schen der Thatsache und der Relation oder dem Zeugniß entstehe entweder auf dem mechanischen Wege, oder durch den Einfluß eines Moments, welches auf dem Gebiet der Freiheit liegt. Eine größere weitere Eintheilung der Aufgabe ließe sich dann nicht denken. Allein es fragt sich eben, ob sich jenes so allgemein sezen lasse?
Gehen wir nun von dieser ersten Operation, wenn sich Je- mand versprochen hat und die Aufgabe ist, aus dem Gehörten das Gedachte zu ermitteln, weiter, so kommen wir auf den ana- logen Fall des Verschreibens. Hier haben wir die mechanische Operation der Hand. Durch diese ist etwas entstanden, was nicht geschrieben werden wollte. Damit hat es dieselbe Bewand- niß wie mit dem Versprechen.
Betrachten wir aber diesen Fall genauer in der Form, wie er in der Kritik der gewöhnlichste ist, nemlich den Akt des Ab- schreibens. Schreibt ein Abschreiber was er gesehen hat, und es ist ein Fehler, so hat er sich eigentlich nicht verschrieben, der Fehler liegt rückwärts in dem, was er gesehen. Aber der Fehler, den er selber macht, kann auf einem Versehen beruhen. Ein höherer Grad der Aufmerksamkeit hätte alle solche Fehler verhütet. Der Mangel an Aufmerksamkeit aber ist etwas, was eigentlich nicht auf dem Gebiet der Freiheit liegt. Das Versehen kann auf verschiedene Weise geschehen. Gehen wir dabei von der That- sache aus, was da hätte geschrieben werden sollen, so können wir zwei Fälle unterscheiden: entweder es ist geschrieben, was nicht hätte geschrieben werden sollen, oder es ist nicht geschrieben, was hätte geschrieben werden sollen. Dieß leztere ist der so häu- fige Fehler der Auslassung. Diese kann auf zweierlei Weise ge- schehen. Einmal, wenn zwei Worte gleichen Anfang haben und der Abschreiber aus Versehen das Dazwischenliegende ausläßt, oder, wenn zwei Worte gleiche Endung haben und der Abschrei- ber von dem ersten zum zweiten fortschreibt und das Dazwischen- liegende übersieht und ausläßt. In beiden Fällen ist die Aus- lassung nichts gewolltes und hat ihren Grund in der mechani- schen Operation.
ſchen der Thatſache und der Relation oder dem Zeugniß entſtehe entweder auf dem mechaniſchen Wege, oder durch den Einfluß eines Moments, welches auf dem Gebiet der Freiheit liegt. Eine groͤßere weitere Eintheilung der Aufgabe ließe ſich dann nicht denken. Allein es fragt ſich eben, ob ſich jenes ſo allgemein ſezen laſſe?
Gehen wir nun von dieſer erſten Operation, wenn ſich Je- mand verſprochen hat und die Aufgabe iſt, aus dem Gehoͤrten das Gedachte zu ermitteln, weiter, ſo kommen wir auf den ana- logen Fall des Verſchreibens. Hier haben wir die mechaniſche Operation der Hand. Durch dieſe iſt etwas entſtanden, was nicht geſchrieben werden wollte. Damit hat es dieſelbe Bewand- niß wie mit dem Verſprechen.
