mente, an der Gleichartigkeit ihres Inhalts zu einer bestimmten Richtung, dagegen an dem einzelnen Hervortreten, der losen Ver- knüpfung der Bestandtheile in ihrer Ungleichartigkeit die unbe- stimmte. Überragt nun eins von beiden, so wird sich auch ein bestimmter Wendepunkt zeigen, und um dieß zu entdecken, dazu dient die allgemeine Übersicht. Wir haben im N. T. keine Ur- sache, bei den Briefen eine rhetorische Einheit anzunehmen. Denn in dieser Zeit der Entwickelung kam es nicht gleich darauf an, einen bestimmten Entschluß hervorzubringen. Allerdings müssen wir etwas dem verwandtes, nemlich eine bestimmte Handlungsweise hervorzubringen, als bestimmten Zweck ansehen. Aber dadurch wird die Schrift nur eine praktisch didaktische. So haben wir die zwei Richtungen, die strengere, didaktische und die durch äußere Veranlassung hervorgerufene freie Mittheilung. Darüber kann nicht leicht Streit sein. Indessen fordert doch die Sache noch eine genauere Betrachtung der neutestam. Verhältnisse. Im Allgemeinen ist das Verhältniß zwischen den Verfassern und Empfängern der neutest. Briefe seiner Natur nach ein didaktisches. So läßt sich erwarten, daß auch die freie Mittheilung einen di- daktischen Charakter haben werde. Daraus folgt aber nicht, daß ein bestimmter Zweck vorwaltet. Man hat dieß häufig verwechselt und die freie Mittheilung nicht genug als Ergebniß der natürli- chen Verhältnisse, die aber didaktischer Art waren, beurtheilt. Stellt man die Sache so, daß zu unterscheiden sei, wo ein be- stimmter didaktischer Zweck sei oder die freie Mittheilung didakti- scher Art, so wird man nicht leicht in einem einzelnen Falle un- sicher bleiben können. Im Allgemeinen müssen wir die neutest. Briefe darnach eintheilen, wonach denn für jede Classe spezielle Regeln eintreten und ein besonderes Verfahren. Aber gerade bei diesen Briefen findet die Möglichkeit einer doppelten Richtung sehr leicht statt. Es findet ein bestimmter Lehrzweck statt und dieser bildet die vorwaltende Einheit des Ganzen, aber ehe der Brief zu Ende ist, tritt die freie Mittheilung ein mit didaktischem Charakter, oder auch umgekehrt. Dieß ist im N. T. wirklich der Fall, und zwar
mente, an der Gleichartigkeit ihres Inhalts zu einer beſtimmten Richtung, dagegen an dem einzelnen Hervortreten, der loſen Ver- knuͤpfung der Beſtandtheile in ihrer Ungleichartigkeit die unbe- ſtimmte. Überragt nun eins von beiden, ſo wird ſich auch ein beſtimmter Wendepunkt zeigen, und um dieß zu entdecken, dazu dient die allgemeine Überſicht. Wir haben im N. T. keine Ur- ſache, bei den Briefen eine rhetoriſche Einheit anzunehmen. Denn in dieſer Zeit der Entwickelung kam es nicht gleich darauf an, einen beſtimmten Entſchluß hervorzubringen. Allerdings muͤſſen wir etwas dem verwandtes, nemlich eine beſtimmte Handlungsweiſe hervorzubringen, als beſtimmten Zweck anſehen. Aber dadurch wird die Schrift nur eine praktiſch didaktiſche. So haben wir die zwei Richtungen, die ſtrengere, didaktiſche und die durch aͤußere Veranlaſſung hervorgerufene freie Mittheilung. Daruͤber kann nicht leicht Streit ſein. Indeſſen fordert doch die Sache noch eine genauere Betrachtung der neuteſtam. Verhaͤltniſſe. Im Allgemeinen iſt das Verhaͤltniß zwiſchen den Verfaſſern und Empfaͤngern der neuteſt. Briefe ſeiner Natur nach ein didaktiſches. So laͤßt ſich erwarten, daß auch die freie Mittheilung