ersten Theil, so zeigt sich eine bedeutende Verschiedenheit unter ihnen. Die drei ersten reihen nur Einzelnes aneinander, ohne bestimmtes Zeitverhältniß; man sieht das Zeitbild, wie das Ein- zelne verlaufen ist, hat den Verfassern nicht vorgeschwebt. Bei Johannes dagegen finden wir wenigstens äußerlich was eine Con- tinuität voraussezt. Die Differenz zwischen dem ersten und zwei- ten Theile ist zwar auch in ihm, aber seine Leidensgeschichte ist weniger ununterbrochen, als bei den drei ersten, sie hat offenbar Lücken. Dagegen ist der erste Theil bei ihm ein Continuum. Wir bekommen in seiner Darstellung ein Zeitbild mit festen Punkten. Noch mehr, es liegt der Darstellung offenbar die Idee der Bio- graphie zum Grunde. Nichts Einzelnes wird nur um sein selbst willen erzählt, sondern als Theil eines Ganzen. Christus als Einzelner erscheint hier als eine öffentliche Person in Verhältniß zum Nationalleben, und dieß ist die Einheit, die freilich mannig- faltig differenzirt ist. Dieser Gesichtspunkt ist überall festzuhal- ten. Wir sehen das Verhältniß Christi zur Volksmasse und zu den Auctoritäten wie es sich entwickelt, wie Volk und Auctoritäten in Beziehung auf Christus in Gegensaz miteinander treten, und das Ende als Katastrophe, als Peripetie, als Resultat jener Span- nungen erscheint. Während also bei Johannes die biographische Idee zum Grunde liegt und sich darauf die Einheit des Ganzen bezieht, finden wir bei den andern Evangelisten nur ein Aggregat von Einzelheiten, so daß wir die biographische Idee bei ihnen negiren müssen. Bei diesen entsteht nun die Frage, nach wel- chem Gesichtspunkte sie die Sammlung von Einzelheiten gemacht haben? Hätten wir eine genaue Kenntniß von dem Leben dersel- ben, von ihrem Vorstellungsmaterial, von der Masse der Einzel- heiten, die jedem zu Gebote standen, u. s. w., so könnten wir bestimmen, nach welchem Gesichtspunkte die Zusammenstellung quan- titativ und qualitativ gemacht sei. Allein eben hier wird die Lö- sung der hermeneutischen Aufgabe wieder durch die historische Kri- tik bedingt und umgekehrt. Je nachdem man der einen oder der andern Hypothese der historischen Kritik über den Ursprung des
erſten Theil, ſo zeigt ſich eine bedeutende Verſchiedenheit unter ihnen. Die drei erſten reihen nur Einzelnes aneinander, ohne beſtimmtes Zeitverhaͤltniß; man ſieht das Zeitbild, wie das Ein- zelne verlaufen iſt, hat den Verfaſſern nicht vorgeſchwebt. Bei Johannes dagegen finden wir wenigſtens aͤußerlich was eine Con- tinuitaͤt vorausſezt. Die Differenz zwiſchen dem erſten und zwei- ten Theile iſt zwar auch in ihm, aber ſeine Leidensgeſchichte iſt weniger ununterbrochen, als bei den drei erſten, ſie hat offenbar Luͤcken. Dagegen iſt der erſte Theil bei ihm ein Continuum. Wir bekommen in ſeiner Darſtellung ein Zeitbild mit feſten Punkten. Noch mehr, es liegt der Darſtellung offenbar die Idee der Bio- graphie zum Grunde. Nichts Einzelnes wird nur um ſein ſelbſt willen erzaͤhlt, ſondern als Theil eines Ganzen. Chriſtus als Einzelner erſcheint hier als eine oͤffentliche Perſon in Verhaͤltniß zum Nationalleben, und dieß iſt die Einheit, die freilich mannig- faltig differenzirt iſt. Dieſer Geſichtspunkt iſt uͤberall feſtzuhal- ten. Wir ſehen das Verhaͤltniß Chriſti zur Volksmaſſe und zu den Auctoritaͤten wie es ſich entwickelt, wie Volk und Auctoritaͤten in Beziehung auf Chriſtus in