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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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Das ist das Bild der Composition des Lukas, wenn man ihn
für sich nimmt und wenn man ihn mit Johannes vergleicht.
Nun entstehen aber wieder Zweifel, wenn man ihn mit den bei-
den andern Evangelisten vergleicht. Da er so viel Ähnliches mit
Matthäus hat, so fragt sich, hat er diesen vor Augen gehabt?
Wie man aber auch diese Frage lösen mag, -- Lukas folgt in
seiner Zusammenstellung nie lange dem Matthäus. Er trifft mit
ihm nur im Einzelnen zusammen, und so hat dieß auf das oben
gegebene Bild seiner Composition keinen Einfluß. Ob aber die
ganze Anordnung ein Werk dessen ist, der sich im Eingange zu
erkennen giebt, ist ungewiß. Viele haben die ganze Masse von
der Reise Jesu nach Jerusalem bis zu seinem Einzuge angesehen
als ein früher schon zusammenhängendes Ganzes, welches Lukas
so aufgenommen. Will man nun diese Formel anwenden, so
muß man auch sagen, Lukas habe auch die Leidensgeschichte schon
als Ganzes vorgefunden, um so mehr, da hier ein Continuum
sichtbar ist. Ferner jene kleineren Zusammenstellungen von der
Geburt Christi u. s. w. hat er auch nach gewissen Principien gemacht
vorgefunden. Alle diese Stücke aber hat er nach seiner Vorstel-
lung von der Ordnung, die im Leben Christi statt gefunden, zu-
sammengestellt. Dieß leztere ist gewiß, wenn auch jenes andere
zweifelhaft ist. Die hermeneutische Aufgabe muß dieß auch unbe-
stimmt lassen. Das Princip der Composition ist allein jene Zeit-
ordnung, daß alles Außerhierosolymitanische das Frühere und alles
Hierosolymitanische das Spätere ist.

Betrachten wir Markus für sich, so finden wir in ihm eben
sosehr ein Aggregat von einzelnen Zügen aus dem Leben Jesu.
Fragen wir, haben diese den Charakter von Augenzeugen herzu-
rühren, so ist offenbar, daß der Name des Verfassers nicht dafür
ist. Unter den beständigen Begleitern Jesu kommt kein Markus
vor. Man findet im N. T. einen Markus in einem solchen Ver-
hältniß zu Petrus, daß dieser, wenn er der Verfasser ist, alle
Data von einem Augenzeugen genommen haben könnte. Aber
es fragt sich, ob die Erzählungen selbst den Charakter eines Au-

Das iſt das Bild der Compoſition des Lukas, wenn man ihn
fuͤr ſich nimmt und wenn man ihn mit Johannes vergleicht.
Nun entſtehen aber wieder Zweifel, wenn man ihn mit den bei-
den andern Evangeliſten vergleicht. Da er ſo viel Ähnliches mit
Matthaͤus hat, ſo fragt ſich, hat er dieſen vor Augen gehabt?
Wie man aber auch dieſe Frage loͤſen mag, — Lukas folgt in
ſeiner Zuſammenſtellung nie lange dem Matthaͤus. Er trifft mit
ihm nur im Einzelnen zuſammen, und ſo hat dieß auf das oben
gegebene Bild ſeiner Compoſition keinen Einfluß. Ob aber die
ganze Anordnung ein Werk deſſen iſt, der ſich im Eingange zu
erkennen giebt, iſt ungewiß. Viele haben die ganze Maſſe von
der Reiſe Jeſu nach Jeruſalem bis zu ſeinem Einzuge angeſehen
als ein fruͤher ſchon zuſammenhaͤngendes Ganzes, welches Lukas
ſo aufgenommen. Will man nun dieſe Formel anwenden, ſo
muß man auch ſagen, Lukas habe auch die Leidensgeſchichte ſchon
als Ganzes vorgefunden, um ſo mehr, da hier ein Continuum
ſichtbar iſt. Ferner jene kleineren Zuſammenſtellungen von der
Geburt Chriſti u. ſ. w. hat er auch nach gewiſſen Principien gemacht
vorgefunden. Alle dieſe Stuͤcke aber hat er nach ſeiner Vorſtel-
lung von der Ordnung, die im Leben Chriſti ſtatt gefunden, zu-
ſammengeſtellt. Dieß leztere iſt gewiß, wenn auch jenes andere
zweifelhaft iſt. Die hermeneutiſche Aufgabe muß dieß auch unbe-
ſtimmt laſſen. Das Princip der Compoſition iſt allein jene Zeit-
ordnung, daß alles Außerhieroſolymitaniſche das Fruͤhere und alles
Hieroſolymitaniſche das Spaͤtere iſt.

