Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
und gefährliche Zunahme. Vor Erlaß der Konzessions-
pflicht im Jahre 1862 gab es in Bremen 512 Lokale,
in welchen spirituöse Getränke feil gehalten wurden, im
Jahre 1867 - 829, damals eines auf 192, jetzt eines
auf 132 Einwohner.

Dieß ist der Grund, der mich veranlaßt anzuneh-
men, daß auch in Preußen die Abnahme nicht ganz von
selbst erfolgt wäre, wenn man nicht auch durch das
Konzessionssystem darauf hingewirkt hätte.

Bei der Frage der vollständigen Freigebung der
Schankgewerbe muß man die allgemeinen Gesichtspunkte
und die Art der Ausführung aus auseinander halten.

Der abstrakte Theoretiker verlangt auch hier unbe-
dingte Freiheit, weil er das Leben nicht kennt. Er über-
sieht die Gefahren, die besonders mit dem Branntwein-
schank, vollends in Fabrikdistrikten, verbunden sind; er
übersieht, daß die proletarische Konkurrenz die Schank-
wirthe nöthigt, in jeder Weise anzulocken, zu verführen,
einen korrumpirenden Kredit zu geben; er übersieht, daß
die ganze Lebenshaltung, das Familienleben, die Sittlich-
keit der arbeitenden Klassen hiermit zusammenhängen;
er weiß es nicht, wie segensreich es in großen Fabrik-
distrikten wirkt, wenn den Arbeitern kontraktlich verboten
wird, eine Schankwirthschaft anzufangen. 1 Alle diese
Gründe sprechen für eine Beschränkung der Zahl der
Schankwirthschaften, für eine Beibehaltung des Kon-
zessionssystems.

1 Des Freiherrn von Diergardt Maßregeln zur Förde-
rung der arbeitenden Klassen, Arbeiterfreund V, 1867. S. 115.

Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.
und gefährliche Zunahme. Vor Erlaß der Konzeſſions-
pflicht im Jahre 1862 gab es in Bremen 512 Lokale,
in welchen ſpirituöſe Getränke feil gehalten wurden, im
Jahre 1867 - 829, damals eines auf 192, jetzt eines
auf 132 Einwohner.

Dieß iſt der Grund, der mich veranlaßt anzuneh-
men, daß auch in Preußen die Abnahme nicht ganz von
ſelbſt erfolgt wäre, wenn man nicht auch durch das
Konzeſſionsſyſtem darauf hingewirkt hätte.

Bei der Frage der vollſtändigen Freigebung der
Schankgewerbe muß man die allgemeinen Geſichtspunkte
und die Art der Ausführung aus auseinander halten.

Der abſtrakte Theoretiker verlangt auch hier unbe-
dingte Freiheit, weil er das Leben nicht kennt. Er über-
ſieht die Gefahren, die beſonders mit dem Branntwein-
ſchank, vollends in Fabrikdiſtrikten, verbunden ſind; er
überſieht, daß die proletariſche Konkurrenz die Schank-
wirthe nöthigt, in jeder Weiſe anzulocken, zu verführen,
einen korrumpirenden Kredit zu geben; er überſieht, daß
die ganze Lebenshaltung, das Familienleben, die Sittlich-
keit der arbeitenden Klaſſen hiermit zuſammenhängen;
er weiß es nicht, wie ſegensreich es in großen Fabrik-
diſtrikten wirkt, wenn den Arbeitern kontraktlich verboten
wird, eine Schankwirthſchaft anzufangen. 1 Alle dieſe
Gründe ſprechen für eine Beſchränkung der Zahl der
Schankwirthſchaften, für eine Beibehaltung des Kon-
zeſſionsſyſtems.

