Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. So ist an die Stelle der Lehre von der Produktivität der Arbeitszweige heute Das sind die einfachen Gründe, weshalb man alle älteren Angaben über Berufs- Die erste Frage ist, welchen Anteil die Urproduktion (Land- und Forstwirtschaft, In der Abnahme der landwirtschaftlichen Prozentziffer von 85, 70, 60 bis zu Als komplementäre Zahlen zu den eben angeführten erscheinen nun die über die Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. So iſt an die Stelle der Lehre von der Produktivität der Arbeitszweige heute Das ſind die einfachen Gründe, weshalb man alle älteren Angaben über Berufs- Die erſte Frage iſt, welchen Anteil die Urproduktion (Land- und Forſtwirtſchaft, In der Abnahme der landwirtſchaftlichen Prozentziffer von 85, 70, 60 bis zu Als komplementäre Zahlen zu den eben angeführten erſcheinen nun die über die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0374" n="358"/> <fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> <p>So iſt an die Stelle der Lehre von der Produktivität der Arbeitszweige heute<lb/> der Verſuch getreten, die Berufsgliederung hiſtoriſch und ſtatiſtiſch zu erfaſſen. Und<lb/> Arbeiten wie die von Bücher über die Bevölkerung in Frankfurt a. M. im 14. bis<lb/> 15. Jahrhundert zeigen, was ſelbſt für ältere Zeiten möglich iſt. Im übrigen iſt auch<lb/> das Material unſerer Zeit bisher wenig zuverläſſig geweſen, weil bei Erhebungen des<lb/> Berufes die Grenzen ſo ſchwer feſtzuſtellen ſind und ſo leicht bei jeder Zählung wieder<lb/> etwas anders geſetzt werden. Will man nur die eigentlich im Berufe Thätigen, die<lb/> ſogenannten Erwerbsthätigen, zählen, ſo bleibt immer fraglich, wie weit man im Berufe<lb/> nebenbei mithelfende Frauen, Kinder und Dienſtboten mitzählen ſoll. Von einer großen<lb/> Zahl bald da bald dort beſchäftigter Arbeiter und Tagelöhner iſt immer zweifelhaft,<lb/> welcher Gruppe ſie zuzurechnen ſind. Zählt man die landwirtſchaftlich Thätigen oder<lb/> die Gewerbetreibenden allein für ſich, ſo erhält man ſtets zu hohe Zahlen, weil noch<lb/> heute Tauſende und Millionen beides verbinden. (Vergl. oben S. 346—347.)</p><lb/> <p>Das ſind die einfachen Gründe, weshalb man alle älteren Angaben über Berufs-<lb/> ſtatiſtik mit Zweifel betrachten muß; ich will nur Vereinzeltes aus ihnen und dann<lb/> neuere Berechnungen von Bodio und aus den deutſchen Berufszählungen kurz anführen.<lb/> Zu einer Begründung der Zahlen iſt hier kein Raum. Ich ſuche im ganzen die Prozent-<lb/> zahlen der geſamten Bevölkerung, d. h. der Erwerbsthätigen nebſt Angehörigen und<lb/> Dienenden, nicht die der Erwerbsthätigen allein zu geben, weil letztere zu ungleichmäßig<lb/> abgegrenzt werden.</p><lb/> <p>Die erſte Frage iſt, welchen Anteil die Urproduktion (Land- und Forſtwirtſchaft,<lb/> Gärtnerei ꝛc.) an der Geſamtbevölkerung noch habe. Eine Berechnung über den Kanton<lb/> Zürich kommt zu dem Ergebnis, es ſeien 1529 85, 1775 33, 1890 27 % geweſen.