gehören der heißen Zone an. Schon A. v. Humboldt bemerkt in seinen Ideen zu einer Pflanzengeographie, daß sich die Milchsaft ge- benden Pflanzen vermehren, so wie man sich den Tropen nähert. Es ist aber gerade der Milchsaft der Pflanzen, welcher diese eigen- thümliche elastische Substanz enthält. Die tropische Wärme scheint auf die Ausbildung derselben einen entschiedenen Einfluß auszuü- ben, denn man hat die Bemerkung gemacht, daß dieselben Pflanzen, welche unter dem Aequator reichlich Kaoutschouck liefern, statt des- sen bei uns, selbst in den Treibhäusern, einen Stoff enthalten, der dem aus unserer einheimischen Mistel gewonnenen Vogelleim gleichkommt.
Wer von meinen Lesern hätte nicht unsre einheimische Wolfs- milch gesehen, deren weißer, milchähnlicher Saft vom Volksglau- ben als Mittel gegen Warzen empfohlen wird. Wer hätte nicht in seiner Jugend wenigstens mit dem Schöllkraut Bekanntschaft ge- macht, aus dessen Stengel und Blatt, wenn man sie abreißt, eine schöne orangenfarbene Milch ausfließt. Wer hätte nicht schon beobachtet, daß aus unserem Salat, wenn er aufgeschossen, bei der leisesten Berührung eine milchweiße Flüssigkeit hervorspritzt. Aber das Vorkommen solcher milchiger Säfte bei den Pflanzen ist nicht auf diese wenigen beschränkt. Die nützlichsten wie die giftigsten Stoffe bietet uns die Pflanzenwelt zum Theil in diesen Milchsäften, und ich will hier nur an das Opium, den eingetrockneten Milchsaft unseres großen Gartenmohns, erinnern.
Eine größere Anzahl von Pflanzen, welche insbesondere drei großen Familien angehören, nämlich den Wolfsmilcharten, den Apocyneen (Juss.) und den Nesselpflanzen, zeichnen sich durch einen eigenthümlichen anatomischen Bau aus. In ihrer Rinde und auch zum Theil in ihrem Marke finden wir eine Menge langer, vielfach gebogener und unter einander verästelter Röhren, die den Adern der Thiere nicht ganz unähnlich sind. Diese Aehnlichkeit hat auch den Prof. Schultze in Berlin verführt, eine weitläufige Theorie der Cir- culation über diese Gebilde und die in ihnen enthaltenen Flüssigkei-
gehören der heißen Zone an. Schon A. v. Humboldt bemerkt in ſeinen Ideen zu einer Pflanzengeographie, daß ſich die Milchſaft ge- benden Pflanzen vermehren, ſo wie man ſich den Tropen nähert. Es iſt aber gerade der Milchſaft der Pflanzen, welcher dieſe eigen- thümliche elaſtiſche Subſtanz enthält. Die tropiſche Wärme ſcheint auf die Ausbildung derſelben einen entſchiedenen Einfluß auszuü- ben, denn man hat die Bemerkung gemacht, daß dieſelben Pflanzen, welche unter dem Aequator reichlich Kaoutſchouck liefern, ſtatt deſ- ſen bei uns, ſelbſt in den Treibhäuſern, einen Stoff enthalten, der dem aus unſerer einheimiſchen Miſtel gewonnenen Vogelleim gleichkommt.
Wer von meinen Leſern hätte nicht unſre einheimiſche Wolfs- milch geſehen, deren weißer, milchähnlicher Saft vom Volksglau- ben als Mittel gegen Warzen empfohlen wird. Wer hätte nicht in ſeiner Jugend wenigſtens mit dem Schöllkraut Bekanntſchaft ge- macht, aus deſſen Stengel und Blatt, wenn man ſie abreißt, eine ſchöne orangenfarbene Milch ausfließt. Wer hätte nicht ſchon beobachtet, daß aus unſerem Salat, wenn er aufgeſchoſſen, bei der leiſeſten Berührung eine milchweiße Flüſſigkeit hervorſpritzt. Aber das Vorkommen ſolcher milchiger Säfte bei den Pflanzen iſt nicht auf dieſe wenigen beſchränkt. Die nützlichſten wie die giftigſten Stoffe bietet uns die Pflanzenwelt zum Theil in dieſen Milchſäften, und ich will hier nur an das Opium, den eingetrockneten Milchſaft unſeres großen Gartenmohns, erinnern.
