Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die Rassen; die Vererbung und Variabilität. erben. Jeder Arzt, jeder Reisende, jeder Menschenkenner bestätigt es, daß die Körper-und Schädelbildung, die Hautfarbe und Haarart, die Sinnesorgane, die Instinkte, die Gesten, die Gefühle und Charaktereigenschaften, sowie viele geistige Züge und Begabungen sich im ganzen vererben. Die primitivsten Völker gehen davon aus wie alle Gesellschafts- einrichtung seit Jahrtausenden. Die Römer sagten: Fortes creantur fortibus et bonis. So unzweifelhaft nun aber die Thatsache der Vererbung gleicher Eigenschaften im Die Voraussetzung der Vererbung körperlicher Eigenschaften ist klar, sie liegt im Die Voraussetzung der Variation liegt in dem einfachen Umstand, daß zwar die Die Raſſen; die Vererbung und Variabilität. erben. Jeder Arzt, jeder Reiſende, jeder Menſchenkenner beſtätigt es, daß die Körper-und Schädelbildung, die Hautfarbe und Haarart, die Sinnesorgane, die Inſtinkte, die Geſten, die Gefühle und Charaktereigenſchaften, ſowie viele geiſtige Züge und Begabungen ſich im ganzen vererben. Die primitivſten Völker gehen davon aus wie alle Geſellſchafts- einrichtung ſeit Jahrtauſenden. Die Römer ſagten: Fortes creantur fortibus et bonis. So unzweifelhaft nun aber die Thatſache der Vererbung gleicher Eigenſchaften im Die Vorausſetzung der Vererbung körperlicher Eigenſchaften iſt klar, ſie liegt im Die Vorausſetzung der Variation liegt in dem einfachen Umſtand, daß zwar die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0157" n="141"/><fw place="top" type="header">Die Raſſen; die Vererbung und Variabilität.</fw><lb/> erben. 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Wir wiſſen, daß wie<lb/> der Typus der Haustiere, ſo auch der Habitus beſtimmter Völker ſich geändert hat;<lb/> ſchon die Differenzierung der Völker aus den Raſſen zeigt dies. Weder die Völker noch<lb/> die Raſſen ſind ganz konſtant; wir halten ja auch die Pflanzen und Tierarten heute<lb/> nach den Forſchungen Darwins, Wallaces und anderer nicht mehr für ganz konſtant.<lb/> Wir müſſen alſo annehmen, daß eine Reihe von Umſtänden in den folgenden Gene-<lb/> rationen kleine Abweichungen des im ganzen feſtſtehenden Typus erzeugen: das Princip<lb/> der <hi rendition="#g">Variabilität</hi> begrenzt das der <hi rendition="#g">Vererbung</hi>. Wenn die Vererbung immer<lb/> gleiche Weſen ſchaffen würde, ſo wäre die Entwickelung des heutigen Menſchen aus<lb/> ſeinen rohen Ahnen nicht denkbar. Würden die Variationen im Laufe der Entwickelung<lb/> ſich nicht vererben, ſo wäre es nicht möglich, daß wir neben lange ſtillſtehenden auf-<lb/> ſteigende und ſinkende Raſſen und Völker hätten.</p><lb/> <p>Die Vorausſetzung der Vererbung körperlicher Eigenſchaften iſt klar, ſie liegt im<lb/> Weſen des phyſiologiſchen Abſtammungsprozeſſes; aber daß auch Inſtinkte, Gefühle,<lb/> Charaktereigenſchaften, Neigungen, Dispoſitionen, geiſtige Eigenſchaften ſich vererben, leugnet<lb/> heute kein Naturforſcher; die Vorausſetzung hiefür iſt, daß dieſe Eigenſchaften irgendwie<lb/> im Gehirn und Nervenſyſtem einen phyſiologiſchen Ausdruck gefunden haben und ſo auf<lb/> die Nachkommen übergehen. Je komplizierter die höheren menſchlichen Eigenſchaften<lb/> ſind, deſto mehr ſcheinen ſie allerdings körperlich und geiſtig individuell und nicht ver-<lb/> erbbar zu ſein. Die Grenze zwiſchen dem Vererblichen und Nichtvererblichen ſteht heute<lb/> noch keineswegs feſt. Aber auch die gegen das Princip der Vererblichkeit am meiſten<lb/> ſich kritiſch verhaltenden Forſcher geben doch zu, daß den heutigen Kulturvölkern eine<lb/> ererbte Geiſtes- und Gefühlsgeſchichte von Jahrtauſenden aufs Geſicht geſchrieben ſei.