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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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ben, indem meine Schwester Philippine vor eine der
schönsten Jungfrauen in Middelburg gehalten wur-
de, von meiner Gesichts-Bildung aber gieng die Re-
de, als ob ich, ohne Ruhm zu melden, nicht allein mei-
ne Schwester, sondern auch alles andere Frauen-
zimmer im Lande an Schönheit übertreffen solte.
Doch schrieb man mir als einen besonders grossen
Fehler zu, daß ich eines allzu stillen, eigensinnigen,
melancholischen, dahero verdrießlichen Tempera-
ments
wäre, dahingegen meine Schwester eine auf-
geräumte und muntere Lebens-Art blicken liesse.

Wiewohl ich mich nun um dergleichen Vor-
würffe wenig bekümmerte, so war dennoch gesinnet,
dergleichen Aufführung bey ein oder anderer Gele-
genheit möglichstens zu verbergen, zumahl wenn
mein ältester Bruder William dann und wann
frembde Cavaliers in unser Hauß brachte. Sol-
ches war wenige mahl geschehen, als ich schon an ei-
nem, Jan van Landre genannt, einen eiffrigen
Liebhaber wahrnahm, dessen gantz besonderer Her-
tzens-Freund, Joseph van Zutphen, meine Schwe-
ster Philippinam ebenfalls aufs äuserste zu bedienen
suchte. Eines Abends, da wir solcher gestalt in zu-
läßigen Vergnügen beysammen sassen, und aus
einem Glücks-Topffe, den Joseph van Zutphen
mitgebracht hatte, allerhand lächerliche Loose zohen,
bekam ich unter andern eines, worauf geschrieben
stund: Jch müste mich von demjenigen, der mich
am meisten liebte, 10. mahl küssen lassen. Hierü-
ber entstund unter 6. anwesenden Manns-Perso-
nen ein Streit, welcher mir zu entscheiden, anheim

gestel-

ben, indem meine Schweſter Philippine vor eine der
ſchoͤnſten Jungfrauen in Middelburg gehalten wur-
de, von meiner Geſichts-Bildung aber gieng die Re-
de, als ob ich, ohne Ruhm zu melden, nicht allein mei-
ne Schweſter, ſondern auch alles andere Frauen-
zimmer im Lande an Schoͤnheit uͤbertreffen ſolte.
Doch ſchrieb man mir als einen beſonders groſſen
Fehler zu, daß ich eines allzu ſtillen, eigenſinnigen,
melancholiſchen, dahero verdrießlichen Tempera-
ments
waͤre, dahingegen meine Schweſter eine auf-
geraͤumte und muntere Lebens-Art blicken lieſſe.

Wiewohl ich mich nun um dergleichen Vor-
wuͤrffe wenig bekuͤmmerte, ſo war dennoch geſinnet,
dergleichen Auffuͤhrung bey ein oder anderer Gele-
genheit moͤglichſtens zu verbergen, zumahl wenn
mein aͤlteſter Bruder William dann und wann
frembde Cavaliers in unſer Hauß brachte. Sol-
ches war wenige mahl geſchehen, als ich ſchon an ei-
nem, Jan van Landre genannt, einen eiffrigen
Liebhaber wahrnahm, deſſen gantz beſonderer Her-
tzens-Freund, Joſeph van Zutphen, meine Schwe-
ſter Philippinam ebenfalls aufs aͤuſerſte zu bedienen
ſuchte. Eines Abends, da wir ſolcher geſtalt in zu-
laͤßigen Vergnuͤgen beyſammen ſaſſen, und aus
einem Gluͤcks-Topffe, den Joſeph van Zutphen
mitgebracht hatte, allerhand laͤcherliche Looſe zohen,
bekam ich unter andern eines, worauf geſchrieben
ſtund: Jch muͤſte mich von demjenigen, der mich
am meiſten liebte, 10. mahl kuͤſſen laſſen. Hieruͤ-
ber entſtund unter 6. anweſenden Manns-Perſo-
nen ein Streit, welcher mir zu entſcheiden, anheim

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[308/0322] ben, indem meine Schweſter Philippine vor eine der ſchoͤnſten Jungfrauen in Middelburg gehalten wur- de, von meiner Geſichts-Bildung aber gieng die Re- de, als ob ich, ohne Ruhm zu melden, nicht allein mei- ne Schweſter, ſondern auch alles andere Frauen- zimmer im Lande an Schoͤnheit uͤbertreffen ſolte. Doch ſchrieb man mir als einen beſonders groſſen Fehler zu, daß ich eines allzu ſtillen, eigenſinnigen, melancholiſchen, dahero verdrießlichen Tempera- ments waͤre, dahingegen meine Schweſter eine auf- geraͤumte und muntere Lebens-Art blicken lieſſe. Wiewohl ich mich nun um dergleichen Vor- wuͤrffe wenig bekuͤmmerte, ſo war dennoch geſinnet, dergleichen Auffuͤhrung bey ein oder anderer Gele- genheit moͤglichſtens zu verbergen, zumahl wenn mein aͤlteſter Bruder William dann und wann frembde Cavaliers in unſer Hauß brachte. Sol- ches war wenige mahl geſchehen, als ich ſchon an ei- nem, Jan van Landre genannt, einen eiffrigen Liebhaber wahrnahm, deſſen gantz beſonderer Her- tzens-Freund, Joſeph van Zutphen, meine Schwe- ſter Philippinam ebenfalls aufs aͤuſerſte zu bedienen ſuchte. Eines Abends, da wir ſolcher geſtalt in zu- laͤßigen Vergnuͤgen beyſammen ſaſſen, und aus einem Gluͤcks-Topffe, den Joſeph van Zutphen mitgebracht hatte, allerhand laͤcherliche Looſe zohen, bekam ich unter andern eines, worauf geſchrieben ſtund: Jch muͤſte mich von demjenigen, der mich am meiſten liebte, 10. mahl kuͤſſen laſſen. Hieruͤ- ber entſtund unter 6. anweſenden Manns-Perſo- nen ein Streit, welcher mir zu entſcheiden, anheim geſtel-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/322>, abgerufen am 26.11.2024.