Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

muß deßhalb eine cursorische Lesung um einen Überblick des
Ganzen zu erhalten der genaueren Auslegung vorangehen.

1. Dieß scheint ein Cirkel, allein zu diesem vorläufigen
Verstehen reicht diejenige Kenntniß des Einzelnen hin, welche
aus der allgemeinen Kenntniß der Sprache hervorgeht.

2. Inhaltsverzeichnisse, die der Autor selbst giebt, sind zu
trocken um den Zweck auch auf der Seite der technischen In-
terpretation zu erreichen, und bei Übersichten wie Herausgeber
sie auch den Prolegomenen beizufügen pflegen kommt man in
die Gewalt ihrer Interpretation.

3. Die Absicht ist die leitenden Ideen zu finden nach wel-
chen die andern müssen abgemessen werden, und eben so auf
der technischen Seite den Hauptgang zu finden, woraus das
Einzelne leichter gefunden werden kann. Unentbehrlich sowol
auf der technischen als grammatischen Seite, welches aus den
verschiedenen Arten des Mißverstandes leicht ist nachzuweisen.

4. Beim unbedeutenden kann man es eher unterlassen und
beim schwierigen scheint es weniger zu helfen, ist aber desto
unentbehrlicher. Dieses wenig helfen der allgemeinen Übersicht
ist sogar ein charakteristisches Merkmal schwerer Schriftsteller.

Zusaz. Allgemeine methodologische Regel: a) Anfang mit
allgemeiner Übersicht; b) Gleichzeitiges Begriffensein in beiden
Richtungen, der grammatischen und psychologischen; c) Nur,
wenn beide genau zusammentreffen in einer einzelnen Stelle,
kann man weiter gehen; d) Nothwendigkeit des Zurückgehens,
wenn sie nicht zusammenstimmen, bis man den Fehler im Cal-
cul gefunden hat.

Soll nun das Auslegen im Einzelnen angehn, so müssen
zwar in der Ausübung beide Seiten der Interpretation immer
zusammen verbunden werden aber in der Theorie müssen wir
trennen, und von jeder besonders handeln, bei jeder aber dar-
nach trachten es so weit zu bringen, daß uns die andere ent-

muß deßhalb eine curſoriſche Leſung um einen Überblick des
Ganzen zu erhalten der genaueren Auslegung vorangehen.

1. Dieß ſcheint ein Cirkel, allein zu dieſem vorlaͤufigen
Verſtehen reicht diejenige Kenntniß des Einzelnen hin, welche
aus der allgemeinen Kenntniß der Sprache hervorgeht.

2. Inhaltsverzeichniſſe, die der Autor ſelbſt giebt, ſind zu
trocken um den Zweck auch auf der Seite der techniſchen In-
terpretation zu erreichen, und bei Überſichten wie Herausgeber
ſie auch den Prolegomenen beizufuͤgen pflegen kommt man in
die Gewalt ihrer Interpretation.

3. Die Abſicht iſt die leitenden Ideen zu finden nach wel-
chen die andern muͤſſen abgemeſſen werden, und eben ſo auf
der techniſchen Seite den Hauptgang zu finden, woraus das
Einzelne leichter gefunden werden kann. Unentbehrlich ſowol
auf der techniſchen als grammatiſchen Seite, welches aus den
verſchiedenen Arten des Mißverſtandes leicht iſt nachzuweiſen.

4. Beim unbedeutenden kann man es eher unterlaſſen und
beim ſchwierigen ſcheint es weniger zu helfen, iſt aber deſto
unentbehrlicher. Dieſes wenig helfen der allgemeinen Überſicht
iſt ſogar ein charakteriſtiſches Merkmal ſchwerer Schriftſteller.

Zuſaz. Allgemeine methodologiſche Regel: a) Anfang mit
allgemeiner Überſicht; b) Gleichzeitiges Begriffenſein in beiden
Richtungen, der grammatiſchen und pſychologiſchen; c) Nur,
wenn beide genau zuſammentreffen in einer einzelnen Stelle,
kann man weiter gehen; d) Nothwendigkeit des Zuruͤckgehens,
wenn ſie nicht zuſammenſtimmen, bis man den Fehler im Cal-
cul gefunden hat.