<lb/> Spencer führt die ſogenannten angeborenen Denkformen auf erblich gewordene Erfahrungen<lb/> zurück, die im Gehirn ungezählter Generationen erblich fixiert ſeien. Darwin ſagt: „Es<lb/> iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die tugendhaften Neigungen nach langer Übung vererbt<lb/> werden.“ Man hat gemeint, die Erblichkeit ſei für die Art etwas Analoges wie das<lb/> Gedächtnis für die Individuen: ein großes Anhäufungs-, Sammel-, Kondenſierungs-<lb/> inſtrument.</p><lb/> <p>Die Vorausſetzung der Variation liegt in dem einfachen Umſtand, daß zwar die<lb/> Raſſeneigenſchaften der beiden Eltern nebſt denen ihrer Voreltern die ausſchlaggebenden<lb/> Haupturſachen für die Art ihrer Nachkommen ſind, daß aber daneben Geſundheit, Alter,<lb/> Ernährung, zufällige Lebensverhältniſſe der Eltern, das Überwiegen des Einfluſſes von<lb/> Vater oder Mutter, in weiterer Linie alle Bedingungen, welche auf die Eltern und das<lb/> Kind vor, während und nach Empfängnis, Schwangerſchaft und Geburt wirken, wie<lb/> Klima, Lebensweiſe, Ernährung, Beruf, Staats- und Geſellſchaftsverfaſſung, Wohn- und<lb/> Geſundheitsverhältniſſe, leichte und ſchwere Exiſtenz, Kampf ums Daſein, Jugend-<lb/> behandlung und Erziehung, — daß alle dieſe Umſtände als modifizierende Nebenurſachen<lb/> auf jedes einzelne Individuum wirken. So ſtellt jeder Menſch im Augenblicke ſeiner Geburt<lb/> eine eigenartige Modifikation ſeiner Vorfahren dar und wird nun ſelbſt durch Umgebung,<lb/> Erziehung und Schickſal nach dieſer oder jener Seite hin weiter umgebildet. Wir<lb/> kommen gleich auf den Streit, inwieweit dieſe ſogenannten erworbenen Eigenſchaften ver-<lb/> erblich ſeien. Jedenfalls iſt klar, daß durch den Einfluß aller dieſer Nebenurſachen der<lb/> mittlere Raſſen- oder Volkstypus, der in jedem Menſchen vorhanden iſt, eine kleine<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [141/0157]
Die Raſſen; die Vererbung und Variabilität.
erben. Jeder Arzt, jeder Reiſende, jeder Menſchenkenner beſtätigt es, daß die Körper-
und Schädelbildung, die Hautfarbe und Haarart, die Sinnesorgane, die Inſtinkte, die
Geſten, die Gefühle und Charaktereigenſchaften, ſowie viele geiſtige Züge und Begabungen
ſich im ganzen vererben. Die primitivſten Völker gehen davon aus wie alle Geſellſchafts-
einrichtung ſeit Jahrtauſenden. Die Römer ſagten: Fortes creantur fortibus et bonis.
So unzweifelhaft nun aber die Thatſache der Vererbung gleicher Eigenſchaften im
ganzen iſt, im einzelnen kommen die verſchiedenſten Modifikationen vor und ſtellen ſich
Zweifel darüber ein, wie weit das Princip der Vererbung reiche. Vater und Mutter
ſind ſelbſt, auch wenn ſie demſelben Kreiſe oder Geſchlechte, demſelben Volke angehören,
verſchieden; das eine Kind gleicht dem Vater, das zweite der Mutter, das dritte irgend
einem Vorfahren, und ganz gleichen die Kinder nie den Eltern. Wir wiſſen, daß wie
der Typus der Haustiere, ſo auch der Habitus beſtimmter Völker ſich geändert hat;
ſchon die Differenzierung der Völker aus den Raſſen zeigt dies. Weder die Völker noch
die Raſſen ſind ganz konſtant; wir halten ja auch die Pflanzen und Tierarten heute
nach den Forſchungen Darwins, Wallaces und anderer nicht mehr für ganz konſtant.
