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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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und atmosphärische Luft genügend gesorgt ist. Die bisherige allgemein
geltende Ansicht ging nun dahin, daß die Pflanze ihren Kohlenstoff
und Stickstoff dem Dünger oder dem Humus des Bodens entnähme.

Alle Thier- und Pflanzenkörper gehen nämlich, sobald sie todt
sind, in einen Zersetzungsproceß über, durch welchen sie früher oder
später in Kohlensäure, Ammoniak und Wasser verwandelt, sich in die
Atmosphäre verlieren. So lange aber dieser Zersetzungsproceß noch
nicht vollständig beendigt ist, bleibt noch ein freilich schon veränderter
Rückstand mit brauner oder schwarzer Farbe, den man im Anfange
der Zersetzung Dünger, gegen das Ende derselben Humus oder Baum-
erde nennt. Es ist ein complicirtes Gemisch gar mannigfacher Zer-
setzungsproducte. Man argumentirte nun so: Kohlenstoff und Stick-
stoff sind reichlich im Humus vorhanden; auf einem Boden, der reich
an Humus ist oder gut gedüngt wird, gedeihen Pflanzen besser, als
auf einem humusarmen, also ist Humus die Quelle des Kohlenstoffs
und Stickstoffs der Pflanzen. Diesem ganzen Räsonnement fehlt aber
die Schlußkraft.

Es gab eine Zeit auf unserer Erde, in welcher noch keine Vege-
tation die feste Rinde bedeckte, in welcher kein Thier lebte, in welcher
kein Humus vorhanden seyn konnte. Auf diesem humusleeren Boden
entwickelte sich allmälig eine Vegetation in so großer Masse, in so
riesiger Ueppigkeit, daß dieselbe, durch spätere Erdrevolutionen be-
graben und uns aufbewahrt, einen höchst wesentlichen Platz in dem
Haushalte der heutigen Menschheit einnimmt, ich meine die Vege-
tation einer der ältesten geognostischen Formationen, der Steinkohlen-
periode. Der jährliche Verbrauch der Steinkohle in Europa beträgt
über 677,500,000 Centner und die Geognosie weist nach, daß selbst
bei steigendem Verbrauche der Vorrath noch für 500 Jahre sicher
ausreicht. Ein solcher Vorrath entspricht aber 240,500,000,000 Cent-
nern Kohlenstoff, den diese Pflanzen offenbar nicht dem humusleeren
Boden der Urzeit entnommen haben konnten. Jenes falsche Räson-
nement setzt nämlich stillschweigend folgende Hypothese voraus:

"Es giebt auf der Erde eine bestimmte Quantität organischer

und atmoſphäriſche Luft genügend geſorgt iſt. Die bisherige allgemein
geltende Anſicht ging nun dahin, daß die Pflanze ihren Kohlenſtoff
und Stickſtoff dem Dünger oder dem Humus des Bodens entnähme.

Alle Thier- und Pflanzenkörper gehen nämlich, ſobald ſie todt
ſind, in einen Zerſetzungsproceß über, durch welchen ſie früher oder
ſpäter in Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer verwandelt, ſich in die
Atmoſphäre verlieren. So lange aber dieſer Zerſetzungsproceß noch
nicht vollſtändig beendigt iſt, bleibt noch ein freilich ſchon veränderter
Rückſtand mit brauner oder ſchwarzer Farbe, den man im Anfange
der Zerſetzung Dünger, gegen das Ende derſelben Humus oder Baum-
erde nennt. Es iſt ein complicirtes Gemiſch gar mannigfacher Zer-
ſetzungsproducte. Man argumentirte nun ſo: Kohlenſtoff und Stick-
ſtoff ſind reichlich im Humus vorhanden; auf einem Boden, der reich
an Humus iſt oder gut gedüngt wird, gedeihen Pflanzen beſſer, als
auf einem humusarmen, alſo iſt Humus die Quelle des Kohlenſtoffs
und Stickſtoffs der Pflanzen. Dieſem ganzen Räſonnement fehlt aber
die Schlußkraft.