Gegenſaz miteinander treten, und das Ende als Kataſtrophe, als Peripetie, als Reſultat jener Span- nungen erſcheint. Waͤhrend alſo bei Johannes die biographiſche Idee zum Grunde liegt und ſich darauf die Einheit des Ganzen bezieht, finden wir bei den andern Evangeliſten nur ein Aggregat von Einzelheiten, ſo daß wir die biographiſche Idee bei ihnen negiren muͤſſen. Bei dieſen entſteht nun die Frage, nach wel- chem Geſichtspunkte ſie die Sammlung von Einzelheiten gemacht haben? Haͤtten wir eine genaue Kenntniß von dem Leben derſel- ben, von ihrem Vorſtellungsmaterial, von der Maſſe der Einzel- heiten, die jedem zu Gebote ſtanden, u. ſ. w., ſo koͤnnten wir beſtimmen, nach welchem Geſichtspunkte die Zuſammenſtellung quan- titativ und qualitativ gemacht ſei. Allein eben hier wird die Loͤ- ſung der hermeneutiſchen Aufgabe wieder durch die hiſtoriſche Kri- tik bedingt und umgekehrt. Je nachdem man der einen oder der andern Hypotheſe der hiſtoriſchen Kritik uͤber den Urſprung des
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erſten Theil, ſo zeigt ſich eine bedeutende Verſchiedenheit unter
ihnen. Die drei erſten reihen nur Einzelnes aneinander, ohne
beſtimmtes Zeitverhaͤltniß; man ſieht das Zeitbild, wie das Ein-
zelne verlaufen iſt, hat den Verfaſſern nicht vorgeſchwebt. Bei
Johannes dagegen finden wir wenigſtens aͤußerlich was eine Con-
tinuitaͤt vorausſezt. Die Differenz zwiſchen dem erſten und zwei-
ten Theile iſt zwar auch in ihm, aber ſeine Leidensgeſchichte iſt
weniger ununterbrochen, als bei den drei erſten, ſie hat offenbar
Luͤcken. Dagegen iſt der erſte Theil bei ihm ein Continuum.
Wir bekommen in ſeiner Darſtellung ein Zeitbild mit feſten Punkten.
Noch mehr, es liegt der Darſtellung offenbar die Idee der Bio-
graphie zum Grunde. Nichts Einzelnes wird nur um ſein ſelbſt
willen erzaͤhlt, ſondern als Theil eines Ganzen. Chriſtus als
Einzelner erſcheint hier als eine oͤffentliche Perſon in Verhaͤltniß
zum Nationalleben, und dieß iſt die Einheit, die freilich mannig-
faltig differenzirt iſt. Dieſer Geſichtspunkt iſt uͤberall feſtzuhal-
ten. Wir ſehen das Verhaͤltniß Chriſti zur Volksmaſſe und zu den
Auctoritaͤten wie es ſich entwickelt, wie Volk und Auctoritaͤten
in Beziehung auf Chriſtus in Gegenſaz miteinander treten, und
das Ende als Kataſtrophe, als Peripetie, als Reſultat jener Span-
nungen erſcheint. Waͤhrend alſo bei Johannes die biographiſche
Idee zum Grunde liegt und ſich darauf die Einheit des Ganzen
bezieht, finden wir bei den andern Evangeliſten nur ein Aggregat
von Einzelheiten, ſo daß wir die biographiſche Idee bei ihnen
negiren muͤſſen. Bei dieſen entſteht nun die Frage, nach wel-
chem Geſichtspunkte ſie die Sammlung von Einzelheiten gemacht
haben? Haͤtten wir eine genaue Kenntniß von dem Leben derſel-
ben, von ihrem Vorſtellungsmaterial, von der Maſſe der Einzel-
heiten, die jedem zu Gebote ſtanden, u. ſ. w., ſo koͤnnten wir
beſtimmen, nach welchem Geſichtspunkte die Zuſammenſtellung quan-
titativ und qualitativ gemacht ſei. Allein eben hier wird die Loͤ-
ſung der hermeneutiſchen Aufgabe wieder durch die hiſtoriſche Kri-
tik bedingt und umgekehrt. Je nachdem man der einen oder der
andern Hypotheſe der hiſtoriſchen Kritik uͤber den Urſprung des
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/198>, abgerufen am 04.12.2024.
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