Soll nun das Auslegen im Einzelnen angehn, ſo muͤſſen
zwar in der Ausuͤbung beide Seiten der Interpretation immer
zuſammen verbunden werden aber in der Theorie muͤſſen wir
trennen, und von jeder beſonders handeln, bei jeder aber dar-
nach trachten es ſo weit zu bringen, daß uns die andere ent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0061" n="37"/>
muß deßhalb eine cur&#x017F;ori&#x017F;che Le&#x017F;ung um einen Überblick des<lb/>
Ganzen zu erhalten der genaueren Auslegung vorangehen.</p><lb/>
            <p>1. Dieß &#x017F;cheint ein Cirkel, allein zu die&#x017F;em vorla&#x0364;ufigen<lb/>
Ver&#x017F;tehen reicht diejenige Kenntniß des Einzelnen hin, welche<lb/>
aus der allgemeinen Kenntniß der Sprache hervorgeht.</p><lb/>
            <p>2. Inhaltsverzeichni&#x017F;&#x017F;e, die der Autor &#x017F;elb&#x017F;t giebt, &#x017F;ind zu<lb/>
trocken um den Zweck auch auf der Seite der techni&#x017F;chen In-<lb/>
terpretation zu erreichen, und bei Über&#x017F;ichten wie Herausgeber<lb/>
&#x017F;ie auch den Prolegomenen beizufu&#x0364;gen pflegen kommt man in<lb/>
die Gewalt ihrer Interpretation.</p><lb/>
            <p>3. Die Ab&#x017F;icht i&#x017F;t die leitenden Ideen zu finden nach wel-<lb/>
chen die andern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en abgeme&#x017F;&#x017F;en werden, und eben &#x017F;o auf<lb/>
der techni&#x017F;chen Seite den Hauptgang zu finden, woraus das<lb/>
Einzelne leichter gefunden werden kann. Unentbehrlich &#x017F;owol<lb/>
auf der techni&#x017F;chen als grammati&#x017F;chen Seite, welches aus den<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Arten des Mißver&#x017F;tandes leicht i&#x017F;t nachzuwei&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>4. Beim unbedeutenden kann man es eher unterla&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
beim &#x017F;chwierigen &#x017F;cheint es weniger zu helfen, i&#x017F;t aber de&#x017F;to<lb/>
unentbehrlicher. Die&#x017F;es wenig helfen der allgemeinen Über&#x017F;icht<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ogar ein charakteri&#x017F;ti&#x017F;ches Merkmal &#x017F;chwerer Schrift&#x017F;teller.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Zu&#x017F;az</hi>. Allgemeine methodologi&#x017F;che Regel: <hi rendition="#aq">a</hi>) Anfang mit<lb/>
allgemeiner Über&#x017F;icht; <hi rendition="#aq">b</hi>) Gleichzeitiges Begriffen&#x017F;ein in beiden<lb/>
Richtungen, der grammati&#x017F;chen und p&#x017F;ychologi&#x017F;chen; <hi rendition="#aq">c</hi>) Nur,<lb/>
wenn beide genau zu&#x017F;ammentreffen in einer einzelnen Stelle,<lb/>
kann man weiter gehen; <hi rendition="#aq">d</hi>) Nothwendigkeit des Zuru&#x0364;ckgehens,<lb/>
wenn &#x017F;ie nicht zu&#x017F;ammen&#x017F;timmen, bis man den Fehler im Cal-<lb/>
cul gefunden hat.</p><lb/>
            <p>Soll nun das Auslegen im Einzelnen angehn, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
zwar in der Ausu&#x0364;bung beide Seiten der Interpretation immer<lb/>
zu&#x017F;ammen verbunden werden aber in der Theorie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir<lb/>
trennen, und von jeder be&#x017F;onders handeln, bei jeder aber dar-<lb/>
nach trachten es &#x017F;o weit zu bringen, daß uns die andere ent-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0061] muß deßhalb eine curſoriſche Leſung um einen Überblick des Ganzen zu erhalten der genaueren Auslegung vorangehen. 1. Dieß ſcheint ein Cirkel, allein zu dieſem vorlaͤufigen Verſtehen reicht diejenige Kenntniß des Einzelnen hin, welche aus der allgemeinen Kenntniß der Sprache hervorgeht. 2. Inhaltsverzeichniſſe, die der Autor ſelbſt giebt, ſind zu trocken um den Zweck auch auf der Seite der techniſchen In- terpretation zu erreichen, und bei Überſichten wie Herausgeber ſie auch den Prolegomenen beizufuͤgen pflegen kommt man in die Gewalt ihrer Interpretation. 3. Die Abſicht iſt die leitenden Ideen zu finden nach wel- chen die andern muͤſſen abgemeſſen werden, und eben ſo auf der techniſchen Seite den Hauptgang zu finden, woraus das Einzelne leichter gefunden werden kann. Unentbehrlich ſowol auf der techniſchen als grammatiſchen Seite, welches aus den verſchiedenen Arten des Mißverſtandes leicht iſt nachzuweiſen. 4. Beim unbedeutenden kann man es eher unterlaſſen und beim ſchwierigen ſcheint es weniger zu helfen, iſt aber deſto unentbehrlicher. Dieſes wenig helfen der allgemeinen Überſicht iſt ſogar ein charakteriſtiſches Merkmal ſchwerer Schriftſteller. Zuſaz. Allgemeine methodologiſche Regel: a) Anfang mit allgemeiner Überſicht; b) Gleichzeitiges Begriffenſein in beiden Richtungen, der grammatiſchen und pſychologiſchen; c) Nur, wenn beide genau zuſammentreffen in einer einzelnen Stelle, kann man weiter gehen; d) Nothwendigkeit des Zuruͤckgehens, wenn ſie nicht zuſammenſtimmen, bis man den Fehler im Cal- cul gefunden hat. Soll nun das Auslegen im Einzelnen angehn, ſo muͤſſen zwar in der Ausuͤbung beide Seiten der Interpretation immer zuſammen verbunden werden aber in der Theorie muͤſſen wir trennen, und von jeder beſonders handeln, bei jeder aber dar- nach trachten es ſo weit zu bringen, daß uns die andere ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/61
Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/61>, abgerufen am 04.12.2024.