Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die Entstehung des heutigen Arbeiterstandes. die anderen zu mechanischer Arbeit brauchbarer. Die Leute, die vom Gebirge nach derEbene, vom Lande nach der Stadt kamen, waren und sind härter, machen geringere Lebensansprüche, sind aber meist auch zunächst zu feinerer Arbeit weniger tauglich. Die Bevölkerung hatte sich seit dem 16. Jahrhundert gesteigert; sie war fast überall Das Geldlohnverhältnis für ältere verheiratete Leute war nun nicht etwa seit 1750 Insofern ist es wahr, daß die größeren Unternehmer und ihr Besitz den heutigen Die Entſtehung des heutigen Arbeiterſtandes. die anderen zu mechaniſcher Arbeit brauchbarer. Die Leute, die vom Gebirge nach derEbene, vom Lande nach der Stadt kamen, waren und ſind härter, machen geringere Lebensanſprüche, ſind aber meiſt auch zunächſt zu feinerer Arbeit weniger tauglich. Die Bevölkerung hatte ſich ſeit dem 16. Jahrhundert geſteigert; ſie war faſt überall Das Geldlohnverhältnis für ältere verheiratete Leute war nun nicht etwa ſeit 1750 Inſofern iſt es wahr, daß die größeren Unternehmer und ihr Beſitz den heutigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0359" n="343"/><fw place="top" type="header">Die Entſtehung des heutigen Arbeiterſtandes.</fw><lb/> die anderen zu mechaniſcher Arbeit brauchbarer. Die Leute, die vom Gebirge nach der<lb/> Ebene, vom Lande nach der Stadt kamen, waren und ſind härter, machen geringere<lb/> Lebensanſprüche, ſind aber meiſt auch zunächſt zu feinerer Arbeit weniger tauglich.</p><lb/> <p>Die Bevölkerung hatte ſich ſeit dem 16. Jahrhundert geſteigert; ſie war faſt überall<lb/> ſeither über ihren Nahrungsſpielraum hinausgewachſen; für überflüſſige Hände Arbeit<lb/> zu ſchaffen, war das Loſungswort der merkantiliſtiſchen Politik. Die Hausinduſtrien<lb/> haben überall ihre Wurzel in einem Überangebot ländlicher oder ſtädtiſcher Arbeits-<lb/> kräfte, wie auch ihre neueſte Zunahme (z. B. in der Konfektion ꝛc.) darauf zurückgeht.<lb/> Auch wo keine Großinduſtrie, keine große Gutswirtſchaft in Betracht kam, mußte die<lb/> Bevölkerungszunahme auf die Bildung beſitzloſer Arbeiter hinwirken. Nehmen wir als<lb/> einfachſten Fall die Geſchichte eines freigebliebenen Bauerndorfes mit feſter Gemarkung.<lb/> Wo 1300 noch 20 Vollhufner ſaßen, lebten vielleicht 1500 noch 6 Vollhufner, 12 Viertels-<lb/> hufner, einige Koſſäten und Tagelöhner und im Jahre 1800 waren daraus 2 oder<lb/> 3 Vollhufner, 20—30 Viertelshufner, 50 Kleinſtellenbeſitzer und ebenſo viele grund-<lb/> beſitzloſe Tagelöhner geworden, die in den Wirtſchaften der Bauern, in Forſt-, Berg-,<lb/> Straßenarbeit, in der Hausinduſtrie einen Verdienſt ſuchen mußten. Auch das Handwerk<lb/> hat ſtets, gerade wenn es blühte, in 2—3 Generationen die 3 und mehrfache Zahl von<lb/> Kandidaten für die meiſt nicht ſtark zunehmende Zahl von Meiſterſtellen erzeugt; ſie<lb/> fanden von 1500—1700 in den aufkommenden Söldnerheeren, in Schreibſtuben und<lb/> Beamtenſtellungen, dann auch in Hausinduſtrie und Fabrik ihren Unterhalt. Wo vollends<lb/> ſeit 1770 die Gewerbe blühten und exportierten, wuchs die Menſchenzahl ſehr raſch; es<lb/> ſchien ſich jetzt ſo leicht eine ſchrankenloſe Erwerbsmöglichkeit zu eröffnen, und man<lb/> beeilte ſich, von 1789—1870 die alten etwa noch beſtehenden Schranken der Nieder-<lb/> laſſung und Eheſchließung zu beſeitigen. Alle Schichten der Geſellſchaft nahmen raſch<lb/> zu, und wer nicht als Bauer oder Meiſter, als Künſtler oder Beamter, als Kaufmann<lb/> oder Krämer eine Stellung fand, dem blieb keine andere Wahl, denn als Lohnarbeiter<lb/> ſich eine ſolche zu ſuchen.