Nun aber haben wir noch zu beachten, daß die Briefform, wenn sie nicht rein subjectiv ist, eine bestimmte Annäherung an das Rhetorische haben kann. Das Didaktische will Erkennntnisse mittheilen, das Rhetorische einen Entschluß hervorrufen, sofern er in Handlungen übergeht. Wenn nun Jemand einen solchen Entschluß hervorrufen will, so wird sich die Mittheilung auf Bestimmtes im Leben beziehen, und da kann eben so große Strenge statt finden, wie in der öffentlichen Rede, wo man den zu bewegenden vor sich hat. Dadurch wird aber das sich gehen lassen durchaus negirt, indem hier die Nothwendigkeit gesezt ist, den Entschluß hervorzubringen, der für den Empfänger mit der Ausführung ein Akt sein kann, indem alle Theile zusammenwirken. Wollte eine solche Rede sich so ausdehnen, daß die ersten Anfänge sollten aus der Erinnerung verschwunden sein, bevor man sie zu Ende gelesen, so brauchte sie gar nicht geschrieben zu werden. Es sind hier also bestimmte Gränzen gesteckt, und alles ist zurückzuhalten, was zur Er- reichung des Zweckes nicht mitwirken kann. Hier haben wir Extreme, aber zwischen diesen Extremen giebt es mannigfaltige Übergänge.
Wie finden wir nun in einem gegebenen Falle die Einheit? Wo in einem Briefe nur Didaktisches oder Rhetorisches ist, da wird die Einheit nicht verfehlt werden können. Wo aber eine solche didaktische oder rhetorische Einheit ganz fehlt, da ist Acht zu haben, wie die Einheitlosigkeit oder die verringerte Einheit durch die gegenseitigen Verhältnisse zwischen Briefsteller und Briefempfän- ger modificirt ist. Was sich von dieser Form an das letztere, die verringerte Einheit, anschließt, ist die schwierigere Seite der Aufgabe, was sich an das erstere, die Einheitlosigkeit, anschließt, die leichtere. In dem ersteren ist die Duplicität des Didaktischen und Rhetorischen. Wird eine versteckte Absicht durch einzelne zerstreuete Punkte in der freien Mittheilung der Art wahrscheinlich, so ist eher ein rhetorischer Zweck, als ein didaktischer zu vermuthen. Im Didaktischen wohl nur dann, wenn die Absicht des Belehrens bei den zu belehrenden auf directem Wege nicht erreicht werden kann, sondern indirect und unvermerkt. Viel leichter aber kann
Nun aber haben wir noch zu beachten, daß die Briefform, wenn ſie nicht rein ſubjectiv iſt, eine beſtimmte Annaͤherung an das Rhetoriſche haben kann. Das Didaktiſche will Erkennntniſſe mittheilen, das Rhetoriſche einen Entſchluß hervorrufen, ſofern er in Handlungen uͤbergeht. Wenn nun Jemand einen ſolchen Entſchluß hervorrufen will, ſo wird ſich die Mittheilung auf Beſtimmtes im Leben beziehen, und da kann eben ſo große Strenge ſtatt finden, wie in der oͤffentlichen Rede, wo man den zu bewegenden vor ſich hat. Dadurch wird aber das ſich gehen laſſen durchaus negirt, indem hier die Nothwendigkeit geſezt iſt, den Entſchluß hervorzubringen, der fuͤr den Empfaͤnger mit der Ausfuͤhrung ein Akt ſein kann, indem alle Theile zuſammenwirken. Wollte eine ſolche Rede ſich ſo ausdehnen, daß die erſten Anfaͤnge ſollten aus der Erinnerung verſchwunden ſein, bevor man ſie zu Ende geleſen, ſo brauchte ſie gar nicht geſchrieben zu werden. Es ſind hier alſo beſtimmte Graͤnzen geſteckt, und alles iſt zuruͤckzuhalten, was zur Er- reichung des Zweckes nicht mitwirken kann. Hier haben wir Extreme, aber zwiſchen dieſen Extremen giebt es mannigfaltige Übergaͤnge.
