schehene der Zeit nach vorangehen zu lassen. Dieser Anordnung widerspricht Johannes. Diese Differenz ausgleichen zu wollen ist vergeblich.
Was die didaktischen Schriften betrifft, so liegt bei der Un- tersuchung über ihre Composition zum Grunde, was über die epistolische Form bereits gesagt ist. Diese haben alle didaktischen Schriften des N. T., aber auf verschiedene Weise.
Es gehört zur epistolischen Form der Alten, daß man im Anfang des Briefes selbst erfährt, an wen der Brief gerichtet ist. Hier ist nun im N. T. die Differenz, daß die einen an einzelne Gemeinden gerichtet sind, die andern an einzelne Personen; andere an christliche Gemeinden in bestimmtem Umkreise oder von be- stimmtem Charakter. Nur dem Briefe an die Hebräer fehlt dieser Theil der Epistolarform ganz. Er fängt wie eine Abhandlung an, dabei herrscht aber die epistolarische Anrede, die sonst höch- stens als emphatische Wendung vorkommt, ja zulezt erscheint die Schrift ganz als Brief, so daß eine bestimmte Addresse vor- ausgesezt wird. Außerdem giebt es Briefe, die nach der Addresse ein größeres, mannigfaltiges Publicum haben, die sogenannten katholischen Briefe des Paulus und Jakobus. Da kann man aber nicht sagen, daß die genannten Gemeinden in genauerem Verhältnisse unter sich gestanden und gemeinschaftliche Eigenthüm- lichkeiten gehabt hätten, und gemeinschaftliche Thatsachen gewesen wären, worauf sie sich beziehen. Wir haben einen solchen encycli- schen Brief mitten unter den Paulinischen an einzelne Gemein- den, den Brief an die Galatischen Gemeinden. Man hat ihn aber dahin gestellt im richtigen Gefühl der Sache. Denn es lie- gen hier gemeinschaftliche Thatsachen zum Grunde, und die Ga- latischen Gemeinden bildeten im Verhältniß zu der Verfassung der Galatischen Städte eine eigentliche Corporation. -- Es ist oben bereits auch in Beziehung auf die epistolarische Form eine Ein- theilung gemacht worden, freilich so, daß der Unterschied ein flie- ßender ist, der aber in einzelnen Fällen Gegensaz wird, nemlich die Eintheilung in solche Briefe, die eine bestimmte Beziehung und
ſchehene der Zeit nach vorangehen zu laſſen. Dieſer Anordnung widerſpricht Johannes. Dieſe Differenz ausgleichen zu wollen iſt vergeblich.
Was die didaktiſchen Schriften betrifft, ſo liegt bei der Un- terſuchung uͤber ihre Compoſition zum Grunde, was uͤber die epiſtoliſche Form bereits geſagt iſt. Dieſe haben alle didaktiſchen Schriften des N. T., aber auf verſchiedene Weiſe.
