und 15 ten Jahrhundert waren die Gesellen damit nicht mehr zufrieden. Das erschwerte Meisterwerden führte noch viel mehr als in Deutschland zu einer selbständigen gegen die Meister gerichten Organisation, zu heftigen Kämpfen und Mißbräuchen aller Art.1
Von der Zeit der stehenden Heere an beruhte die Erhaltung der Zunftverfassung mit darauf, daß der große Ueberschuß alternder Gesellen, die nicht Meister werden konnten, sich anwerben ließ. Die stehenden Soldheere des 17 ten und 18 ten Jahrhunderts bestanden hauptsäch- lich aus früheren Handwerksgesellen.2 Erst mit der Konskription und noch mehr mit der allgemeinen Wehr- pflicht hörte das auf.
In wie weit freilich das vorige Jahrhundert dieses Abflusses noch bedurfte, um die Zunftverfassung in alter Weise zu erhalten, darüber ließe sich streiten. In der Hauptsache lagen jetzt die Dinge wieder total anders, als zur Blüthezeit der mittelalterlichen Gewerbe. Das Handwerk befand sich mit wenigen Ausnahmen ja auf so tiefem Standpunkt, daß es zahlreiche Lehrlinge und Gesellen gar nicht beschäftigte. Die statistischen Zahlen sind in dieser Beziehung geradezu erschreckend. Sie zeigen, wie wenig die Meister zu thun hatten, wie viel- fach sie selbst nebenher auf Tagelohn gehen mußten, um nur das ganze Jahr beschäftigt zu sein. Die Zahl der Meisterstellen war seit langeher trotz der Zunftver-
1Levasseur I, 496--516.
2 J. G. Hoffmann, Nachlaß kleiner Schriften S. 402.
Die alten Mißſtände der Zunftverfaſſung.
und 15 ten Jahrhundert waren die Geſellen damit nicht mehr zufrieden. Das erſchwerte Meiſterwerden führte noch viel mehr als in Deutſchland zu einer ſelbſtändigen gegen die Meiſter gerichten Organiſation, zu heftigen Kämpfen und Mißbräuchen aller Art.1
Von der Zeit der ſtehenden Heere an beruhte die Erhaltung der Zunftverfaſſung mit darauf, daß der große Ueberſchuß alternder Geſellen, die nicht Meiſter werden konnten, ſich anwerben ließ. Die ſtehenden Soldheere des 17 ten und 18 ten Jahrhunderts beſtanden hauptſäch- lich aus früheren Handwerksgeſellen.2 Erſt mit der Konſkription und noch mehr mit der allgemeinen Wehr- pflicht hörte das auf.
In wie weit freilich das vorige Jahrhundert dieſes Abfluſſes noch bedurfte, um die Zunftverfaſſung in alter Weiſe zu erhalten, darüber ließe ſich ſtreiten. In der Hauptſache lagen jetzt die Dinge wieder total anders, als zur Blüthezeit der mittelalterlichen Gewerbe. Das Handwerk befand ſich mit wenigen Ausnahmen ja auf ſo tiefem Standpunkt, daß es zahlreiche Lehrlinge und Geſellen gar nicht beſchäftigte. Die ſtatiſtiſchen Zahlen ſind in dieſer Beziehung geradezu erſchreckend. Sie zeigen, wie wenig die Meiſter zu thun hatten, wie viel- fach ſie ſelbſt nebenher auf Tagelohn gehen mußten, um nur das ganze Jahr beſchäftigt zu ſein. Die Zahl der Meiſterſtellen war ſeit langeher trotz der Zunftver-
1Levasseur I, 496—516.
2 J. G. Hoffmann, Nachlaß kleiner Schriften S. 402.
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Die alten Mißſtände der Zunftverfaſſung.
und 15 ten Jahrhundert waren die Geſellen damit nicht
mehr zufrieden. Das erſchwerte Meiſterwerden führte
noch viel mehr als in Deutſchland zu einer ſelbſtändigen
gegen die Meiſter gerichten Organiſation, zu heftigen
Kämpfen und Mißbräuchen aller Art. 1
Von der Zeit der ſtehenden Heere an beruhte die
Erhaltung der Zunftverfaſſung mit darauf, daß der große
Ueberſchuß alternder Geſellen, die nicht Meiſter werden
konnten, ſich anwerben ließ. Die ſtehenden Soldheere
des 17 ten und 18 ten Jahrhunderts beſtanden hauptſäch-
lich aus früheren Handwerksgeſellen. 2 Erſt mit der
Konſkription und noch mehr mit der allgemeinen Wehr-
pflicht hörte das auf.
In wie weit freilich das vorige Jahrhundert dieſes
Abfluſſes noch bedurfte, um die Zunftverfaſſung in
alter Weiſe zu erhalten, darüber ließe ſich ſtreiten. In
der Hauptſache lagen jetzt die Dinge wieder total anders,
als zur Blüthezeit der mittelalterlichen Gewerbe. Das
Handwerk befand ſich mit wenigen Ausnahmen ja auf
ſo tiefem Standpunkt, daß es zahlreiche Lehrlinge und
Geſellen gar nicht beſchäftigte. Die ſtatiſtiſchen Zahlen
ſind in dieſer Beziehung geradezu erſchreckend. Sie
zeigen, wie wenig die Meiſter zu thun hatten, wie viel-
fach ſie ſelbſt nebenher auf Tagelohn gehen mußten,
um nur das ganze Jahr beſchäftigt zu ſein. Die Zahl
der Meiſterſtellen war ſeit langeher trotz der Zunftver-
1 Levasseur I, 496—516.
2 J. G. Hoffmann, Nachlaß kleiner Schriften S. 402.
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/351>, abgerufen am 22.11.2024.
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