Betrachten wir Markus fuͤr ſich, ſo finden wir in ihm eben
ſoſehr ein Aggregat von einzelnen Zuͤgen aus dem Leben Jeſu.
Fragen wir, haben dieſe den Charakter von Augenzeugen herzu-
ruͤhren, ſo iſt offenbar, daß der Name des Verfaſſers nicht dafuͤr
iſt. Unter den beſtaͤndigen Begleitern Jeſu kommt kein Markus
vor. Man findet im N. T. einen Markus in einem ſolchen Ver-
haͤltniß zu Petrus, daß dieſer, wenn er der Verfaſſer iſt, alle
Data von einem Augenzeugen genommen haben koͤnnte. Aber
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[226/0250] Das iſt das Bild der Compoſition des Lukas, wenn man ihn fuͤr ſich nimmt und wenn man ihn mit Johannes vergleicht. Nun entſtehen aber wieder Zweifel, wenn man ihn mit den bei- den andern Evangeliſten vergleicht. Da er ſo viel Ähnliches mit Matthaͤus hat, ſo fragt ſich, hat er dieſen vor Augen gehabt? Wie man aber auch dieſe Frage loͤſen mag, — Lukas folgt in ſeiner Zuſammenſtellung nie lange dem Matthaͤus. Er trifft mit ihm nur im Einzelnen zuſammen, und ſo hat dieß auf das oben gegebene Bild ſeiner Compoſition keinen Einfluß. Ob aber die ganze Anordnung ein Werk deſſen iſt, der ſich im Eingange zu erkennen giebt, iſt ungewiß. Viele haben die ganze Maſſe von der Reiſe Jeſu nach Jeruſalem bis zu ſeinem Einzuge angeſehen als ein fruͤher ſchon zuſammenhaͤngendes Ganzes, welches Lukas ſo aufgenommen. Will man nun dieſe Formel anwenden, ſo muß man auch ſagen, Lukas habe auch die Leidensgeſchichte ſchon als Ganzes vorgefunden, um ſo mehr, da hier ein Continuum ſichtbar iſt. Ferner jene kleineren Zuſammenſtellungen von der Geburt Chriſti u. ſ. w. hat er auch nach gewiſſen Principien gemacht vorgefunden. Alle dieſe Stuͤcke aber hat er nach ſeiner Vorſtel- lung von der Ordnung, die im Leben Chriſti ſtatt gefunden, zu- ſammengeſtellt. Dieß leztere iſt gewiß, wenn auch jenes andere zweifelhaft iſt. Die hermeneutiſche Aufgabe muß dieß auch unbe- ſtimmt laſſen. Das Princip der Compoſition iſt allein jene Zeit- ordnung, daß alles Außerhieroſolymitaniſche das Fruͤhere und alles Hieroſolymitaniſche das Spaͤtere iſt. Betrachten wir Markus fuͤr ſich, ſo finden wir in ihm eben ſoſehr ein Aggregat von einzelnen Zuͤgen aus dem Leben Jeſu. Fragen wir, haben dieſe den Charakter von Augenzeugen herzu- ruͤhren, ſo iſt offenbar, daß der Name des Verfaſſers nicht dafuͤr iſt. Unter den beſtaͤndigen Begleitern Jeſu kommt kein Markus vor. Man findet im N. T. einen Markus in einem ſolchen Ver- haͤltniß zu Petrus, daß dieſer, wenn er der Verfaſſer iſt, alle Data von einem Augenzeugen genommen haben koͤnnte. Aber es fragt ſich, ob die Erzaͤhlungen ſelbſt den Charakter eines Au-

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/250>, abgerufen am 04.12.2024.