Es gab eine Zeit auf unſerer Erde, in welcher noch keine Vege-
tation die feſte Rinde bedeckte, in welcher kein Thier lebte, in welcher
kein Humus vorhanden ſeyn konnte. Auf dieſem humusleeren Boden
entwickelte ſich allmälig eine Vegetation in ſo großer Maſſe, in ſo
rieſiger Ueppigkeit, daß dieſelbe, durch ſpätere Erdrevolutionen be-
graben und uns aufbewahrt, einen höchſt weſentlichen Platz in dem
Haushalte der heutigen Menſchheit einnimmt, ich meine die Vege-
tation einer der älteſten geognoſtiſchen Formationen, der Steinkohlen-
periode. Der jährliche Verbrauch der Steinkohle in Europa beträgt
über 677,500,000 Centner und die Geognoſie weiſt nach, daß ſelbſt
bei ſteigendem Verbrauche der Vorrath noch für 500 Jahre ſicher
ausreicht. Ein ſolcher Vorrath entſpricht aber 240,500,000,000 Cent-
nern Kohlenſtoff, den dieſe Pflanzen offenbar nicht dem humusleeren
Boden der Urzeit entnommen haben konnten. Jenes falſche Räſon-
nement ſetzt nämlich ſtillſchweigend folgende Hypotheſe voraus:

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[140/0156] und atmoſphäriſche Luft genügend geſorgt iſt. Die bisherige allgemein geltende Anſicht ging nun dahin, daß die Pflanze ihren Kohlenſtoff und Stickſtoff dem Dünger oder dem Humus des Bodens entnähme. Alle Thier- und Pflanzenkörper gehen nämlich, ſobald ſie todt ſind, in einen Zerſetzungsproceß über, durch welchen ſie früher oder ſpäter in Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer verwandelt, ſich in die Atmoſphäre verlieren. So lange aber dieſer Zerſetzungsproceß noch nicht vollſtändig beendigt iſt, bleibt noch ein freilich ſchon veränderter Rückſtand mit brauner oder ſchwarzer Farbe, den man im Anfange der Zerſetzung Dünger, gegen das Ende derſelben Humus oder Baum- erde nennt. Es iſt ein complicirtes Gemiſch gar mannigfacher Zer- ſetzungsproducte. Man argumentirte nun ſo: Kohlenſtoff und Stick- ſtoff ſind reichlich im Humus vorhanden; auf einem Boden, der reich an Humus iſt oder gut gedüngt wird, gedeihen Pflanzen beſſer, als auf einem humusarmen, alſo iſt Humus die Quelle des Kohlenſtoffs und Stickſtoffs der Pflanzen. Dieſem ganzen Räſonnement fehlt aber die Schlußkraft. Es gab eine Zeit auf unſerer Erde, in welcher noch keine Vege- tation die feſte Rinde bedeckte, in welcher kein Thier lebte, in welcher kein Humus vorhanden ſeyn konnte. Auf dieſem humusleeren Boden entwickelte ſich allmälig eine Vegetation in ſo großer Maſſe, in ſo rieſiger Ueppigkeit, daß dieſelbe, durch ſpätere Erdrevolutionen be- graben und uns aufbewahrt, einen höchſt weſentlichen Platz in dem Haushalte der heutigen Menſchheit einnimmt, ich meine die Vege- tation einer der älteſten geognoſtiſchen Formationen, der Steinkohlen- periode. Der jährliche Verbrauch der Steinkohle in Europa beträgt über 677,500,000 Centner und die Geognoſie weiſt nach, daß ſelbſt bei ſteigendem Verbrauche der Vorrath noch für 500 Jahre ſicher ausreicht. Ein ſolcher Vorrath entſpricht aber 240,500,000,000 Cent- nern Kohlenſtoff, den dieſe Pflanzen offenbar nicht dem humusleeren Boden der Urzeit entnommen haben konnten. Jenes falſche Räſon- nement ſetzt nämlich ſtillſchweigend folgende Hypotheſe voraus: „Es giebt auf der Erde eine beſtimmte Quantität organiſcher

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/156>, abgerufen am 21.11.2024.