Es gehoͤrt zur epiſtoliſchen Form der Alten, daß man im Anfang des Briefes ſelbſt erfaͤhrt, an wen der Brief gerichtet iſt. Hier iſt nun im N. T. die Differenz, daß die einen an einzelne Gemeinden gerichtet ſind, die andern an einzelne Perſonen; andere an chriſtliche Gemeinden in beſtimmtem Umkreiſe oder von be- ſtimmtem Charakter. Nur dem Briefe an die Hebraͤer fehlt dieſer Theil der Epiſtolarform ganz. Er faͤngt wie eine Abhandlung an, dabei herrſcht aber die epiſtolariſche Anrede, die ſonſt hoͤch- ſtens als emphatiſche Wendung vorkommt, ja zulezt erſcheint die Schrift ganz als Brief, ſo daß eine beſtimmte Addreſſe vor- ausgeſezt wird. Außerdem giebt es Briefe, die nach der Addreſſe ein groͤßeres, mannigfaltiges Publicum haben, die ſogenannten katholiſchen Briefe des Paulus und Jakobus. Da kann man aber nicht ſagen, daß die genannten Gemeinden in genauerem Verhaͤltniſſe unter ſich geſtanden und gemeinſchaftliche Eigenthuͤm- lichkeiten gehabt haͤtten, und gemeinſchaftliche Thatſachen geweſen waͤren, worauf ſie ſich beziehen. Wir haben einen ſolchen encycli- ſchen Brief mitten unter den Pauliniſchen an einzelne Gemein- den, den Brief an die Galatiſchen Gemeinden. Man hat ihn aber dahin geſtellt im richtigen Gefuͤhl der Sache. Denn es lie- gen hier gemeinſchaftliche Thatſachen zum Grunde, und die Ga- latiſchen Gemeinden bildeten im Verhaͤltniß zu der Verfaſſung der Galatiſchen Staͤdte eine eigentliche Corporation. — Es iſt oben bereits auch in Beziehung auf die epiſtolariſche Form eine Ein- theilung gemacht worden, freilich ſo, daß der Unterſchied ein flie- ßender iſt, der aber in einzelnen Faͤllen Gegenſaz wird, nemlich die Eintheilung in ſolche Briefe, die eine beſtimmte Beziehung und
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ſchehene der Zeit nach vorangehen zu laſſen. Dieſer Anordnung
widerſpricht Johannes. Dieſe Differenz ausgleichen zu wollen
iſt vergeblich.
Was die didaktiſchen Schriften betrifft, ſo liegt bei der Un-
terſuchung uͤber ihre Compoſition zum Grunde, was uͤber die
epiſtoliſche Form bereits geſagt iſt. Dieſe haben alle didaktiſchen
Schriften des N. T., aber auf verſchiedene Weiſe.
Es gehoͤrt zur epiſtoliſchen Form der Alten, daß man im
Anfang des Briefes ſelbſt erfaͤhrt, an wen der Brief gerichtet iſt.
Hier iſt nun im N. T. die Differenz, daß die einen an einzelne
Gemeinden gerichtet ſind, die andern an einzelne Perſonen; andere
an chriſtliche Gemeinden in beſtimmtem Umkreiſe oder von be-
ſtimmtem Charakter. Nur dem Briefe an die Hebraͤer fehlt dieſer
Theil der Epiſtolarform ganz. Er faͤngt wie eine Abhandlung
an, dabei herrſcht aber die epiſtolariſche Anrede, die ſonſt hoͤch-
ſtens als emphatiſche Wendung vorkommt, ja zulezt erſcheint
die Schrift ganz als Brief, ſo daß eine beſtimmte Addreſſe vor-
ausgeſezt wird. Außerdem giebt es Briefe, die nach der Addreſſe
ein groͤßeres, mannigfaltiges Publicum haben, die ſogenannten
katholiſchen Briefe des Paulus und Jakobus. Da kann man
aber nicht ſagen, daß die genannten Gemeinden in genauerem
Verhaͤltniſſe unter ſich geſtanden und gemeinſchaftliche Eigenthuͤm-
lichkeiten gehabt haͤtten, und gemeinſchaftliche Thatſachen geweſen
waͤren, worauf ſie ſich beziehen. Wir haben einen ſolchen encycli-
ſchen Brief mitten unter den Pauliniſchen an einzelne Gemein-
den, den Brief an die Galatiſchen Gemeinden. Man hat ihn
aber dahin geſtellt im richtigen Gefuͤhl der Sache. Denn es lie-
gen hier gemeinſchaftliche Thatſachen zum Grunde, und die Ga-
latiſchen Gemeinden bildeten im Verhaͤltniß zu der Verfaſſung der
Galatiſchen Staͤdte eine eigentliche Corporation. — Es iſt oben
bereits auch in Beziehung auf die epiſtolariſche Form eine Ein-
theilung gemacht worden, freilich ſo, daß der Unterſchied ein flie-
ßender iſt, der aber in einzelnen Faͤllen Gegenſaz wird, nemlich
die Eintheilung in ſolche Briefe, die eine beſtimmte Beziehung und
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/260>, abgerufen am 05.12.2024.
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