lb/>
gen &#x017F;tellte er dann 1847 in &#x017F;einen »<hi rendition="#aq">Antiquités celtiques et antédilu¬<lb/>
viennes</hi>« zu&#x017F;ammen, denen er 1857 noch einen zweiten Band folgen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0017] Das Alter des Menſchengeſchlechts. verlieren muß. — Wenn man mit der Erſcheinung des Menſchen auf der Erde nothwendig auf wenigſtens 100,000 Jahre zurückgewieſen wird, ſo bedarf es keiner Entſchuldigung mehr, wenn man die allmäh¬ liche Entwicklung der Erde ſelbſt nach vielen Millionen von Jahren abzumeſſen verſucht. Es iſt nun an ſich klar und bedarf keiner weitläufigen Auseinan¬ derſetzung, von wie weitgreifendem Einfluſſe es auf die Behandlung der verſchiedenſten, kaum damit irgendwie verwandt ſcheinenden Disciplinen ſein muß, wenn man nachweiſen kann, daß das Alter des Menſchengeſchlechts ſo lange Zeiträume umfaßt, daß dieſelben für die langſamen Entwicklungen aus einem rohen, faſt thieriſchen Zuſtande durch ganz kleine erſt allmählich in Jahrtauſenden ſich ſummirende Fort¬ ſchritte zu höheren Culturſtufen genügenden Raum gewähren. — Nicht nur die Anſichten der ſyſtematiſchen Naturgeſchichte, ſondern auch die der Phyſiologie, der Ethnographie, der Linguiſtik und vieler anderer Wiſſenſchaften werden nach und nach den tiefgreifenden Einfluß dieſer neuen Entdeckungen erfahren. Dieſe Wichtigkeit läßt es denn auch ge¬ rechtfertigt erſcheinen, wenn ich hier über die dahineinſchlagenden Ent¬ deckungen einen etwas ausführlicheren Bericht erſtatte, indem ich dabei vorzugsweiſe an das eben erſchienene ſchon oben erwähnte Werk des berühmten engliſchen Geognoſten Sir Charles Lyell anknüpfe. Im Jahre 1838 ſprach es der Archäolog Boucher de Perthes in ſeinem Buche, De la création, essai sur l'origine et la progres¬ sion des êtres, zuerſt ganz beſtimmt aus: »Que tôt ou tard on fini¬ rait par trouver dans le diluvium à défaut des fossiles humains des traces d'hommes antédiluviens«. — Dieſer ſeiner Ueberzeugung folgend, durchforſchte er mit unermüdlichem Fleiße alle Diluvialgebilde, die ihm geeignet ſchienen, dergleichen Spuren früherer Menſchen zu umſchließen und fand endlich in den Steinbrüchen im Sommethal in der Nähe von Amiens den Lohn ſeines Eifers. Seine Entdeckun¬ gen ſtellte er dann 1847 in ſeinen »Antiquités celtiques et antédilu¬ viennes« zuſammen, denen er 1857 noch einen zweiten Band folgen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_menschengeschlecht_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_menschengeschlecht_1863/17
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_menschengeschlecht_1863/17>, abgerufen am 21.11.2024.