</p><lb/> <p>Das Geldlohnverhältnis für ältere verheiratete Leute war nun nicht etwa ſeit 1750<lb/> etwas ganz neu ſich Bildendes. Wo ſchon in älterer Zeit auf Grund der Geldwirt-<lb/> ſchaft etwas größere Betriebe ſich gebildet hatten, da war neben dem Lehrling und<lb/> Geſellen auch ein verheirateter, geldgelohnter Arbeiterſtand erſtanden, deſſen Glieder<lb/> nur ausnahmsweiſe noch Meiſter oder Unternehmer werden konnten. Die Berg- und<lb/> Salinenarbeiter und die Matroſen ſind frühe Beiſpiele von Gruppen von Arbeiter-<lb/> familien, die durch Generationen Arbeiter blieben. Gerade ſie waren urſprünglich zu<lb/> einem großen Teil Glieder primitiver Arbeitsgenoſſenſchaften geweſen, auf die wir unten<lb/> kommen, ſie hatten ſich aber in dieſer Form nicht dauernd ordentlich ernähren können;<lb/> die Genoſſenſchaften wie die einzelnen Arbeiter waren unfähig, das von ihnen hergeſtellte<lb/> ungeteilte oder geteilte Produkt zu verkaufen, aus ihrer Genoſſenſchaft ein lebensfähiges<lb/> Unternehmen zu machen; der Verdienſt war zu ungleichmäßig; es war für die Leute<lb/> ein großer Fortſchritt, wenn beſitzende Unternehmer ſich fanden, die im ſtande waren,<lb/> ihnen, ſo lange das Geſchäft dauerte, aber unabhängig davon, ob es gut oder ſchlecht<lb/> ging, einen fortlaufenden Geldlohn zu zahlen. Und als in neuerer Zeit eine immer<lb/> erheblichere Zahl von größeren Betrieben und Anſtalten der dauernden Arbeitskräfte<lb/> bedurfte, da haben ſie wohl auch noch, wie ſeither die kleinen Betriebe, jüngere Leute<lb/> beſchäftigt; ſie haben ſogar teilweiſe übermäßig Kinder und Frauen herangezogen,<lb/> „Lehrlinge gezüchtet“, — aber im ganzen war doch damit die Notwendigkeit gegeben,<lb/> die brauchbaren Arbeiter Zeit ihres Lebens oder wenigſtens bis ins 40., 50. Jahr im<lb/> Dienſt zu behalten; der Geſelle konnte immer ſeltener Meiſter werden. Ein breiterer<lb/> Stand älterer verheirateter gewerblicher Arbeiter mußte in der Stadt mit dem Groß-<lb/> betrieb entſtehen, wie auf dem Lande der Stand verheirateter Tagelöhner mit dem<lb/> Großgutsbetrieb.</p><lb/> <p>Inſofern iſt es wahr, daß die größeren Unternehmer und ihr Beſitz den heutigen<lb/> Arbeiterſtand ſchaffen halfen; man muß aber hinzufügen, die Leute waren ſchon da, ſie<lb/> entſchloſſen ſich lange Jahrzehnte hindurch ungern und ſchwer genug, in die Fabrik<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [343/0359]
Die Entſtehung des heutigen Arbeiterſtandes.
die anderen zu mechaniſcher Arbeit brauchbarer. Die Leute, die vom Gebirge nach der
Ebene, vom Lande nach der Stadt kamen, waren und ſind härter, machen geringere
Lebensanſprüche, ſind aber meiſt auch zunächſt zu feinerer Arbeit weniger tauglich.
Die Bevölkerung hatte ſich ſeit dem 16. Jahrhundert geſteigert; ſie war faſt überall
ſeither über ihren Nahrungsſpielraum hinausgewachſen; für überflüſſige Hände Arbeit
zu ſchaffen, war das Loſungswort der merkantiliſtiſchen Politik. Die Hausinduſtrien
haben überall ihre Wurzel in einem Überangebot ländlicher oder ſtädtiſcher Arbeits-
kräfte, wie auch ihre neueſte Zunahme (z. B. in der Konfektion ꝛc.) darauf zurückgeht.
Auch wo keine Großinduſtrie, keine große Gutswirtſchaft in Betracht kam, mußte die
Bevölkerungszunahme auf die Bildung beſitzloſer Arbeiter hinwirken. Nehmen wir als
einfachſten Fall die Geſchichte eines freigebliebenen Bauerndorfes mit feſter Gemarkung.
