Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.Und dürfen wir uns hier überhaupt den Kindern entziehen? Sind Holde Blumen schauen uns Mit ihren Kinderaugen freundlich an. -- Es beruht auf der ähnlichen Stimmung, welche durch das An- Dies mag genügen, um das Band aufzuweisen, welches den In- Und dürfen wir uns hier überhaupt den Kindern entziehen? Sind Holde Blumen ſchauen uns Mit ihren Kinderaugen freundlich an. — Es beruht auf der ähnlichen Stimmung, welche durch das An- Dies mag genügen, um das Band aufzuweiſen, welches den In- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0025" n="9"/> <p>Und dürfen wir uns hier überhaupt den Kindern entziehen? Sind<lb/> denn die Kinder nicht Blumen, die Blumen nicht Kinder, — eine<lb/> bewußtloſe Entwicklung, ein friedliches, freundliches, aber noch träu-<lb/> meriſches Daſeyn — wie nah muß dieſer Vergleich liegen, der ſo<lb/> oft ſchon von Dichtern ausgeſprochen iſt:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Holde Blumen ſchauen uns</l><lb/> <l>Mit ihren Kinderaugen freundlich an. —</l> </lg><lb/> <p>Es beruht auf der ähnlichen Stimmung, welche durch das An-<lb/> ſchauen von Kindern und Blumen in unſerer Seele hervorgerufen<lb/> wird. Nun aber wird jeder gewiß ſogleich zugeben, daß dieſe Aehnlichkeit<lb/> ſich nur auf gewiſſe Blumen einſchränkt. Niemand wird daſſelbe von<lb/> der weißen Lilie, von der krötenfarbenen Stapelie, von der zauber-<lb/> haften Königin der Nacht behaupten. Noch weniger gilt Aehn-<lb/> liches vom ganzen Pflanzenreich. Auf den ſinnigen Menſchen macht<lb/> vielmehr dieſes einen äußerſt verſchiedenen Eindruck nach ſeinen man-<lb/> nigfachen Erſcheinungsweiſen, aber immer einen ſo unabweislichen,<lb/> daß kaum der roheſte Menſch ſich überall demſelben entziehen kann.<lb/> Wie die ganze Natur, ſo iſt auch die Pflanzenwelt uns eine Hiero-<lb/> glyphe des Ewigen; in den irdiſchen Geſtaltungen ſuchen und finden<lb/> wir Deutungen auf ein überirdiſches Daſeyn. Wohl ließe ſich dafür<lb/> eine eigne Disciplin denken, die Aeſthetik der Pflanzen (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">XII.</hi></hi>), in<lb/> welcher dieſe nach ihrem Verhältniß zum menſchlichen Geiſte betrachtet<lb/> werden. Aber leider beſitzen wir dieſe Lehre noch gar nicht, einige<lb/> Andeutungen und Bruchſtücke müſſen ihre Stelle vertreten.</p><lb/> <p>Dies mag genügen, um das Band aufzuweiſen, welches den In-<lb/> halt der einzelnen Vorleſungen zu einem gewiſſen Ganzen verknüpft;<lb/> es wird aber noch einiges über das Gewand nachzutragen nöthig<lb/> ſeyn, in welchem dieſe Vorleſungen vor dem Publicum erſcheinen.<lb/> „Kleider machen Leute“, ſagt man, weshalb ſollten Kleider denn<lb/> nicht auch Vorleſungen machen können. Dies iſt in der That nur<lb/> zum Theil Scherz, in gewiſſer Weiſe aber bitterer Ernſt. — Die Auf-<lb/> ſätze, welche hier vorliegend, wurden nicht für das leſende, abweſende<lb/> Publicum, ſondern für das hörende und ſehende, gegenwärtige auf-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0025]
Und dürfen wir uns hier überhaupt den Kindern entziehen? Sind
denn die Kinder nicht Blumen, die Blumen nicht Kinder, — eine
bewußtloſe Entwicklung, ein friedliches, freundliches, aber noch träu-
meriſches Daſeyn — wie nah muß dieſer Vergleich liegen, der ſo
oft ſchon von Dichtern ausgeſprochen iſt:
Holde Blumen ſchauen uns
Mit ihren Kinderaugen freundlich an. —
Es beruht auf der ähnlichen Stimmung, welche durch das An-
ſchauen von Kindern und Blumen in unſerer Seele hervorgerufen
wird. Nun aber wird jeder gewiß ſogleich zugeben, daß dieſe Aehnlichkeit
ſich nur auf gewiſſe Blumen einſchränkt. Niemand wird daſſelbe von
der weißen Lilie, von der krötenfarbenen Stapelie, von der zauber-
haften Königin der Nacht behaupten. Noch weniger gilt Aehn-
liches vom ganzen Pflanzenreich. Auf den ſinnigen Menſchen macht
vielmehr dieſes einen äußerſt verſchiedenen Eindruck nach ſeinen man-
nigfachen Erſcheinungsweiſen, aber immer einen ſo unabweislichen,
daß kaum der roheſte Menſch ſich überall demſelben entziehen kann.
Wie die ganze Natur, ſo iſt auch die Pflanzenwelt uns eine Hiero-
glyphe des Ewigen; in den irdiſchen Geſtaltungen ſuchen und finden
wir Deutungen auf ein überirdiſches Daſeyn. Wohl ließe ſich dafür
eine eigne Disciplin denken, die Aeſthetik der Pflanzen (XII.), in
welcher dieſe nach ihrem Verhältniß zum menſchlichen Geiſte betrachtet
werden. Aber leider beſitzen wir dieſe Lehre noch gar nicht, einige
Andeutungen und Bruchſtücke müſſen ihre Stelle vertreten.
Dies mag genügen, um das Band aufzuweiſen, welches den In-
halt der einzelnen Vorleſungen zu einem gewiſſen Ganzen verknüpft;
es wird aber noch einiges über das Gewand nachzutragen nöthig
ſeyn, in welchem dieſe Vorleſungen vor dem Publicum erſcheinen.
„Kleider machen Leute“, ſagt man, weshalb ſollten Kleider denn
nicht auch Vorleſungen machen können. Dies iſt in der That nur
zum Theil Scherz, in gewiſſer Weiſe aber bitterer Ernſt. — Die Auf-
ſätze, welche hier vorliegend, wurden nicht für das leſende, abweſende
Publicum, ſondern für das hörende und ſehende, gegenwärtige auf-
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