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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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bestimmten ästhetischen Eindruck zusammengesetzt. Man kann solche
Pflanzengruppirungen, wie Wald, Wiese, Haide u. s. w.,
Pflanzenformationen nennen, und gewiß verdienen sie eine
bei Weitem tiefere Erforschung und sorgfältigere Darstellung als ihnen
bisher zu Theil geworden ist.

Wir werden aber, wenn wir näher treten, bald darauf geführt,
daß ihr eigenthümlicher Charakter wieder in mannigfacher Weise be-
dingt ist von dem so zu sagen physiognomischen Ausdrucke der Pflan-
zenarten, woraus sie bestehen. Die Botaniker unterscheiden nach
mannigfachen Merkmalen, am besten und wissenschaftlichsten nach
den eigenthümlichen Verschiedenheiten und Aehnlichkeiten in der gan-
zen Entwickelungsgeschichte der Pflanzen zahlreiche größere und klei-
nere Gruppen, welche man gemeinhin als Familien bezeichnet. Die
zu einer Familie gerechneten Pflanzen verknüpft natürlich ein enges
verwandtschaftliches Band, und wer sich auf feinere physiognomische
Studien versteht, dem werden auch die feineren Familienzüge, in
denen alle übereinstimmen, nicht entgehen. Aber so wie im Großen
unter Menschen uns doch zunächst die von Familienverwandtschaften
ganz unabhängigen Racencharaktere und Spielartenbezeichnungen:
Kalmückenaugen, Negerschädel, Habichtsnasen,
Blondinen
und Brünetten u. dgl. auffallend entgegentreten, so
sind es auch unter den Pflanzen durchaus nicht die Aehnlichkeiten und
Verschiedenheiten, welche durch die wirkliche natürliche Verwandtschaft
hervorgerufen werden, sondern es sind vielmehr allgemeinere, meistens
in vielen Familien zugleich vorkommende Eigenthümlichkeiten der Er-
scheinung und des Baues der Pflanzen, von welchen ihre physiogno-
mische Bedeutung für die Zusammensetzung der botanischen Formatio-
nen und somit der Landschaften abhängig ist. Die Beachtung dieser
Eigenschaften der Pflanzen läßt uns denn für sie gewisse allgemeine
Formen aufstellen, nach welchen ohne Rücksicht auf die natürliche
innere Verwandtschaft die Pflanzen nur danach zusammengeordnet
werden, wie sie einen gleichen gemeinschaftlichen ästhetischen Ein-
druck auf uns machen und zugleich als Charakter bestimmend in den

beſtimmten äſthetiſchen Eindruck zuſammengeſetzt. Man kann ſolche
Pflanzengruppirungen, wie Wald, Wieſe, Haide u. ſ. w.,
Pflanzenformationen nennen, und gewiß verdienen ſie eine
bei Weitem tiefere Erforſchung und ſorgfältigere Darſtellung als ihnen
bisher zu Theil geworden iſt.

