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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Muthlosigkeit der kleinen Meister.
sinkt ganz entschieden; aber eben damit steigt die Rath-
losigkeit und die Muthlosigkeit.

Eben für diese Muthlosigkeit möchte ich einige persön-
liche Erfahrungen als Bestätigung anführen. Ich habe
seit längerer Zeit, auf Reisen und zu Hause, versucht,
das Alter der Meister zu beobachten; ich fand fast
immer mehr alte als junge Meister: viele der 1861
noch vorhandenen Meister werden nicht mehr durch
neue ersetzt werden. Die Aelteren siechen vollends
hin, weil sie nichts anderes zu ergreifen wissen. Als
ich neulich den Vorstand der hiesigen an sich blühenden
Weberassoziation fragte, wie es gehe, meinte er, der
Absatz gehe, seine 9 Weber seien immer voll beschäftigt;
aber einer seiner alten Freunde nach dem andern sterbe
weg, junge treten nicht zu, es setzten sich gar keine jungen
Webermeister mehr hier. Und ähnlich geht es mit einer
Reihe von Gewerbszweigen, die heute noch als kleine
Geschäfte existiren, in die aber kein junger Nachwuchs
eintritt. Unter den jüngern Meistern, die in anderen
Branchen noch versuchen, ein Geschäft anzufangen, hat
mich bei mannigfachen Gesprächen da und dort ein
Symptom um so mehr erschreckt, je öfter ich darauf stieß:
die Stellenjägerei von Leuten, deren Stolz und Ehre
das eigene Geschäft doch sein sollte. Sie wollen ihr
Geschäft aufgeben, wenn man ihnen nur die Stelle
eines Hausmanns, eines Schließers mit freier Woh-
nung oder ein paar Thalern in Aussicht stellt, wenn
sie bei einer Eisenbahn nur Wagenschieber mit jährlich
100 Thlr. werden können. Eisenbahnen und Aktien-
gesellschaften wissen davon zu erzählen. Die zahlreichen

Die Muthloſigkeit der kleinen Meiſter.
ſinkt ganz entſchieden; aber eben damit ſteigt die Rath-
loſigkeit und die Muthloſigkeit.

Eben für dieſe Muthloſigkeit möchte ich einige perſön-
liche Erfahrungen als Beſtätigung anführen. Ich habe
ſeit längerer Zeit, auf Reiſen und zu Hauſe, verſucht,
das Alter der Meiſter zu beobachten; ich fand faſt
immer mehr alte als junge Meiſter: viele der 1861
noch vorhandenen Meiſter werden nicht mehr durch
neue erſetzt werden. Die Aelteren ſiechen vollends
hin, weil ſie nichts anderes zu ergreifen wiſſen. Als
ich neulich den Vorſtand der hieſigen an ſich blühenden
Weberaſſoziation fragte, wie es gehe, meinte er, der
Abſatz gehe, ſeine 9 Weber ſeien immer voll beſchäftigt;
aber einer ſeiner alten Freunde nach dem andern ſterbe
weg, junge treten nicht zu, es ſetzten ſich gar keine jungen
Webermeiſter mehr hier. Und ähnlich geht es mit einer
Reihe von Gewerbszweigen, die heute noch als kleine
Geſchäfte exiſtiren, in die aber kein junger Nachwuchs
eintritt. Unter den jüngern Meiſtern, die in anderen
Branchen noch verſuchen, ein Geſchäft anzufangen, hat
mich bei mannigfachen Geſprächen da und dort ein
Symptom um ſo mehr erſchreckt, je öfter ich darauf ſtieß:
die Stellenjägerei von Leuten, deren Stolz und Ehre
das eigene Geſchäft doch ſein ſollte. Sie wollen ihr
Geſchäft aufgeben, wenn man ihnen nur die Stelle
eines Hausmanns, eines Schließers mit freier Woh-
nung oder ein paar Thalern in Ausſicht ſtellt, wenn
ſie bei einer Eiſenbahn nur Wagenſchieber mit jährlich
100 Thlr. werden können. Eiſenbahnen und Aktien-
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[669/0691] Die Muthloſigkeit der kleinen Meiſter. ſinkt ganz entſchieden; aber eben damit ſteigt die Rath- loſigkeit und die Muthloſigkeit. Eben für dieſe Muthloſigkeit möchte ich einige perſön- liche Erfahrungen als Beſtätigung anführen. Ich habe ſeit längerer Zeit, auf Reiſen und zu Hauſe, verſucht, das Alter der Meiſter zu beobachten; ich fand faſt immer mehr alte als junge Meiſter: viele der 1861 noch vorhandenen Meiſter werden nicht mehr durch neue erſetzt werden. Die Aelteren ſiechen vollends hin, weil ſie nichts anderes zu ergreifen wiſſen. Als ich neulich den Vorſtand der hieſigen an ſich blühenden Weberaſſoziation fragte, wie es gehe, meinte er, der Abſatz gehe, ſeine 9 Weber ſeien immer voll beſchäftigt; aber einer ſeiner alten Freunde nach dem andern ſterbe weg, junge treten nicht zu, es ſetzten ſich gar keine jungen Webermeiſter mehr hier. Und ähnlich geht es mit einer Reihe von Gewerbszweigen, die heute noch als kleine Geſchäfte exiſtiren, in die aber kein junger Nachwuchs eintritt. Unter den jüngern Meiſtern, die in anderen Branchen noch verſuchen, ein Geſchäft anzufangen, hat mich bei mannigfachen Geſprächen da und dort ein Symptom um ſo mehr erſchreckt, je öfter ich darauf ſtieß: die Stellenjägerei von Leuten, deren Stolz und Ehre das eigene Geſchäft doch ſein ſollte. Sie wollen ihr Geſchäft aufgeben, wenn man ihnen nur die Stelle eines Hausmanns, eines Schließers mit freier Woh- nung oder ein paar Thalern in Ausſicht ſtellt, wenn ſie bei einer Eiſenbahn nur Wagenſchieber mit jährlich 100 Thlr. werden können. Eiſenbahnen und Aktien- geſellſchaften wiſſen davon zu erzählen. Die zahlreichen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/691>, abgerufen am 22.11.2024.