Eine größere Anzahl von Pflanzen, welche insbeſondere drei großen Familien angehören, nämlich den Wolfsmilcharten, den Apocyneen (Juss.) und den Neſſelpflanzen, zeichnen ſich durch einen eigenthümlichen anatomiſchen Bau aus. In ihrer Rinde und auch zum Theil in ihrem Marke finden wir eine Menge langer, vielfach gebogener und unter einander veräſtelter Röhren, die den Adern der Thiere nicht ganz unähnlich ſind. Dieſe Aehnlichkeit hat auch den Prof. Schultze in Berlin verführt, eine weitläufige Theorie der Cir- culation über dieſe Gebilde und die in ihnen enthaltenen Flüſſigkei-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0191"n="175"/>
gehören der heißen Zone an. Schon A. v. <hirendition="#g">Humboldt</hi> bemerkt in<lb/>ſeinen Ideen zu einer Pflanzengeographie, daß ſich die Milchſaft ge-<lb/>
benden Pflanzen vermehren, ſo wie man ſich den Tropen nähert.<lb/>
Es iſt aber gerade der <hirendition="#g">Milchſaft</hi> der Pflanzen, welcher dieſe eigen-<lb/>
thümliche elaſtiſche Subſtanz enthält. Die tropiſche Wärme ſcheint<lb/>
auf die Ausbildung derſelben einen entſchiedenen Einfluß auszuü-<lb/>
ben, denn man hat die Bemerkung gemacht, daß dieſelben Pflanzen,<lb/>
welche unter dem Aequator reichlich Kaoutſchouck liefern, ſtatt deſ-<lb/>ſen bei uns, ſelbſt in den Treibhäuſern, einen Stoff enthalten,<lb/>
der dem aus unſerer einheimiſchen Miſtel gewonnenen Vogelleim<lb/>
gleichkommt.</p><lb/><p>Wer von meinen Leſern hätte nicht unſre einheimiſche Wolfs-<lb/>
milch geſehen, deren weißer, milchähnlicher Saft vom Volksglau-<lb/>
ben als Mittel gegen Warzen empfohlen wird. Wer hätte nicht in<lb/>ſeiner Jugend wenigſtens mit dem Schöllkraut Bekanntſchaft ge-<lb/>
macht, aus deſſen Stengel und Blatt, wenn man ſie abreißt, eine<lb/>ſchöne orangenfarbene Milch ausfließt. Wer hätte nicht ſchon<lb/>
beobachtet, daß aus unſerem Salat, wenn er aufgeſchoſſen, bei der<lb/>
leiſeſten Berührung eine milchweiße Flüſſigkeit hervorſpritzt. Aber<lb/>
das Vorkommen ſolcher milchiger Säfte bei den Pflanzen iſt nicht<lb/>
auf dieſe wenigen beſchränkt. Die nützlichſten wie die giftigſten<lb/>
Stoffe bietet uns die Pflanzenwelt zum Theil in dieſen Milchſäften,<lb/>
und ich will hier nur an das Opium, den eingetrockneten Milchſaft<lb/>
unſeres großen Gartenmohns, erinnern.</p><lb/><p>Eine größere Anzahl von Pflanzen, welche insbeſondere drei<lb/>
großen Familien angehören, nämlich den <hirendition="#g">Wolfsmilcharten</hi>, den<lb/><hirendition="#g">Apocyneen</hi> (<hirendition="#aq">Juss.</hi>) und den <hirendition="#g">Neſſelpflanzen</hi>, zeichnen ſich durch<lb/>
einen eigenthümlichen anatomiſchen Bau aus. In ihrer Rinde und auch<lb/>
zum Theil in ihrem Marke finden wir eine Menge langer, vielfach<lb/>
gebogener und unter einander veräſtelter Röhren, die den Adern der<lb/>
Thiere nicht ganz unähnlich ſind. Dieſe Aehnlichkeit hat auch den<lb/>
Prof. <hirendition="#g">Schultze</hi> in Berlin verführt, eine weitläufige Theorie der Cir-<lb/>
culation über dieſe Gebilde und die in ihnen enthaltenen Flüſſigkei-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[175/0191]
gehören der heißen Zone an. Schon A. v. Humboldt bemerkt in
ſeinen Ideen zu einer Pflanzengeographie, daß ſich die Milchſaft ge-
benden Pflanzen vermehren, ſo wie man ſich den Tropen nähert.
Es iſt aber gerade der Milchſaft der Pflanzen, welcher dieſe eigen-
thümliche elaſtiſche Subſtanz enthält. Die tropiſche Wärme ſcheint
auf die Ausbildung derſelben einen entſchiedenen Einfluß auszuü-
ben, denn man hat die Bemerkung gemacht, daß dieſelben Pflanzen,
welche unter dem Aequator reichlich Kaoutſchouck liefern, ſtatt deſ-
ſen bei uns, ſelbſt in den Treibhäuſern, einen Stoff enthalten,
der dem aus unſerer einheimiſchen Miſtel gewonnenen Vogelleim
gleichkommt.
Wer von meinen Leſern hätte nicht unſre einheimiſche Wolfs-
milch geſehen, deren weißer, milchähnlicher Saft vom Volksglau-
ben als Mittel gegen Warzen empfohlen wird. Wer hätte nicht in
ſeiner Jugend wenigſtens mit dem Schöllkraut Bekanntſchaft ge-
macht, aus deſſen Stengel und Blatt, wenn man ſie abreißt, eine
ſchöne orangenfarbene Milch ausfließt. Wer hätte nicht ſchon
beobachtet, daß aus unſerem Salat, wenn er aufgeſchoſſen, bei der
leiſeſten Berührung eine milchweiße Flüſſigkeit hervorſpritzt. Aber
das Vorkommen ſolcher milchiger Säfte bei den Pflanzen iſt nicht
auf dieſe wenigen beſchränkt. Die nützlichſten wie die giftigſten
Stoffe bietet uns die Pflanzenwelt zum Theil in dieſen Milchſäften,
und ich will hier nur an das Opium, den eingetrockneten Milchſaft
unſeres großen Gartenmohns, erinnern.
Eine größere Anzahl von Pflanzen, welche insbeſondere drei
großen Familien angehören, nämlich den Wolfsmilcharten, den
Apocyneen (Juss.) und den Neſſelpflanzen, zeichnen ſich durch
einen eigenthümlichen anatomiſchen Bau aus. In ihrer Rinde und auch
zum Theil in ihrem Marke finden wir eine Menge langer, vielfach
gebogener und unter einander veräſtelter Röhren, die den Adern der
Thiere nicht ganz unähnlich ſind. Dieſe Aehnlichkeit hat auch den
Prof. Schultze in Berlin verführt, eine weitläufige Theorie der Cir-
culation über dieſe Gebilde und die in ihnen enthaltenen Flüſſigkei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/191>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.