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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Menschen, der der Erden eine verfluchte unnütze
Last, dem Teuffel aber eine desto nützlichere Crea-
tur gewesen. Welcher Mensch, der nur ein Fünck-
lein Tugend in seiner Seelen hegt, wird nicht
über dergleichen Abschaum aller Laster erstaunen
und dessen durchteufeltes Gemüthe verfluchen? Jch
vor meine Person hatte recht vom Glücke zu sagen,
daß ich seinen Mord-Streichen noch so zu sagen
mit blauen Augen entkommen, wiewohl ich an
meinen empfangenen Wunden, die wegen der sau-
ren Arbeit bey dem Begräbnisse dieses Höllenbran-
des starck erhitzt wurden, nachhero Angst und
Schmertzen genug auszustehen hatte.

Meine annoch eintzige Unglücks-Gefährtin,
nehmlich die Concordia, traff ich bey meiner Zu-
rückkunfft sich fast in Thränen badend an, weil ich
nun der eintzige Zeuge ihres Jammers war, und
desselben Ursprung nur allzu wohl wuste, wegen
ihrer besondern Gottesfurcht und anderer Tugen-
den aber in meiner Seelen ein hefftiges Mitleyden
über ihr unglückliches Verhängniß hegte, und
mein sebst eigenes Theil ziemlich dabey hatte, so
war mir um soviel desto leichter, ihr im klagen und
weinen Geselschafft zu leisten, also vertieffeten
wir uns dermassen in unserer Betrübniß, daß wir
den gantzen Tag biß zu einbrechender Nacht ohne
Essen und Trincken bloß mit seuffzen, weinen
und klagen binbrachten. Endlich da mir die ver-
nünfftigen Gedancken wiederum einfielen, daß wir
mit allzu übermäßiger Betrübniß unser Schicksal
weder verbessern noch verschlimmern, die höchste
Macht aber dadurch nur noch mehr zum Zorne rei-

tzen

Menſchen, der der Erden eine verfluchte unnuͤtze
Laſt, dem Teuffel aber eine deſto nuͤtzlichere Crea-
tur geweſen. Welcher Menſch, der nur ein Fuͤnck-
lein Tugend in ſeiner Seelen hegt, wird nicht
uͤber dergleichen Abſchaum aller Laſter erſtaunen
und deſſen durchteufeltes Gemuͤthe verfluchen? Jch
vor meine Perſon hatte recht vom Gluͤcke zu ſagen,
daß ich ſeinen Mord-Streichen noch ſo zu ſagen
mit blauen Augen entkommen, wiewohl ich an
meinen empfangenen Wunden, die wegen der ſau-
ren Arbeit bey dem Begraͤbniſſe dieſes Hoͤllenbran-
des ſtarck erhitzt wurden, nachhero Angſt und
Schmertzen genug auszuſtehen hatte.

Meine annoch eintzige Ungluͤcks-Gefaͤhrtin,
nehmlich die Concordia, traff ich bey meiner Zu-
ruͤckkunfft ſich faſt in Thraͤnen badend an, weil ich
nun der eintzige Zeuge ihres Jammers war, und
deſſelben Urſprung nur allzu wohl wuſte, wegen
ihrer beſondern Gottesfurcht und anderer Tugen-
den aber in meiner Seelen ein hefftiges Mitleyden
uͤber ihr ungluͤckliches Verhaͤngniß hegte, und
mein ſebſt eigenes Theil ziemlich dabey hatte, ſo
war mir um ſoviel deſto leichter, ihr im klagen und
weinen Geſelſchafft zu leiſten, alſo vertieffeten
wir uns dermaſſen in unſerer Betruͤbniß, daß wir
den gantzen Tag biß zu einbrechender Nacht ohne
Eſſen und Trincken bloß mit ſeuffzen, weinen
und klagen binbrachten. Endlich da mir die ver-
nuͤnfftigen Gedancken wiederum einfielen, daß wir
mit allzu uͤbermaͤßiger Betruͤbniß unſer Schickſal
weder verbeſſern noch verſchlimmern, die hoͤchſte
Macht aber dadurch nur noch mehr zum Zorne rei-

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[219/0233] Menſchen, der der Erden eine verfluchte unnuͤtze Laſt, dem Teuffel aber eine deſto nuͤtzlichere Crea- tur geweſen. Welcher Menſch, der nur ein Fuͤnck- lein Tugend in ſeiner Seelen hegt, wird nicht uͤber dergleichen Abſchaum aller Laſter erſtaunen und deſſen durchteufeltes Gemuͤthe verfluchen? Jch vor meine Perſon hatte recht vom Gluͤcke zu ſagen, daß ich ſeinen Mord-Streichen noch ſo zu ſagen mit blauen Augen entkommen, wiewohl ich an meinen empfangenen Wunden, die wegen der ſau- ren Arbeit bey dem Begraͤbniſſe dieſes Hoͤllenbran- des ſtarck erhitzt wurden, nachhero Angſt und Schmertzen genug auszuſtehen hatte. Meine annoch eintzige Ungluͤcks-Gefaͤhrtin, nehmlich die Concordia, traff ich bey meiner Zu- ruͤckkunfft ſich faſt in Thraͤnen badend an, weil ich nun der eintzige Zeuge ihres Jammers war, und deſſelben Urſprung nur allzu wohl wuſte, wegen ihrer beſondern Gottesfurcht und anderer Tugen- den aber in meiner Seelen ein hefftiges Mitleyden uͤber ihr ungluͤckliches Verhaͤngniß hegte, und mein ſebſt eigenes Theil ziemlich dabey hatte, ſo war mir um ſoviel deſto leichter, ihr im klagen und weinen Geſelſchafft zu leiſten, alſo vertieffeten wir uns dermaſſen in unſerer Betruͤbniß, daß wir den gantzen Tag biß zu einbrechender Nacht ohne Eſſen und Trincken bloß mit ſeuffzen, weinen und klagen binbrachten. Endlich da mir die ver- nuͤnfftigen Gedancken wiederum einfielen, daß wir mit allzu uͤbermaͤßiger Betruͤbniß unſer Schickſal weder verbeſſern noch verſchlimmern, die hoͤchſte Macht aber dadurch nur noch mehr zum Zorne rei- tzen

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/233>, abgerufen am 23.11.2024.