Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Schluß und Resultate.
Auswanderungen von Handwerkern sind Folge des-
selben Zusammenhangs. Nur ein anderes Symptom
der Muthlosigkeit ist es, wenn die leidenschaftlichen,
die sanguinischen, die verbissenen Naturen der Sozial-
demokratie sich in die Arme werfen. Kleine Meister
und ältere Gesellen, die es zu keinem ordentlichen Ge-
schäft bringen können, stellen ein ziemliches Kontingent
zu dieser Partei.

Freilich gibt es auch welche, die den Muth nicht
ganz sinken lassen; es sind die pfiffigen, die verschmitz-
ten, geriebenen; für sie ist das Bankerottmachen ein
gutes Geschäft; ursprünglich Handwerker, werden sie
später ausschließlich Krämer, Unterhändler, Kommis-
sionäre, Winkeladvokaten, Hausirer; ihnen ist kein Ge-
schäft zu schlecht; man nennt sie hier zu Lande die
"Macher," weil sie Alles und in Allem machen. Der
schlimmste Theil bildet die Rekruten für das Zuchthaus;
viele aber waren ursprünglich ehrliche Leute, welche nur
die Noth zu "Machern" gemacht hat.

Unter alle die vorstehenden Kategorien paßt eine
Klasse der kleinen Meister nicht recht und zwar eine
der zahlreichsten; ich meine die Weber, die Schmiede,
die Blecharbeiter, die Holzschnitzer und andere in Haus-
industrien beschästigte Meister und Arbeiter, welche über-
wiegend auf dem Lande wohnen. Von Schlesien bis
an und über den Rhein zieht sich besonders durch ganz
Mitteldeutschland zu Tausenden diese Art kleiner Unter-
nehmungen. Meist schon lokal abgeschnitten von för-
dernden Anregungen, bleiben sie trotz immer sinkenden
Lohnes ihrer Arbeit treu. In einzelnen Branchen, wie

Schluß und Reſultate.
Auswanderungen von Handwerkern ſind Folge des-
ſelben Zuſammenhangs. Nur ein anderes Symptom
der Muthloſigkeit iſt es, wenn die leidenſchaftlichen,
die ſanguiniſchen, die verbiſſenen Naturen der Sozial-
demokratie ſich in die Arme werfen. Kleine Meiſter
und ältere Geſellen, die es zu keinem ordentlichen Ge-
ſchäft bringen können, ſtellen ein ziemliches Kontingent
zu dieſer Partei.

Freilich gibt es auch welche, die den Muth nicht
ganz ſinken laſſen; es ſind die pfiffigen, die verſchmitz-
ten, geriebenen; für ſie iſt das Bankerottmachen ein
gutes Geſchäft; urſprünglich Handwerker, werden ſie
ſpäter ausſchließlich Krämer, Unterhändler, Kommiſ-
ſionäre, Winkeladvokaten, Hauſirer; ihnen iſt kein Ge-
ſchäft zu ſchlecht; man nennt ſie hier zu Lande die
„Macher,“ weil ſie Alles und in Allem machen. Der
ſchlimmſte Theil bildet die Rekruten für das Zuchthaus;
viele aber waren urſprünglich ehrliche Leute, welche nur
die Noth zu „Machern“ gemacht hat.