1 Des Freiherrn von Diergardt Maßregeln zur Förde-
rung der arbeitenden Klaſſen, Arbeiterfreund V, 1867. S. 115.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0460" n="438"/><fw place="top" type="header">Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.</fw><lb/>
und gefährliche Zunahme. Vor Erlaß der Konze&#x017F;&#x017F;ions-<lb/>
pflicht im Jahre 1862 gab es in Bremen 512 Lokale,<lb/>
in welchen &#x017F;pirituö&#x017F;e Getränke feil gehalten wurden, im<lb/>
Jahre 1867 - 829, damals eines auf 192, jetzt eines<lb/>
auf 132 Einwohner.</p><lb/>
          <p>Dieß i&#x017F;t der Grund, der mich veranlaßt anzuneh-<lb/>
men, daß auch in Preußen die Abnahme nicht ganz von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t erfolgt wäre, wenn man nicht auch durch das<lb/>
Konze&#x017F;&#x017F;ions&#x017F;y&#x017F;tem darauf hingewirkt hätte.</p><lb/>
          <p>Bei der Frage der voll&#x017F;tändigen Freigebung der<lb/>
Schankgewerbe muß man die allgemeinen Ge&#x017F;ichtspunkte<lb/>
und die Art der Ausführung aus auseinander halten.</p><lb/>
          <p>Der ab&#x017F;trakte Theoretiker verlangt auch hier unbe-<lb/>
dingte Freiheit, weil er das Leben nicht kennt. Er über-<lb/>
&#x017F;ieht die Gefahren, die be&#x017F;onders mit dem Branntwein-<lb/>
&#x017F;chank, vollends in Fabrikdi&#x017F;trikten, verbunden &#x017F;ind; er<lb/>
über&#x017F;ieht, daß die proletari&#x017F;che Konkurrenz die Schank-<lb/>
wirthe nöthigt, in jeder Wei&#x017F;e anzulocken, zu verführen,<lb/>
einen korrumpirenden Kredit zu geben; er über&#x017F;ieht, daß<lb/>
die ganze Lebenshaltung, das Familienleben, die Sittlich-<lb/>
keit der arbeitenden Kla&#x017F;&#x017F;en hiermit zu&#x017F;ammenhängen;<lb/>
er weiß es nicht, wie &#x017F;egensreich es in großen Fabrik-<lb/>
di&#x017F;trikten wirkt, wenn den Arbeitern kontraktlich verboten<lb/>
wird, eine Schankwirth&#x017F;chaft anzufangen. <note place="foot" n="1">Des Freiherrn von Diergardt Maßregeln zur Förde-<lb/>
rung der arbeitenden Kla&#x017F;&#x017F;en, Arbeiterfreund <hi rendition="#aq">V,</hi> 1867. S. 115.</note> Alle die&#x017F;e<lb/>
Gründe &#x017F;prechen für eine Be&#x017F;chränkung der Zahl der<lb/>
Schankwirth&#x017F;chaften, für eine Beibehaltung des Kon-<lb/>
ze&#x017F;&#x017F;ions&#x017F;y&#x017F;tems.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[438/0460] Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. und gefährliche Zunahme. Vor Erlaß der Konzeſſions- pflicht im Jahre 1862 gab es in Bremen 512 Lokale, in welchen ſpirituöſe Getränke feil gehalten wurden, im Jahre 1867 - 829, damals eines auf 192, jetzt eines auf 132 Einwohner. Dieß iſt der Grund, der mich veranlaßt anzuneh- men, daß auch in Preußen die Abnahme nicht ganz von ſelbſt erfolgt wäre, wenn man nicht auch durch das Konzeſſionsſyſtem darauf hingewirkt hätte. Bei der Frage der vollſtändigen Freigebung der Schankgewerbe muß man die allgemeinen Geſichtspunkte und die Art der Ausführung aus auseinander halten. Der abſtrakte Theoretiker verlangt auch hier unbe- dingte Freiheit, weil er das Leben nicht kennt. Er über- ſieht die Gefahren, die beſonders mit dem Branntwein- ſchank, vollends in Fabrikdiſtrikten, verbunden ſind; er überſieht, daß die proletariſche Konkurrenz die Schank- wirthe nöthigt, in jeder Weiſe anzulocken, zu verführen, einen korrumpirenden Kredit zu geben; er überſieht, daß die ganze Lebenshaltung, das Familienleben, die Sittlich- keit der arbeitenden Klaſſen hiermit zuſammenhängen; er weiß es nicht, wie ſegensreich es in großen Fabrik- diſtrikten wirkt, wenn den Arbeitern kontraktlich verboten wird, eine Schankwirthſchaft anzufangen. 1 Alle dieſe Gründe ſprechen für eine Beſchränkung der Zahl der Schankwirthſchaften, für eine Beibehaltung des Kon- zeſſionsſyſtems. 1 Des Freiherrn von Diergardt Maßregeln zur Förde- rung der arbeitenden Klaſſen, Arbeiterfreund V, 1867. S. 115.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/460
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/460>, abgerufen am 16.07.2024.