Wie finden wir nun in einem gegebenen Falle die Einheit? Wo in einem Briefe nur Didaktiſches oder Rhetoriſches iſt, da wird die Einheit nicht verfehlt werden koͤnnen. Wo aber eine ſolche didaktiſche oder rhetoriſche Einheit ganz fehlt, da iſt Acht zu haben, wie die Einheitloſigkeit oder die verringerte Einheit durch die gegenſeitigen Verhaͤltniſſe zwiſchen Briefſteller und Briefempfaͤn- ger modificirt iſt. Was ſich von dieſer Form an das letztere, die verringerte Einheit, anſchließt, iſt die ſchwierigere Seite der Aufgabe, was ſich an das erſtere, die Einheitloſigkeit, anſchließt, die leichtere. In dem erſteren iſt die Duplicitaͤt des Didaktiſchen und Rhetoriſchen. Wird eine verſteckte Abſicht durch einzelne zerſtreuete Punkte in der freien Mittheilung der Art wahrſcheinlich, ſo iſt eher ein rhetoriſcher Zweck, als ein didaktiſcher zu vermuthen. Im Didaktiſchen wohl nur dann, wenn die Abſicht des Belehrens bei den zu belehrenden auf directem Wege nicht erreicht werden kann, ſondern indirect und unvermerkt. Viel leichter aber kann
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Nun aber haben wir noch zu beachten, daß die Briefform,
wenn ſie nicht rein ſubjectiv iſt, eine beſtimmte Annaͤherung an
das Rhetoriſche haben kann. Das Didaktiſche will Erkennntniſſe
mittheilen, das Rhetoriſche einen Entſchluß hervorrufen, ſofern er in
Handlungen uͤbergeht. Wenn nun Jemand einen ſolchen Entſchluß
hervorrufen will, ſo wird ſich die Mittheilung auf Beſtimmtes
im Leben beziehen, und da kann eben ſo große Strenge ſtatt
finden, wie in der oͤffentlichen Rede, wo man den zu bewegenden
vor ſich hat. Dadurch wird aber das ſich gehen laſſen durchaus
negirt, indem hier die Nothwendigkeit geſezt iſt, den Entſchluß
hervorzubringen, der fuͤr den Empfaͤnger mit der Ausfuͤhrung
ein Akt ſein kann, indem alle Theile zuſammenwirken. Wollte
eine ſolche Rede ſich ſo ausdehnen, daß die erſten Anfaͤnge ſollten
aus der Erinnerung verſchwunden ſein, bevor man ſie zu Ende geleſen,
ſo brauchte ſie gar nicht geſchrieben zu werden. Es ſind hier alſo
beſtimmte Graͤnzen geſteckt, und alles iſt zuruͤckzuhalten, was zur Er-
reichung des Zweckes nicht mitwirken kann. Hier haben wir Extreme,
aber zwiſchen dieſen Extremen giebt es mannigfaltige Übergaͤnge.
Wie finden wir nun in einem gegebenen Falle die Einheit?
Wo in einem Briefe nur Didaktiſches oder Rhetoriſches iſt, da
wird die Einheit nicht verfehlt werden koͤnnen. Wo aber eine
ſolche didaktiſche oder rhetoriſche Einheit ganz fehlt, da iſt Acht zu
haben, wie die Einheitloſigkeit oder die verringerte Einheit durch
die gegenſeitigen Verhaͤltniſſe zwiſchen Briefſteller und Briefempfaͤn-
ger modificirt iſt. Was ſich von dieſer Form an das letztere,
die verringerte Einheit, anſchließt, iſt die ſchwierigere Seite der
Aufgabe, was ſich an das erſtere, die Einheitloſigkeit, anſchließt,
die leichtere. In dem erſteren iſt die Duplicitaͤt des Didaktiſchen und
Rhetoriſchen. Wird eine verſteckte Abſicht durch einzelne zerſtreuete
Punkte in der freien Mittheilung der Art wahrſcheinlich, ſo iſt
eher ein rhetoriſcher Zweck, als ein didaktiſcher zu vermuthen.
Im Didaktiſchen wohl nur dann, wenn die Abſicht des Belehrens
bei den zu belehrenden auf directem Wege nicht erreicht werden
kann, ſondern indirect und unvermerkt. Viel leichter aber kann
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/202>, abgerufen am 04.12.2024.
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