Unter alle die vorſtehenden Kategorien paßt eine
Klaſſe der kleinen Meiſter nicht recht und zwar eine
der zahlreichſten; ich meine die Weber, die Schmiede,
die Blecharbeiter, die Holzſchnitzer und andere in Haus-
induſtrien beſchäſtigte Meiſter und Arbeiter, welche über-
wiegend auf dem Lande wohnen. Von Schleſien bis
an und über den Rhein zieht ſich beſonders durch ganz
Mitteldeutſchland zu Tauſenden dieſe Art kleiner Unter-
nehmungen. Meiſt ſchon lokal abgeſchnitten von för-
dernden Anregungen, bleiben ſie trotz immer ſinkenden
Lohnes ihrer Arbeit treu. In einzelnen Branchen, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0692" n="670"/><fw place="top" type="header">Schluß und Re&#x017F;ultate.</fw><lb/>
Auswanderungen von Handwerkern &#x017F;ind Folge des-<lb/>
&#x017F;elben Zu&#x017F;ammenhangs. Nur ein anderes Symptom<lb/>
der Muthlo&#x017F;igkeit i&#x017F;t es, wenn die leiden&#x017F;chaftlichen,<lb/>
die &#x017F;anguini&#x017F;chen, die verbi&#x017F;&#x017F;enen Naturen der Sozial-<lb/>
demokratie &#x017F;ich in die Arme werfen. Kleine Mei&#x017F;ter<lb/>
und ältere Ge&#x017F;ellen, die es zu keinem ordentlichen Ge-<lb/>
&#x017F;chäft bringen können, &#x017F;tellen ein ziemliches Kontingent<lb/>
zu die&#x017F;er Partei.</p><lb/>
        <p>Freilich gibt es auch welche, die den Muth nicht<lb/>
ganz &#x017F;inken la&#x017F;&#x017F;en; es &#x017F;ind die pfiffigen, die ver&#x017F;chmitz-<lb/>
ten, geriebenen; für &#x017F;ie i&#x017F;t das Bankerottmachen ein<lb/>
gutes Ge&#x017F;chäft; ur&#x017F;prünglich Handwerker, werden &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;päter aus&#x017F;chließlich Krämer, Unterhändler, Kommi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ionäre, Winkeladvokaten, Hau&#x017F;irer; ihnen i&#x017F;t kein Ge-<lb/>
&#x017F;chäft zu &#x017F;chlecht; man nennt &#x017F;ie hier zu Lande die<lb/>
&#x201E;Macher,&#x201C; weil &#x017F;ie Alles und in Allem machen. Der<lb/>
&#x017F;chlimm&#x017F;te Theil bildet die Rekruten für das Zuchthaus;<lb/>
viele aber waren ur&#x017F;prünglich ehrliche Leute, welche nur<lb/>
die Noth zu &#x201E;Machern&#x201C; gemacht hat.</p><lb/>
        <p>Unter alle die vor&#x017F;tehenden Kategorien paßt eine<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;e der kleinen Mei&#x017F;ter nicht recht und zwar eine<lb/>
der zahlreich&#x017F;ten; ich meine die Weber, die Schmiede,<lb/>
die Blecharbeiter, die Holz&#x017F;chnitzer und andere in Haus-<lb/>
indu&#x017F;trien be&#x017F;chä&#x017F;tigte Mei&#x017F;ter und Arbeiter, welche über-<lb/>
wiegend auf dem Lande wohnen. Von Schle&#x017F;ien bis<lb/>
an und über den Rhein zieht &#x017F;ich be&#x017F;onders durch ganz<lb/>
Mitteldeut&#x017F;chland zu Tau&#x017F;enden die&#x017F;e Art kleiner Unter-<lb/>
nehmungen. Mei&#x017F;t &#x017F;chon lokal abge&#x017F;chnitten von för-<lb/>
dernden Anregungen, bleiben &#x017F;ie trotz immer &#x017F;inkenden<lb/>
Lohnes ihrer Arbeit treu. In einzelnen Branchen, wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[670/0692] Schluß und Reſultate. Auswanderungen von Handwerkern ſind Folge des- ſelben Zuſammenhangs. Nur ein anderes Symptom der Muthloſigkeit iſt es, wenn die leidenſchaftlichen, die ſanguiniſchen, die verbiſſenen Naturen der Sozial- demokratie ſich in die Arme werfen. Kleine Meiſter und ältere Geſellen, die es zu keinem ordentlichen Ge- ſchäft bringen können, ſtellen ein ziemliches Kontingent zu dieſer Partei. Freilich gibt es auch welche, die den Muth nicht ganz ſinken laſſen; es ſind die pfiffigen, die verſchmitz- ten, geriebenen; für ſie iſt das Bankerottmachen ein gutes Geſchäft; urſprünglich Handwerker, werden ſie ſpäter ausſchließlich Krämer, Unterhändler, Kommiſ- ſionäre, Winkeladvokaten, Hauſirer; ihnen iſt kein Ge- ſchäft zu ſchlecht; man nennt ſie hier zu Lande die „Macher,“ weil ſie Alles und in Allem machen. Der ſchlimmſte Theil bildet die Rekruten für das Zuchthaus; viele aber waren urſprünglich ehrliche Leute, welche nur die Noth zu „Machern“ gemacht hat. Unter alle die vorſtehenden Kategorien paßt eine Klaſſe der kleinen Meiſter nicht recht und zwar eine der zahlreichſten; ich meine die Weber, die Schmiede, die Blecharbeiter, die Holzſchnitzer und andere in Haus- induſtrien beſchäſtigte Meiſter und Arbeiter, welche über- wiegend auf dem Lande wohnen. Von Schleſien bis an und über den Rhein zieht ſich beſonders durch ganz Mitteldeutſchland zu Tauſenden dieſe Art kleiner Unter- nehmungen. Meiſt ſchon lokal abgeſchnitten von för- dernden Anregungen, bleiben ſie trotz immer ſinkenden Lohnes ihrer Arbeit treu. In einzelnen Branchen, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/692
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/692>, abgerufen am 22.11.2024.