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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Kind nicht von mir zur Welt gebohren, nachhero er-
mordet und hinweg geworffen worden? Jch erfül-
lete das gantze Gemach mit meinem Geschrey, und
bezeugte meine Unschuld nicht allein mit hefftigen
Thränen, sondern auch mit den nachdrücklichsten
Reden, allein alles dieses fand keine statt, denn es
wurden zwey mit meiner seel. Mutter Nahmen be-
zeichnete Teller-Tüchlein, zwar als stumme, doch
der Richter Meynung nach, allergewisseste Zeugen
dargelegt, in welche das Kind gewickelt gewesen, ich
aber konte nicht läugnen, daß unter meinem wenigen
weissen Zeuge, eben dergleichen Teller-Tücher be-
findlich wären. Es wurde mir über dieses aufer-
legt mich von zwey Weh-Müttern besichtigen zu
lassen, da nun nicht anders gedachte es würde durch
dieses höchst empfindliche Mittel, meine Unschuld
völlig an Tag kommen, so muste doch zu meinem
allergrösten Schmertzen erfahren, wie diese ohne
allen Scheu bekräfftigten, daß ich, allen Umständen
nach, vor weniger Zeit ein Kind zur Welt gebohren
haben müsse. Jch beruffte mich hierbey auf mei-
nen bißherigen Artzt so wohl, als auf meine zwey
Wart-Frauen, allein der Artzt hatte die Schultern
gezuckt und bekennet, daß er nicht eigentlich sagen
könne, wie es mit mir beschaffen gewesen, ob er mich
gleich auf ein innerliches Magen-Geschwür curi-
ret hätte, die eine Wart-Frau aber zog ihren Kopff
aus der Schlinge und sagte: Sie wisse von meinem
Zustande wenig zu sagen, weil sie zwar öffters bey
Tage, selten aber des Nachts bey mir gewesen wä-
re, schob hiermit alles auf die andere Wart-Frau,
die so wohl als ich in Ketten und Banden lag.

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Kind nicht von mir zur Welt gebohren, nachhero er-
mordet und hinweg geworffen worden? Jch erfuͤl-
lete das gantze Gemach mit meinem Geſchrey, und
bezeugte meine Unſchuld nicht allein mit hefftigen
Thraͤnen, ſondern auch mit den nachdruͤcklichſten
Reden, allein alles dieſes fand keine ſtatt, denn es
wurden zwey mit meiner ſeel. Mutter Nahmen be-
zeichnete Teller-Tuͤchlein, zwar als ſtumme, doch
der Richter Meynung nach, allergewiſſeſte Zeugen
dargelegt, in welche das Kind gewickelt geweſen, ich
aber konte nicht laͤugnen, daß unter meinem wenigen
weiſſen Zeuge, eben dergleichen Teller-Tuͤcher be-
findlich waͤren. Es wurde mir uͤber dieſes aufer-
legt mich von zwey Weh-Muͤttern beſichtigen zu
laſſen, da nun nicht anders gedachte es wuͤrde durch
dieſes hoͤchſt empfindliche Mittel, meine Unſchuld
voͤllig an Tag kommen, ſo muſte doch zu meinem
allergroͤſten Schmertzen erfahren, wie dieſe ohne
allen Scheu bekraͤfftigten, daß ich, allen Umſtaͤnden
nach, vor weniger Zeit ein Kind zur Welt gebohren
haben muͤſſe. Jch beruffte mich hierbey auf mei-
nen bißherigen Artzt ſo wohl, als auf meine zwey
Wart-Frauen, allein der Artzt hatte die Schultern
gezuckt und bekennet, daß er nicht eigentlich ſagen
koͤnne, wie es mit mir beſchaffen geweſen, ob er mich
gleich auf ein innerliches Magen-Geſchwuͤr curi-
ret haͤtte, die eine Wart-Frau aber zog ihren Kopff
aus der Schlinge und ſagte: Sie wiſſe von meinem
Zuſtande wenig zu ſagen, weil ſie zwar oͤffters bey
Tage, ſelten aber des Nachts bey mir geweſen waͤ-
re, ſchob hiermit alles auf die andere Wart-Frau,
die ſo wohl als ich in Ketten und Banden lag.

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[403/0417] Kind nicht von mir zur Welt gebohren, nachhero er- mordet und hinweg geworffen worden? Jch erfuͤl- lete das gantze Gemach mit meinem Geſchrey, und bezeugte meine Unſchuld nicht allein mit hefftigen Thraͤnen, ſondern auch mit den nachdruͤcklichſten Reden, allein alles dieſes fand keine ſtatt, denn es wurden zwey mit meiner ſeel. Mutter Nahmen be- zeichnete Teller-Tuͤchlein, zwar als ſtumme, doch der Richter Meynung nach, allergewiſſeſte Zeugen dargelegt, in welche das Kind gewickelt geweſen, ich aber konte nicht laͤugnen, daß unter meinem wenigen weiſſen Zeuge, eben dergleichen Teller-Tuͤcher be- findlich waͤren. Es wurde mir uͤber dieſes aufer- legt mich von zwey Weh-Muͤttern beſichtigen zu laſſen, da nun nicht anders gedachte es wuͤrde durch dieſes hoͤchſt empfindliche Mittel, meine Unſchuld voͤllig an Tag kommen, ſo muſte doch zu meinem allergroͤſten Schmertzen erfahren, wie dieſe ohne allen Scheu bekraͤfftigten, daß ich, allen Umſtaͤnden nach, vor weniger Zeit ein Kind zur Welt gebohren haben muͤſſe. Jch beruffte mich hierbey auf mei- nen bißherigen Artzt ſo wohl, als auf meine zwey Wart-Frauen, allein der Artzt hatte die Schultern gezuckt und bekennet, daß er nicht eigentlich ſagen koͤnne, wie es mit mir beſchaffen geweſen, ob er mich gleich auf ein innerliches Magen-Geſchwuͤr curi- ret haͤtte, die eine Wart-Frau aber zog ihren Kopff aus der Schlinge und ſagte: Sie wiſſe von meinem Zuſtande wenig zu ſagen, weil ſie zwar oͤffters bey Tage, ſelten aber des Nachts bey mir geweſen waͤ- re, ſchob hiermit alles auf die andere Wart-Frau, die ſo wohl als ich in Ketten und Banden lag. O du C c 2

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/417>, abgerufen am 16.06.2024.