einen di- daktiſchen Charakter haben werde. Daraus folgt aber nicht, daß ein beſtimmter Zweck vorwaltet. Man hat dieß haͤufig verwechſelt und die freie Mittheilung nicht genug als Ergebniß der natuͤrli- chen Verhaͤltniſſe, die aber didaktiſcher Art waren, beurtheilt. Stellt man die Sache ſo, daß zu unterſcheiden ſei, wo ein be- ſtimmter didaktiſcher Zweck ſei oder die freie Mittheilung didakti- ſcher Art, ſo wird man nicht leicht in einem einzelnen Falle un- ſicher bleiben koͤnnen. Im Allgemeinen muͤſſen wir die neuteſt. Briefe darnach eintheilen, wonach denn fuͤr jede Claſſe ſpezielle Regeln eintreten und ein beſonderes Verfahren. Aber gerade bei dieſen Briefen findet die Moͤglichkeit einer doppelten Richtung ſehr leicht ſtatt. Es findet ein beſtimmter Lehrzweck ſtatt und dieſer bildet die vorwaltende Einheit des Ganzen, aber ehe der Brief zu Ende iſt, tritt die freie Mittheilung ein mit didaktiſchem Charakter, oder auch umgekehrt. Dieß iſt im N. T. wirklich der Fall, und zwar
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mente, an der Gleichartigkeit ihres Inhalts zu einer beſtimmten
Richtung, dagegen an dem einzelnen Hervortreten, der loſen Ver-
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ſtimmte. Überragt nun eins von beiden, ſo wird ſich auch ein
beſtimmter Wendepunkt zeigen, und um dieß zu entdecken, dazu
dient die allgemeine Überſicht. Wir haben im N. T. keine Ur-
ſache, bei den Briefen eine rhetoriſche Einheit anzunehmen. Denn
in dieſer Zeit der Entwickelung kam es nicht gleich darauf an,
einen beſtimmten Entſchluß hervorzubringen. Allerdings muͤſſen
wir etwas dem verwandtes, nemlich eine beſtimmte Handlungsweiſe
hervorzubringen, als beſtimmten Zweck anſehen. Aber dadurch
wird die Schrift nur eine praktiſch didaktiſche. So haben
wir die zwei Richtungen, die ſtrengere, didaktiſche und die
durch aͤußere Veranlaſſung hervorgerufene freie Mittheilung.
Daruͤber kann nicht leicht Streit ſein. Indeſſen fordert doch die
Sache noch eine genauere Betrachtung der neuteſtam. Verhaͤltniſſe.
Im Allgemeinen iſt das Verhaͤltniß zwiſchen den Verfaſſern und
Empfaͤngern der neuteſt. Briefe ſeiner Natur nach ein didaktiſches.
So laͤßt ſich erwarten, daß auch die freie Mittheilung einen di-
daktiſchen Charakter haben werde. Daraus folgt aber nicht, daß
ein beſtimmter Zweck vorwaltet. Man hat dieß haͤufig verwechſelt
und die freie Mittheilung nicht genug als Ergebniß der natuͤrli-
chen Verhaͤltniſſe, die aber didaktiſcher Art waren, beurtheilt.
Stellt man die Sache ſo, daß zu unterſcheiden ſei, wo ein be-
ſtimmter didaktiſcher Zweck ſei oder die freie Mittheilung didakti-
ſcher Art, ſo wird man nicht leicht in einem einzelnen Falle un-
ſicher bleiben koͤnnen. Im Allgemeinen muͤſſen wir die neuteſt.
Briefe darnach eintheilen, wonach denn fuͤr jede Claſſe ſpezielle
Regeln eintreten und ein beſonderes Verfahren. Aber gerade bei
dieſen Briefen findet die Moͤglichkeit einer doppelten Richtung ſehr
leicht ſtatt. Es findet ein beſtimmter Lehrzweck ſtatt und dieſer bildet
die vorwaltende Einheit des Ganzen, aber ehe der Brief zu Ende iſt,
tritt die freie Mittheilung ein mit didaktiſchem Charakter, oder
auch umgekehrt. Dieß iſt im N. T. wirklich der Fall, und zwar
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/204>, abgerufen am 04.12.2024.
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