Wir müſſen alſo annehmen, daß eine Reihe von Umſtänden in den folgenden Gene-
rationen kleine Abweichungen des im ganzen feſtſtehenden Typus erzeugen: das Princip
der Variabilität begrenzt das der Vererbung. Wenn die Vererbung immer
gleiche Weſen ſchaffen würde, ſo wäre die Entwickelung des heutigen Menſchen aus
ſeinen rohen Ahnen nicht denkbar. Würden die Variationen im Laufe der Entwickelung
ſich nicht vererben, ſo wäre es nicht möglich, daß wir neben lange ſtillſtehenden auf-
ſteigende und ſinkende Raſſen und Völker hätten.
Die Vorausſetzung der Vererbung körperlicher Eigenſchaften iſt klar, ſie liegt im
Weſen des phyſiologiſchen Abſtammungsprozeſſes; aber daß auch Inſtinkte, Gefühle,
Charaktereigenſchaften, Neigungen, Dispoſitionen, geiſtige Eigenſchaften ſich vererben, leugnet
heute kein Naturforſcher; die Vorausſetzung hiefür iſt, daß dieſe Eigenſchaften irgendwie
im Gehirn und Nervenſyſtem einen phyſiologiſchen Ausdruck gefunden haben und ſo auf
die Nachkommen übergehen. Je komplizierter die höheren menſchlichen Eigenſchaften
ſind, deſto mehr ſcheinen ſie allerdings körperlich und geiſtig individuell und nicht ver-
erbbar zu ſein. Die Grenze zwiſchen dem Vererblichen und Nichtvererblichen ſteht heute
noch keineswegs feſt. Aber auch die gegen das Princip der Vererblichkeit am meiſten
ſich kritiſch verhaltenden Forſcher geben doch zu, daß den heutigen Kulturvölkern eine
ererbte Geiſtes- und Gefühlsgeſchichte von Jahrtauſenden aufs Geſicht geſchrieben ſei.
Spencer führt die ſogenannten angeborenen Denkformen auf erblich gewordene Erfahrungen
zurück, die im Gehirn ungezählter Generationen erblich fixiert ſeien. Darwin ſagt: „Es
iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die tugendhaften Neigungen nach langer Übung vererbt
werden.“ Man hat gemeint, die Erblichkeit ſei für die Art etwas Analoges wie das
Gedächtnis für die Individuen: ein großes Anhäufungs-, Sammel-, Kondenſierungs-
inſtrument.
Die Vorausſetzung der Variation liegt in dem einfachen Umſtand, daß zwar die
Raſſeneigenſchaften der beiden Eltern nebſt denen ihrer Voreltern die ausſchlaggebenden
Haupturſachen für die Art ihrer Nachkommen ſind, daß aber daneben Geſundheit, Alter,
Ernährung, zufällige Lebensverhältniſſe der Eltern, das Überwiegen des Einfluſſes von
Vater oder Mutter, in weiterer Linie alle Bedingungen, welche auf die Eltern und das
Kind vor, während und nach Empfängnis, Schwangerſchaft und Geburt wirken, wie
Klima, Lebensweiſe, Ernährung, Beruf, Staats- und Geſellſchaftsverfaſſung, Wohn- und
Geſundheitsverhältniſſe, leichte und ſchwere Exiſtenz, Kampf ums Daſein, Jugend-
behandlung und Erziehung, — daß alle dieſe Umſtände als modifizierende Nebenurſachen
auf jedes einzelne Individuum wirken. So ſtellt jeder Menſch im Augenblicke ſeiner Geburt
eine eigenartige Modifikation ſeiner Vorfahren dar und wird nun ſelbſt durch Umgebung,
Erziehung und Schickſal nach dieſer oder jener Seite hin weiter umgebildet. Wir
kommen gleich auf den Streit, inwieweit dieſe ſogenannten erworbenen Eigenſchaften ver-
erblich ſeien. Jedenfalls iſt klar, daß durch den Einfluß aller dieſer Nebenurſachen der
mittlere Raſſen- oder Volkstypus, der in jedem Menſchen vorhanden iſt, eine kleine
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