Wo 1300 noch 20 Vollhufner ſaßen, lebten vielleicht 1500 noch 6 Vollhufner, 12 Viertels-
hufner, einige Koſſäten und Tagelöhner und im Jahre 1800 waren daraus 2 oder
3 Vollhufner, 20—30 Viertelshufner, 50 Kleinſtellenbeſitzer und ebenſo viele grund-
beſitzloſe Tagelöhner geworden, die in den Wirtſchaften der Bauern, in Forſt-, Berg-,
Straßenarbeit, in der Hausinduſtrie einen Verdienſt ſuchen mußten. Auch das Handwerk
hat ſtets, gerade wenn es blühte, in 2—3 Generationen die 3 und mehrfache Zahl von
Kandidaten für die meiſt nicht ſtark zunehmende Zahl von Meiſterſtellen erzeugt; ſie
fanden von 1500—1700 in den aufkommenden Söldnerheeren, in Schreibſtuben und
Beamtenſtellungen, dann auch in Hausinduſtrie und Fabrik ihren Unterhalt. Wo vollends
ſeit 1770 die Gewerbe blühten und exportierten, wuchs die Menſchenzahl ſehr raſch; es
ſchien ſich jetzt ſo leicht eine ſchrankenloſe Erwerbsmöglichkeit zu eröffnen, und man
beeilte ſich, von 1789—1870 die alten etwa noch beſtehenden Schranken der Nieder-
laſſung und Eheſchließung zu beſeitigen. Alle Schichten der Geſellſchaft nahmen raſch
zu, und wer nicht als Bauer oder Meiſter, als Künſtler oder Beamter, als Kaufmann
oder Krämer eine Stellung fand, dem blieb keine andere Wahl, denn als Lohnarbeiter
ſich eine ſolche zu ſuchen.
Das Geldlohnverhältnis für ältere verheiratete Leute war nun nicht etwa ſeit 1750
etwas ganz neu ſich Bildendes. Wo ſchon in älterer Zeit auf Grund der Geldwirt-
ſchaft etwas größere Betriebe ſich gebildet hatten, da war neben dem Lehrling und
Geſellen auch ein verheirateter, geldgelohnter Arbeiterſtand erſtanden, deſſen Glieder
nur ausnahmsweiſe noch Meiſter oder Unternehmer werden konnten. Die Berg- und
Salinenarbeiter und die Matroſen ſind frühe Beiſpiele von Gruppen von Arbeiter-
familien, die durch Generationen Arbeiter blieben. Gerade ſie waren urſprünglich zu
einem großen Teil Glieder primitiver Arbeitsgenoſſenſchaften geweſen, auf die wir unten
kommen, ſie hatten ſich aber in dieſer Form nicht dauernd ordentlich ernähren können;
die Genoſſenſchaften wie die einzelnen Arbeiter waren unfähig, das von ihnen hergeſtellte
ungeteilte oder geteilte Produkt zu verkaufen, aus ihrer Genoſſenſchaft ein lebensfähiges
Unternehmen zu machen; der Verdienſt war zu ungleichmäßig; es war für die Leute
ein großer Fortſchritt, wenn beſitzende Unternehmer ſich fanden, die im ſtande waren,
ihnen, ſo lange das Geſchäft dauerte, aber unabhängig davon, ob es gut oder ſchlecht
ging, einen fortlaufenden Geldlohn zu zahlen. Und als in neuerer Zeit eine immer
erheblichere Zahl von größeren Betrieben und Anſtalten der dauernden Arbeitskräfte
bedurfte, da haben ſie wohl auch noch, wie ſeither die kleinen Betriebe, jüngere Leute
beſchäftigt; ſie haben ſogar teilweiſe übermäßig Kinder und Frauen herangezogen,
„Lehrlinge gezüchtet“, — aber im ganzen war doch damit die Notwendigkeit gegeben,
die brauchbaren Arbeiter Zeit ihres Lebens oder wenigſtens bis ins 40., 50. Jahr im
Dienſt zu behalten; der Geſelle konnte immer ſeltener Meiſter werden. Ein breiterer
Stand älterer verheirateter gewerblicher Arbeiter mußte in der Stadt mit dem Groß-
betrieb entſtehen, wie auf dem Lande der Stand verheirateter Tagelöhner mit dem
Großgutsbetrieb.
Inſofern iſt es wahr, daß die größeren Unternehmer und ihr Beſitz den heutigen
Arbeiterſtand ſchaffen halfen; man muß aber hinzufügen, die Leute waren ſchon da, ſie
entſchloſſen ſich lange Jahrzehnte hindurch ungern und ſchwer genug, in die Fabrik
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |