Die letzte Frage, welche sich hieran anschließt, ist die, ob mit dieser Bewegung die Handarbeit und Haus- industrie ganz verschwinden wird oder nicht. Es kommt darauf an, was ihr je nach den konkreten Verhältnissen bisher geblieben war, auf welcher Stufe moralischer und technischer Bildung die Weber der einzelnen Gegend stehen. Dr. Peez berichtet z. B. 2 von Frankreich, daß 1867 neben 80000 mechanischen noch 200000 Hand- stühle gehen, und setzt hinzu: "Um die hohe Zahl der letzteren zu begreifen, muß man sich erinnern, daß es sich in Frankreich nicht mehr um den hoffnungslosen Wettlauf der Handweberei mit der Maschine bei groben gewöhnlichen Geweben handelt, daß vielmehr die hoch- entwickelte französische Feinwaarenindustrie eine Menge von Geweben fordert, die wegen häufiger, von der Mode geforderter Variationen nur mit gut bezahlter Handarbeit erzeugt werden können. Hierher gehören vor Allem die feinen Artikel von St. Quentin und Tarare, aber auch die Piques für Westen und Anderes."
Das ist der Punkt, um den es sich auch in Deutschland handelt. Wo der niedrige Lohn und die Noth die Weberbevölkerung nicht allzuweit herabgedrückt haben, wo die Geschäftsvermittlung der Faktoren nicht zu dem traurigen Systeme gegenseitiger Betrügerei und Uebervortheilung ausgeartet ist, wo man den Leuten theure Garne und werthvolle Muster anvertrauen kann, wo die technischen Kenntnisse der Weber, sei es in Folge der bessern Lage, sei es in Folge von Webschulen Fort-
2 Im östreichischen Ausstellungsbericht Bd. IV, S. 25.
Die mögliche Erhaltung der Hausinduſtrie.
Die letzte Frage, welche ſich hieran anſchließt, iſt die, ob mit dieſer Bewegung die Handarbeit und Haus- induſtrie ganz verſchwinden wird oder nicht. Es kommt darauf an, was ihr je nach den konkreten Verhältniſſen bisher geblieben war, auf welcher Stufe moraliſcher und techniſcher Bildung die Weber der einzelnen Gegend ſtehen. Dr. Peez berichtet z. B. 2 von Frankreich, daß 1867 neben 80000 mechaniſchen noch 200000 Hand- ſtühle gehen, und ſetzt hinzu: „Um die hohe Zahl der letzteren zu begreifen, muß man ſich erinnern, daß es ſich in Frankreich nicht mehr um den hoffnungsloſen Wettlauf der Handweberei mit der Maſchine bei groben gewöhnlichen Geweben handelt, daß vielmehr die hoch- entwickelte franzöſiſche Feinwaareninduſtrie eine Menge von Geweben fordert, die wegen häufiger, von der Mode geforderter Variationen nur mit gut bezahlter Handarbeit erzeugt werden können. Hierher gehören vor Allem die feinen Artikel von St. Quentin und Tarare, aber auch die Piqués für Weſten und Anderes.“
Das iſt der Punkt, um den es ſich auch in Deutſchland handelt. Wo der niedrige Lohn und die Noth die Weberbevölkerung nicht allzuweit herabgedrückt haben, wo die Geſchäftsvermittlung der Faktoren nicht zu dem traurigen Syſteme gegenſeitiger Betrügerei und Uebervortheilung ausgeartet iſt, wo man den Leuten theure Garne und werthvolle Muſter anvertrauen kann, wo die techniſchen Kenntniſſe der Weber, ſei es in Folge der beſſern Lage, ſei es in Folge von Webſchulen Fort-
2 Im öſtreichiſchen Ausſtellungsbericht Bd. IV, S. 25.
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Die mögliche Erhaltung der Hausinduſtrie.
Die letzte Frage, welche ſich hieran anſchließt, iſt
die, ob mit dieſer Bewegung die Handarbeit und Haus-
induſtrie ganz verſchwinden wird oder nicht. Es kommt
darauf an, was ihr je nach den konkreten Verhältniſſen
bisher geblieben war, auf welcher Stufe moraliſcher
und techniſcher Bildung die Weber der einzelnen Gegend
ſtehen. Dr. Peez berichtet z. B. 2 von Frankreich, daß
1867 neben 80000 mechaniſchen noch 200000 Hand-
ſtühle gehen, und ſetzt hinzu: „Um die hohe Zahl der
letzteren zu begreifen, muß man ſich erinnern, daß es
ſich in Frankreich nicht mehr um den hoffnungsloſen
Wettlauf der Handweberei mit der Maſchine bei groben
gewöhnlichen Geweben handelt, daß vielmehr die hoch-
entwickelte franzöſiſche Feinwaareninduſtrie eine Menge
von Geweben fordert, die wegen häufiger, von der
Mode geforderter Variationen nur mit gut bezahlter
Handarbeit erzeugt werden können. Hierher gehören
vor Allem die feinen Artikel von St. Quentin und
Tarare, aber auch die Piqués für Weſten und Anderes.“
Das iſt der Punkt, um den es ſich auch in
Deutſchland handelt. Wo der niedrige Lohn und die
Noth die Weberbevölkerung nicht allzuweit herabgedrückt
haben, wo die Geſchäftsvermittlung der Faktoren nicht
zu dem traurigen Syſteme gegenſeitiger Betrügerei und
Uebervortheilung ausgeartet iſt, wo man den Leuten
theure Garne und werthvolle Muſter anvertrauen kann,
wo die techniſchen Kenntniſſe der Weber, ſei es in Folge
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2 Im öſtreichiſchen Ausſtellungsbericht Bd. IV, S. 25.
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/593>, abgerufen am 22.11.2024.
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