Wir werden aber, wenn wir näher treten, bald darauf geführt,
daß ihr eigenthümlicher Charakter wieder in mannigfacher Weiſe be-
dingt iſt von dem ſo zu ſagen phyſiognomiſchen Ausdrucke der Pflan-
zenarten, woraus ſie beſtehen. Die Botaniker unterſcheiden nach
mannigfachen Merkmalen, am beſten und wiſſenſchaftlichſten nach
den eigenthümlichen Verſchiedenheiten und Aehnlichkeiten in der gan-
zen Entwickelungsgeſchichte der Pflanzen zahlreiche größere und klei-
nere Gruppen, welche man gemeinhin als Familien bezeichnet. Die
zu einer Familie gerechneten Pflanzen verknüpft natürlich ein enges
verwandtſchaftliches Band, und wer ſich auf feinere phyſiognomiſche
Studien verſteht, dem werden auch die feineren Familienzüge, in
denen alle übereinſtimmen, nicht entgehen. Aber ſo wie im Großen
unter Menſchen uns doch zunächſt die von Familienverwandtſchaften
ganz unabhängigen Raçencharaktere und Spielartenbezeichnungen:
Kalmückenaugen, Negerſchädel, Habichtsnaſen,
Blondinen
und Brünetten u. dgl. auffallend entgegentreten, ſo
ſind es auch unter den Pflanzen durchaus nicht die Aehnlichkeiten und
Verſchiedenheiten, welche durch die wirkliche natürliche Verwandtſchaft
hervorgerufen werden, ſondern es ſind vielmehr allgemeinere, meiſtens
in vielen Familien zugleich vorkommende Eigenthümlichkeiten der Er-
ſcheinung und des Baues der Pflanzen, von welchen ihre phyſiogno-
miſche Bedeutung für die Zuſammenſetzung der botaniſchen Formatio-
nen und ſomit der Landſchaften abhängig iſt. Die Beachtung dieſer
Eigenſchaften der Pflanzen läßt uns denn für ſie gewiſſe allgemeine
Formen aufſtellen, nach welchen ohne Rückſicht auf die natürliche
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[300/0316] beſtimmten äſthetiſchen Eindruck zuſammengeſetzt. Man kann ſolche Pflanzengruppirungen, wie Wald, Wieſe, Haide u. ſ. w., Pflanzenformationen nennen, und gewiß verdienen ſie eine bei Weitem tiefere Erforſchung und ſorgfältigere Darſtellung als ihnen bisher zu Theil geworden iſt. Wir werden aber, wenn wir näher treten, bald darauf geführt, daß ihr eigenthümlicher Charakter wieder in mannigfacher Weiſe be- dingt iſt von dem ſo zu ſagen phyſiognomiſchen Ausdrucke der Pflan- zenarten, woraus ſie beſtehen. Die Botaniker unterſcheiden nach mannigfachen Merkmalen, am beſten und wiſſenſchaftlichſten nach den eigenthümlichen Verſchiedenheiten und Aehnlichkeiten in der gan- zen Entwickelungsgeſchichte der Pflanzen zahlreiche größere und klei- nere Gruppen, welche man gemeinhin als Familien bezeichnet. Die zu einer Familie gerechneten Pflanzen verknüpft natürlich ein enges verwandtſchaftliches Band, und wer ſich auf feinere phyſiognomiſche Studien verſteht, dem werden auch die feineren Familienzüge, in denen alle übereinſtimmen, nicht entgehen. Aber ſo wie im Großen unter Menſchen uns doch zunächſt die von Familienverwandtſchaften ganz unabhängigen Raçencharaktere und Spielartenbezeichnungen: Kalmückenaugen, Negerſchädel, Habichtsnaſen, Blondinen und Brünetten u. dgl. auffallend entgegentreten, ſo ſind es auch unter den Pflanzen durchaus nicht die Aehnlichkeiten und Verſchiedenheiten, welche durch die wirkliche natürliche Verwandtſchaft hervorgerufen werden, ſondern es ſind vielmehr allgemeinere, meiſtens in vielen Familien zugleich vorkommende Eigenthümlichkeiten der Er- ſcheinung und des Baues der Pflanzen, von welchen ihre phyſiogno- miſche Bedeutung für die Zuſammenſetzung der botaniſchen Formatio- nen und ſomit der Landſchaften abhängig iſt. Die Beachtung dieſer Eigenſchaften der Pflanzen läßt uns denn für ſie gewiſſe allgemeine Formen aufſtellen, nach welchen ohne Rückſicht auf die natürliche innere Verwandtſchaft die Pflanzen nur danach zuſammengeordnet werden, wie ſie einen gleichen gemeinſchaftlichen äſthetiſchen Ein- druck auf uns machen und zugleich als Charakter beſtimmend in den

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/316>, abgerufen am 21.11.2024.