<lb/> In den meiſten europäiſchen Staaten nimmt ſie gegenwärtig nicht mehr die Hälfte in<lb/> Anſpruch, nur (nach Bodio) in Italien 52, in Irland 54, in Cisleithanien 55, in<lb/> Ungarn 62, in Rußland wohl noch über 70, im Kanton Wallis beinahe 75 %; ſie<lb/> ſinkt in Sachſen auf 19, in England auf 15 %. Nach der Tabelle des deutſchen<lb/> ſtatiſtiſchen Amtes von 1884 fallen auf die Urproduktion in der Schweiz 42, in<lb/> Deutſchland 42 (1895 36), in Dänemark 45, in Frankreich 48, in Öſterreich 55, in<lb/> Norwegen und Schweden 55 %. In Großbritannien ſinkt die Prozentziffer von 35<lb/> (1811) auf 28 (1831), 21 (1861) und 16 (1881), in Preußen von 78 (1816) auf 64<lb/> (1849), 48 (1867) und 42 (1882). Nach preußiſchen Gebietsteilen ſtellt ſich die Ziffer<lb/> 1882 auf 63 in Poſen, 62 in Oſtpreußen, 52 in Pommern, 48 in Hannover, 43 in<lb/> Schleſien und Brandenburg, 41 in Schleswig-Holſtein, 39 in Heſſen-Naſſau, 46 in<lb/> Sachſen, 33 in Weſtfalen, 30 am Rhein; ähnlich ſchwanken die anderen deutſchen<lb/> Staaten zwiſchen 30 und 50 %. Im mittelalterlichen Frankfurt nimmt die Urproduktion<lb/> noch 18—19, im heutigen 2—3 % in Anſpruch.</p><lb/> <p>In der Abnahme der landwirtſchaftlichen Prozentziffer von 85, 70, 60 bis zu<lb/> 30, 15 und 10 ſehen wir die ganze neuere Wirtſchaftsgeſchichte des betreffenden Staates,<lb/> die Umbildung des Agrarſtaates zum Induſtrieſtaate, wie man es neuerdings bezeichnete.<lb/> Natürlich kann dieſelbe Abnahme der Prozentzahl ſehr Verſchiedenes bedeuten, je nachdem<lb/> ſie auch abſolute Abnahme oder nur relative der landwirtſchaftlich Thätigen bedeutet,<lb/> je nachdem ſie durch eine ſehr intenſive, mit Maſchinen betriebene Landwirtſchaft aus-<lb/> geglichen wird oder nicht, je nach der nötigen Zunahme der Einfuhr von Lebensmitteln<lb/> und je nach der Sicherheit dieſer Zufuhr.</p><lb/> <p>Als komplementäre Zahlen zu den eben angeführten erſcheinen nun die über die<lb/> Gewerbe (Induſtrie, Bergbau, Handwerk). Unter 11—12 % ſinkt ihr Anteil an der<lb/> Geſamtbevölkerung heute ſelbſt nicht in den agrikolen europäiſchen Gebieten, z. B. in<lb/> Schweden und im Kanton Wallis; in Oſtpreußen und Poſen ſind es 16—17, ähnlich<lb/> in Norwegen; in Ungarn kamen 1857 17, in Cisleithanien 21 % auf die Gewerbe,<lb/> jetzt 21 und 29; für Dänemark berechnet Bodio 1880 30 %, für Italien 1881 25,<lb/> für Frankreich 1880 24, für die Schweiz 1870 35, 1880 42 %; für Deutſchland zählte<lb/> man 1882 35 (Rhein 44, Sachſen 55, Weſtfalen 45, Württemberg 33, Bayern 27),<lb/> 1895 39, für England 1881 55, 1891 57, für Belgien 1846 31, 1880 57 %. Von<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [358/0374]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
So iſt an die Stelle der Lehre von der Produktivität der Arbeitszweige heute
der Verſuch getreten, die Berufsgliederung hiſtoriſch und ſtatiſtiſch zu erfaſſen. Und
Arbeiten wie die von Bücher über die Bevölkerung in Frankfurt a. M. im 14. bis
15. Jahrhundert zeigen, was ſelbſt für ältere Zeiten möglich iſt. Im übrigen iſt auch
das Material unſerer Zeit bisher wenig zuverläſſig geweſen, weil bei Erhebungen des
Berufes die Grenzen ſo ſchwer feſtzuſtellen ſind und ſo leicht bei jeder Zählung wieder
etwas anders geſetzt werden. Will man nur die eigentlich im Berufe Thätigen, die
ſogenannten Erwerbsthätigen, zählen, ſo bleibt immer fraglich, wie weit man im Berufe
nebenbei mithelfende Frauen, Kinder und Dienſtboten mitzählen ſoll. Von einer großen
Zahl bald da bald dort beſchäftigter Arbeiter und Tagelöhner iſt immer zweifelhaft,
welcher Gruppe ſie zuzurechnen ſind. Zählt man die landwirtſchaftlich Thätigen oder
die Gewerbetreibenden allein für ſich, ſo erhält man ſtets zu hohe Zahlen, weil noch
heute Tauſende und Millionen beides verbinden. (Vergl. oben S. 346—347.)