Betrachten wir aber dieſen Fall genauer in der Form, wie er in der Kritik der gewoͤhnlichſte iſt, nemlich den Akt des Ab- ſchreibens. Schreibt ein Abſchreiber was er geſehen hat, und es iſt ein Fehler, ſo hat er ſich eigentlich nicht verſchrieben, der Fehler liegt ruͤckwaͤrts in dem, was er geſehen. Aber der Fehler, den er ſelber macht, kann auf einem Verſehen beruhen. Ein hoͤherer Grad der Aufmerkſamkeit haͤtte alle ſolche Fehler verhuͤtet. Der Mangel an Aufmerkſamkeit aber iſt etwas, was eigentlich nicht auf dem Gebiet der Freiheit liegt. Das Verſehen kann auf verſchiedene Weiſe geſchehen. Gehen wir dabei von der That- ſache aus, was da haͤtte geſchrieben werden ſollen, ſo koͤnnen wir zwei Faͤlle unterſcheiden: entweder es iſt geſchrieben, was nicht haͤtte geſchrieben werden ſollen, oder es iſt nicht geſchrieben, was haͤtte geſchrieben werden ſollen. Dieß leztere iſt der ſo haͤu- fige Fehler der Auslaſſung. Dieſe kann auf zweierlei Weiſe ge- ſchehen. Einmal, wenn zwei Worte gleichen Anfang haben und der Abſchreiber aus Verſehen das Dazwiſchenliegende auslaͤßt, oder, wenn zwei Worte gleiche Endung haben und der Abſchrei- ber von dem erſten zum zweiten fortſchreibt und das Dazwiſchen- liegende uͤberſieht und auslaͤßt. In beiden Faͤllen iſt die Aus- laſſung nichts gewolltes und hat ihren Grund in der mechani- ſchen Operation.
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ſchen der Thatſache und der Relation oder dem Zeugniß entſtehe
entweder auf dem mechaniſchen Wege, oder durch den Einfluß
eines Moments, welches auf dem Gebiet der Freiheit liegt. Eine
groͤßere weitere Eintheilung der Aufgabe ließe ſich dann nicht denken.
Allein es fragt ſich eben, ob ſich jenes ſo allgemein ſezen laſſe?
Gehen wir nun von dieſer erſten Operation, wenn ſich Je-
mand verſprochen hat und die Aufgabe iſt, aus dem Gehoͤrten
das Gedachte zu ermitteln, weiter, ſo kommen wir auf den ana-
logen Fall des Verſchreibens. Hier haben wir die mechaniſche
Operation der Hand. Durch dieſe iſt etwas entſtanden, was
nicht geſchrieben werden wollte. Damit hat es dieſelbe Bewand-
niß wie mit dem Verſprechen.
Betrachten wir aber dieſen Fall genauer in der Form, wie
er in der Kritik der gewoͤhnlichſte iſt, nemlich den Akt des Ab-
ſchreibens. Schreibt ein Abſchreiber was er geſehen hat, und es
iſt ein Fehler, ſo hat er ſich eigentlich nicht verſchrieben, der
Fehler liegt ruͤckwaͤrts in dem, was er geſehen. Aber der Fehler,
den er ſelber macht, kann auf einem Verſehen beruhen. Ein
hoͤherer Grad der Aufmerkſamkeit haͤtte alle ſolche Fehler verhuͤtet.
Der Mangel an Aufmerkſamkeit aber iſt etwas, was eigentlich
nicht auf dem Gebiet der Freiheit liegt. Das Verſehen kann auf
verſchiedene Weiſe geſchehen. Gehen wir dabei von der That-
ſache aus, was da haͤtte geſchrieben werden ſollen, ſo koͤnnen
wir zwei Faͤlle unterſcheiden: entweder es iſt geſchrieben, was
nicht haͤtte geſchrieben werden ſollen, oder es iſt nicht geſchrieben,
was haͤtte geſchrieben werden ſollen. Dieß leztere iſt der ſo haͤu-
fige Fehler der Auslaſſung. Dieſe kann auf zweierlei Weiſe ge-
ſchehen. Einmal, wenn zwei Worte gleichen Anfang haben und
der Abſchreiber aus Verſehen das Dazwiſchenliegende auslaͤßt,
oder, wenn zwei Worte gleiche Endung haben und der Abſchrei-
ber von dem erſten zum zweiten fortſchreibt und das Dazwiſchen-
liegende uͤberſieht und auslaͤßt. In beiden Faͤllen iſt die Aus-
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ſchen Operation.
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/303>, abgerufen am 05.12.2024.
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