genzeugen haben? Man kann zweifelhaft sein, ob der Verfasser selbst Augenzeuge gewesen oder Relationen von Augenzeugen mit möglichster Treue aufgenommen. Auch wenn er nicht Apostel war, konnte er Einzelnem als Augenzeuge beiwohnen. Es ist offenbar, daß die Erzählungen des Markus ein großes Bestreben haben nach einer gewissen sinnlichen Klarheit. Man könnte sagen, man sehe die Absicht, für einen Augenzeugen zu gelten. Nehmen wir das genau, so wäre es ein Falsum von seiner Seite, aber es kann auch nur ein löbliches Bestreben sein, klar darzustellen. Hier kommen wir auf Punkte, bei denen es gar sehr auf die subjective Ansicht ankommt, sofern der Eindruck der Erzäh- lungsweise auf Verschiedene verschieden sein kann. Es ist dabei zu berücksichtigen das Princip und die Art und Weise, Gesehenes und Gehörtes mitzutheilen. Ferner kommt in Betracht die Art zu vergleichen. Je nachdem man sich darüber entscheidet, wird man ein anderes Urtheil über die Composition haben. -- Unterschei- den wir die einzelnen Züge, wie sie für sich ein Continuum bil- den, und die Verknüpfungsweise, so finden wir, daß die leztere gar nicht den Charakter eines Augenzeugen trägt, weil bestimmte und unbestimmte Verknüpfungen wechseln und die Lücken nie von der Art sind, daß man sich die dazwischen liegende Zeit leicht ausfüllen könnte. Wäre in den Erzählungen Ein Augenzeuge, so würde die Verknüpfung anders sein, wären mehrere, so würde nicht durchgehends dieselbe Manier herrschen. Manierirt aber ist Markus. Er hat aber offenbar die Erzählungen überarbeitet, wo- mit auch der Charakter seiner Schreibart übereinstimmt, welche vielfältig in das Material eingreift.
Was den Matthäus betrifft, so ist sein Name der eines apo- stolischen Augenzeugen. Die historische Kritik mag darüber ent- scheiden, ob die äußeren Umstände und Zeugnisse hinreichen zu entscheiden, ob der Apostel Matthäus Verfasser ist oder nicht. Mag der Verfasser sein wer es wolle, unsere Frage hier ist, wel- ches das Princip der Composition sei? Es wechseln Reden Jesu und Erzählungen von Thatsachen, bei denen die Aussprüche
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genzeugen haben? Man kann zweifelhaft ſein, ob der Verfaſſer ſelbſt Augenzeuge geweſen oder Relationen von Augenzeugen mit moͤglichſter Treue aufgenommen. Auch wenn er nicht Apoſtel war, konnte er Einzelnem als Augenzeuge beiwohnen. Es iſt offenbar, daß die Erzaͤhlungen des Markus ein großes Beſtreben haben nach einer gewiſſen ſinnlichen Klarheit. Man koͤnnte ſagen, man ſehe die Abſicht, fuͤr einen Augenzeugen zu gelten. Nehmen wir das genau, ſo waͤre es ein Falſum von ſeiner Seite, aber es kann auch nur ein loͤbliches Beſtreben ſein, klar darzuſtellen. Hier kommen wir auf Punkte, bei denen es gar ſehr auf die ſubjective Anſicht ankommt, ſofern der Eindruck der Erzaͤh- lungsweiſe auf Verſchiedene verſchieden ſein kann. Es iſt dabei zu beruͤckſichtigen das Princip und die Art und Weiſe, Geſehenes und Gehoͤrtes mitzutheilen. Ferner kommt in Betracht die Art zu vergleichen. Je nachdem man ſich daruͤber entſcheidet, wird man ein anderes Urtheil uͤber die Compoſition haben. — Unterſchei- den wir die einzelnen Zuͤge, wie ſie fuͤr ſich ein Continuum bil- den, und die Verknuͤpfungsweiſe, ſo finden wir, daß die leztere gar nicht den Charakter eines Augenzeugen traͤgt, weil beſtimmte und unbeſtimmte Verknuͤpfungen wechſeln und die Luͤcken nie von der Art ſind, daß man ſich die dazwiſchen liegende Zeit leicht ausfuͤllen koͤnnte. Waͤre in den Erzaͤhlungen Ein Augenzeuge, ſo wuͤrde die Verknuͤpfung anders ſein, waͤren mehrere, ſo wuͤrde nicht durchgehends dieſelbe Manier herrſchen. Manierirt aber iſt Markus. Er hat aber offenbar die Erzaͤhlungen uͤberarbeitet, wo- mit auch der Charakter ſeiner Schreibart uͤbereinſtimmt, welche vielfaͤltig in das Material eingreift.