Das ſind die einfachen Gründe, weshalb man alle älteren Angaben über Berufs-
ſtatiſtik mit Zweifel betrachten muß; ich will nur Vereinzeltes aus ihnen und dann
neuere Berechnungen von Bodio und aus den deutſchen Berufszählungen kurz anführen.
Zu einer Begründung der Zahlen iſt hier kein Raum. Ich ſuche im ganzen die Prozent-
zahlen der geſamten Bevölkerung, d. h. der Erwerbsthätigen nebſt Angehörigen und
Dienenden, nicht die der Erwerbsthätigen allein zu geben, weil letztere zu ungleichmäßig
abgegrenzt werden.
Die erſte Frage iſt, welchen Anteil die Urproduktion (Land- und Forſtwirtſchaft,
Gärtnerei ꝛc.) an der Geſamtbevölkerung noch habe. Eine Berechnung über den Kanton
Zürich kommt zu dem Ergebnis, es ſeien 1529 85, 1775 33, 1890 27 % geweſen.
In den meiſten europäiſchen Staaten nimmt ſie gegenwärtig nicht mehr die Hälfte in
Anſpruch, nur (nach Bodio) in Italien 52, in Irland 54, in Cisleithanien 55, in
Ungarn 62, in Rußland wohl noch über 70, im Kanton Wallis beinahe 75 %; ſie
ſinkt in Sachſen auf 19, in England auf 15 %. Nach der Tabelle des deutſchen
ſtatiſtiſchen Amtes von 1884 fallen auf die Urproduktion in der Schweiz 42, in
Deutſchland 42 (1895 36), in Dänemark 45, in Frankreich 48, in Öſterreich 55, in
Norwegen und Schweden 55 %. In Großbritannien ſinkt die Prozentziffer von 35
(1811) auf 28 (1831), 21 (1861) und 16 (1881), in Preußen von 78 (1816) auf 64
(1849), 48 (1867) und 42 (1882). Nach preußiſchen Gebietsteilen ſtellt ſich die Ziffer
1882 auf 63 in Poſen, 62 in Oſtpreußen, 52 in Pommern, 48 in Hannover, 43 in
Schleſien und Brandenburg, 41 in Schleswig-Holſtein, 39 in Heſſen-Naſſau, 46 in
Sachſen, 33 in Weſtfalen, 30 am Rhein; ähnlich ſchwanken die anderen deutſchen
Staaten zwiſchen 30 und 50 %. Im mittelalterlichen Frankfurt nimmt die Urproduktion
noch 18—19, im heutigen 2—3 % in Anſpruch.
In der Abnahme der landwirtſchaftlichen Prozentziffer von 85, 70, 60 bis zu
30, 15 und 10 ſehen wir die ganze neuere Wirtſchaftsgeſchichte des betreffenden Staates,
die Umbildung des Agrarſtaates zum Induſtrieſtaate, wie man es neuerdings bezeichnete.
Natürlich kann dieſelbe Abnahme der Prozentzahl ſehr Verſchiedenes bedeuten, je nachdem
ſie auch abſolute Abnahme oder nur relative der landwirtſchaftlich Thätigen bedeutet,
je nachdem ſie durch eine ſehr intenſive, mit Maſchinen betriebene Landwirtſchaft aus-
geglichen wird oder nicht, je nach der nötigen Zunahme der Einfuhr von Lebensmitteln
und je nach der Sicherheit dieſer Zufuhr.
Als komplementäre Zahlen zu den eben angeführten erſcheinen nun die über die
Gewerbe (Induſtrie, Bergbau, Handwerk). Unter 11—12 % ſinkt ihr Anteil an der
Geſamtbevölkerung heute ſelbſt nicht in den agrikolen europäiſchen Gebieten, z. B. in
Schweden und im Kanton Wallis; in Oſtpreußen und Poſen ſind es 16—17, ähnlich
in Norwegen; in Ungarn kamen 1857 17, in Cisleithanien 21 % auf die Gewerbe,
jetzt 21 und 29; für Dänemark berechnet Bodio 1880 30 %, für Italien 1881 25,
für Frankreich 1880 24, für die Schweiz 1870 35, 1880 42 %; für Deutſchland zählte
man 1882 35 (Rhein 44, Sachſen 55, Weſtfalen 45, Württemberg 33, Bayern 27),
1895 39, für England 1881 55, 1891 57, für Belgien 1846 31, 1880 57 %. Von
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