sinkt ganz entschieden; aber eben damit steigt die Rath- losigkeit und die Muthlosigkeit.
Eben für diese Muthlosigkeit möchte ich einige persön- liche Erfahrungen als Bestätigung anführen. Ich habe seit längerer Zeit, auf Reisen und zu Hause, versucht, das Alter der Meister zu beobachten; ich fand fast immer mehr alte als junge Meister: viele der 1861 noch vorhandenen Meister werden nicht mehr durch neue ersetzt werden. Die Aelteren siechen vollends hin, weil sie nichts anderes zu ergreifen wissen. Als ich neulich den Vorstand der hiesigen an sich blühenden Weberassoziation fragte, wie es gehe, meinte er, der Absatz gehe, seine 9 Weber seien immer voll beschäftigt; aber einer seiner alten Freunde nach dem andern sterbe weg, junge treten nicht zu, es setzten sich gar keine jungen Webermeister mehr hier. Und ähnlich geht es mit einer Reihe von Gewerbszweigen, die heute noch als kleine Geschäfte existiren, in die aber kein junger Nachwuchs eintritt. Unter den jüngern Meistern, die in anderen Branchen noch versuchen, ein Geschäft anzufangen, hat mich bei mannigfachen Gesprächen da und dort ein Symptom um so mehr erschreckt, je öfter ich darauf stieß: die Stellenjägerei von Leuten, deren Stolz und Ehre das eigene Geschäft doch sein sollte. Sie wollen ihr Geschäft aufgeben, wenn man ihnen nur die Stelle eines Hausmanns, eines Schließers mit freier Woh- nung oder ein paar Thalern in Aussicht stellt, wenn sie bei einer Eisenbahn nur Wagenschieber mit jährlich 100 Thlr. werden können. Eisenbahnen und Aktien- gesellschaften wissen davon zu erzählen. Die zahlreichen
Die Muthloſigkeit der kleinen Meiſter.
ſinkt ganz entſchieden; aber eben damit ſteigt die Rath- loſigkeit und die Muthloſigkeit.
Eben für dieſe Muthloſigkeit möchte ich einige perſön- liche Erfahrungen als Beſtätigung anführen. Ich habe ſeit längerer Zeit, auf Reiſen und zu Hauſe, verſucht, das Alter der Meiſter zu beobachten; ich fand faſt immer mehr alte als junge Meiſter: viele der 1861 noch vorhandenen Meiſter werden nicht mehr durch neue erſetzt werden. Die Aelteren ſiechen vollends hin, weil ſie nichts anderes zu ergreifen wiſſen. Als ich neulich den Vorſtand der hieſigen an ſich blühenden Weberaſſoziation fragte, wie es gehe, meinte er, der Abſatz gehe, ſeine 9 Weber ſeien immer voll beſchäftigt; aber einer ſeiner alten Freunde nach dem andern ſterbe weg, junge treten nicht zu, es ſetzten ſich gar keine jungen Webermeiſter mehr hier. Und ähnlich geht es mit einer Reihe von Gewerbszweigen, die heute noch als kleine Geſchäfte exiſtiren, in die aber kein junger Nachwuchs eintritt. Unter den jüngern Meiſtern, die in anderen Branchen noch verſuchen, ein Geſchäft anzufangen, hat mich bei mannigfachen Geſprächen da und dort ein Symptom um ſo mehr erſchreckt, je öfter ich darauf ſtieß: die Stellenjägerei von Leuten, deren Stolz und Ehre das eigene Geſchäft doch ſein ſollte. Sie wollen ihr Geſchäft aufgeben, wenn man ihnen nur die Stelle eines Hausmanns, eines Schließers mit freier Woh- nung oder ein paar Thalern in Ausſicht ſtellt, wenn ſie bei einer Eiſenbahn nur Wagenſchieber mit jährlich 100 Thlr. werden können. Eiſenbahnen und Aktien- geſellſchaften wiſſen davon zu erzählen. Die zahlreichen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0691"n="669"/><fwplace="top"type="header">Die Muthloſigkeit der kleinen Meiſter.</fw><lb/>ſinkt ganz entſchieden; aber eben damit ſteigt die Rath-<lb/>