Was den Matthaͤus betrifft, ſo iſt ſein Name der eines apo- ſtoliſchen Augenzeugen. Die hiſtoriſche Kritik mag daruͤber ent- ſcheiden, ob die aͤußeren Umſtaͤnde und Zeugniſſe hinreichen zu entſcheiden, ob der Apoſtel Matthaͤus Verfaſſer iſt oder nicht. Mag der Verfaſſer ſein wer es wolle, unſere Frage hier iſt, wel- ches das Princip der Compoſition ſei? Es wechſeln Reden Jeſu und Erzaͤhlungen von Thatſachen, bei denen die Ausſpruͤche
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genzeugen haben? Man kann zweifelhaft ſein, ob der Verfaſſer
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moͤglichſter Treue aufgenommen. Auch wenn er nicht Apoſtel
war, konnte er Einzelnem als Augenzeuge beiwohnen. Es iſt
offenbar, daß die Erzaͤhlungen des Markus ein großes Beſtreben
haben nach einer gewiſſen ſinnlichen Klarheit. Man koͤnnte ſagen,
man ſehe die Abſicht, fuͤr einen Augenzeugen zu gelten. Nehmen
wir das genau, ſo waͤre es ein Falſum von ſeiner Seite, aber
es kann auch nur ein loͤbliches Beſtreben ſein, klar darzuſtellen.
Hier kommen wir auf Punkte, bei denen es gar ſehr auf die
ſubjective Anſicht ankommt, ſofern der Eindruck der Erzaͤh-
lungsweiſe auf Verſchiedene verſchieden ſein kann. Es iſt dabei
zu beruͤckſichtigen das Princip und die Art und Weiſe, Geſehenes
und Gehoͤrtes mitzutheilen. Ferner kommt in Betracht die Art zu
vergleichen. Je nachdem man ſich daruͤber entſcheidet, wird man
ein anderes Urtheil uͤber die Compoſition haben. — Unterſchei-
den wir die einzelnen Zuͤge, wie ſie fuͤr ſich ein Continuum bil-
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und unbeſtimmte Verknuͤpfungen wechſeln und die Luͤcken nie von
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ausfuͤllen koͤnnte. Waͤre in den Erzaͤhlungen Ein Augenzeuge, ſo
wuͤrde die Verknuͤpfung anders ſein, waͤren mehrere, ſo wuͤrde
nicht durchgehends dieſelbe Manier herrſchen. Manierirt aber iſt
Markus. Er hat aber offenbar die Erzaͤhlungen uͤberarbeitet, wo-
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vielfaͤltig in das Material eingreift.
Was den Matthaͤus betrifft, ſo iſt ſein Name der eines apo-
ſtoliſchen Augenzeugen. Die hiſtoriſche Kritik mag daruͤber ent-
ſcheiden, ob die aͤußeren Umſtaͤnde und Zeugniſſe hinreichen zu
entſcheiden, ob der Apoſtel Matthaͤus Verfaſſer iſt oder nicht.
Mag der Verfaſſer ſein wer es wolle, unſere Frage hier iſt, wel-
ches das Princip der Compoſition ſei? Es wechſeln Reden Jeſu
und Erzaͤhlungen von Thatſachen, bei denen die Ausſpruͤche
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/251>, abgerufen am 05.12.2024.
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