loſigkeit und die Muthloſigkeit.</p><lb/><p>Eben für dieſe Muthloſigkeit möchte ich einige perſön-<lb/>
liche Erfahrungen als Beſtätigung anführen. Ich habe<lb/>ſeit längerer Zeit, auf Reiſen und zu Hauſe, verſucht,<lb/>
das Alter der Meiſter zu beobachten; ich fand faſt<lb/>
immer mehr alte als junge Meiſter: viele der 1861<lb/>
noch vorhandenen Meiſter werden nicht mehr durch<lb/>
neue erſetzt werden. Die Aelteren ſiechen vollends<lb/>
hin, weil ſie nichts anderes zu ergreifen wiſſen. Als<lb/>
ich neulich den Vorſtand der hieſigen an ſich blühenden<lb/>
Weberaſſoziation fragte, wie es gehe, meinte er, der<lb/>
Abſatz gehe, ſeine 9 Weber ſeien immer voll beſchäftigt;<lb/>
aber einer ſeiner alten Freunde nach dem andern ſterbe<lb/>
weg, junge treten nicht zu, es ſetzten ſich gar keine jungen<lb/>
Webermeiſter mehr hier. Und ähnlich geht es mit einer<lb/>
Reihe von Gewerbszweigen, die heute noch als kleine<lb/>
Geſchäfte exiſtiren, in die aber kein junger Nachwuchs<lb/>
eintritt. Unter den jüngern Meiſtern, die in anderen<lb/>
Branchen noch verſuchen, ein Geſchäft anzufangen, hat<lb/>
mich bei mannigfachen Geſprächen da und dort ein<lb/>
Symptom um ſo mehr erſchreckt, je öfter ich darauf ſtieß:<lb/>
die Stellenjägerei von Leuten, deren Stolz und Ehre<lb/>
das eigene Geſchäft doch ſein ſollte. Sie wollen ihr<lb/>
Geſchäft aufgeben, wenn man ihnen nur die Stelle<lb/>
eines Hausmanns, eines Schließers mit freier Woh-<lb/>
nung oder ein paar Thalern in Ausſicht ſtellt, wenn<lb/>ſie bei einer Eiſenbahn nur Wagenſchieber mit jährlich<lb/>
100 Thlr. werden können. Eiſenbahnen und Aktien-<lb/>
geſellſchaften wiſſen davon zu erzählen. Die zahlreichen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[669/0691]
Die Muthloſigkeit der kleinen Meiſter.
ſinkt ganz entſchieden; aber eben damit ſteigt die Rath-
loſigkeit und die Muthloſigkeit.
Eben für dieſe Muthloſigkeit möchte ich einige perſön-
liche Erfahrungen als Beſtätigung anführen. Ich habe
ſeit längerer Zeit, auf Reiſen und zu Hauſe, verſucht,
das Alter der Meiſter zu beobachten; ich fand faſt
immer mehr alte als junge Meiſter: viele der 1861
noch vorhandenen Meiſter werden nicht mehr durch
neue erſetzt werden. Die Aelteren ſiechen vollends
hin, weil ſie nichts anderes zu ergreifen wiſſen. Als
ich neulich den Vorſtand der hieſigen an ſich blühenden
Weberaſſoziation fragte, wie es gehe, meinte er, der
Abſatz gehe, ſeine 9 Weber ſeien immer voll beſchäftigt;
aber einer ſeiner alten Freunde nach dem andern ſterbe
weg, junge treten nicht zu, es ſetzten ſich gar keine jungen
Webermeiſter mehr hier. Und ähnlich geht es mit einer
Reihe von Gewerbszweigen, die heute noch als kleine
Geſchäfte exiſtiren, in die aber kein junger Nachwuchs
eintritt. Unter den jüngern Meiſtern, die in anderen
Branchen noch verſuchen, ein Geſchäft anzufangen, hat
mich bei mannigfachen Geſprächen da und dort ein
Symptom um ſo mehr erſchreckt, je öfter ich darauf ſtieß:
die Stellenjägerei von Leuten, deren Stolz und Ehre
das eigene Geſchäft doch ſein ſollte. Sie wollen ihr
Geſchäft aufgeben, wenn man ihnen nur die Stelle
eines Hausmanns, eines Schließers mit freier Woh-
nung oder ein paar Thalern in Ausſicht ſtellt, wenn
ſie bei einer Eiſenbahn nur Wagenſchieber mit jährlich
100 Thlr. werden können. Eiſenbahnen und Aktien-
geſellſchaften wiſſen davon zu erzählen. Die zahlreichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/691>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.