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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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sparsam an dem rings herum gantz steilen Felsen an-
zutreffen waren, konte ich mich zum Valet-Schmau-
se auf der Welt noch in etwas erquicken. Doch un-
versehens hörete die starcke Wasser-Fluth auf ein-
mahl auf zu brausen, so, daß in kurtzen fast kein ein-
tziger Wasser-Tropffen mehr gelauffen kam. Jch
wuste vor Verwnnderung und Schrecken nicht,
was ich hierbey gedencken solte, brach aber in folgen-
de wehmüthige Worte aus: So muß denn, arm-
seeliger Wolffgang! da der Himmel einmahl dei-
nen Untergang zu beschleunigen beschlossen hat, auch
die Natur den ordentlichen Lauff des Wassers hem-
men, welches vielleicht an diesem Orte niemahls ge-
schehen ist, weil die Welt gestanden hat, ach! so be-
te denn und stirb. Jch fing also an mit weinenden
Augen den Himmel um Vergebung meiner Sün-
den zu bitten, und hatte den festen Vorsatz, in folcher
heissen Andacht zu verharren, biß mir der Tod die
Augen zudrückte.

Was kan man doch vor ein andächtiger Mensch
werden, wenn man erstlich aller menschlichen Hülf-
fe beraubt, und von seinem Gewissen überzeugt ist,
daß man der Göttlichen Barmhertzigkeit nicht wür-
dig sey? Ach! da heist es wohl recht: Noth lernet
beten. Doch ich bin ein lebendiger Zeuge, daß
man die göttliche Hülffe sodann erstlich recht-
schaffen erkennen lerne, wenn uns alle Hoffnung
auf die menschliche gäntzlich entnommen worden.
Doch weil mich GOtt ohnfehlbar zu einem Werck-
zeuge ausersehen, verschiedenen Personen zu ihrer
zeitlichen, noch mehrern aber zu ihrer geistlichen
Wohlfahrt behülfflich zu seyn, so hat er mich auch

in
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ſparſam an dem rings herum gantz ſteilen Felſen an-
zutreffen waren, konte ich mich zum Valet-Schmau-
ſe auf der Welt noch in etwas erquicken. Doch un-
verſehens hoͤrete die ſtarcke Waſſer-Fluth auf ein-
mahl auf zu brauſen, ſo, daß in kurtzen faſt kein ein-
tziger Waſſer-Tropffen mehr gelauffen kam. Jch
wuſte vor Verwnnderung und Schrecken nicht,
was ich hierbey gedencken ſolte, brach aber in folgen-
de wehmuͤthige Worte aus: So muß denn, arm-
ſeeliger Wolffgang! da der Himmel einmahl dei-
nen Untergang zu beſchleunigen beſchloſſen hat, auch
die Natur den ordentlichen Lauff des Waſſers hem-
men, welches vielleicht an dieſem Orte niemahls ge-
ſchehen iſt, weil die Welt geſtanden hat, ach! ſo be-
te denn und ſtirb. Jch fing alſo an mit weinenden
Augen den Himmel um Vergebung meiner Suͤn-
den zu bitten, und hatte den feſten Vorſatz, in folcher
heiſſen Andacht zu verharren, biß mir der Tod die
Augen zudruͤckte.

Was kan man doch vor ein andaͤchtiger Menſch
werden, wenn man erſtlich aller menſchlichen Huͤlf-
fe beraubt, und von ſeinem Gewiſſen uͤberzeugt iſt,
daß man der Goͤttlichen Barmhertzigkeit nicht wuͤr-
dig ſey? Ach! da heiſt es wohl recht: Noth lernet
beten. Doch ich bin ein lebendiger Zeuge, daß
man die goͤttliche Huͤlffe ſodann erſtlich recht-
ſchaffen erkennen lerne, wenn uns alle Hoffnung
auf die menſchliche gaͤntzlich entnommen worden.
Doch weil mich GOtt ohnfehlbar zu einem Werck-
zeuge auserſehen, verſchiedenen Perſonen zu ihrer
zeitlichen, noch mehrern aber zu ihrer geiſtlichen
Wohlfahrt behuͤlfflich zu ſeyn, ſo hat er mich auch

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[85/0097] ſparſam an dem rings herum gantz ſteilen Felſen an- zutreffen waren, konte ich mich zum Valet-Schmau- ſe auf der Welt noch in etwas erquicken. Doch un- verſehens hoͤrete die ſtarcke Waſſer-Fluth auf ein- mahl auf zu brauſen, ſo, daß in kurtzen faſt kein ein- tziger Waſſer-Tropffen mehr gelauffen kam. Jch wuſte vor Verwnnderung und Schrecken nicht, was ich hierbey gedencken ſolte, brach aber in folgen- de wehmuͤthige Worte aus: So muß denn, arm- ſeeliger Wolffgang! da der Himmel einmahl dei- nen Untergang zu beſchleunigen beſchloſſen hat, auch die Natur den ordentlichen Lauff des Waſſers hem- men, welches vielleicht an dieſem Orte niemahls ge- ſchehen iſt, weil die Welt geſtanden hat, ach! ſo be- te denn und ſtirb. Jch fing alſo an mit weinenden Augen den Himmel um Vergebung meiner Suͤn- den zu bitten, und hatte den feſten Vorſatz, in folcher heiſſen Andacht zu verharren, biß mir der Tod die Augen zudruͤckte. Was kan man doch vor ein andaͤchtiger Menſch werden, wenn man erſtlich aller menſchlichen Huͤlf- fe beraubt, und von ſeinem Gewiſſen uͤberzeugt iſt, daß man der Goͤttlichen Barmhertzigkeit nicht wuͤr- dig ſey? Ach! da heiſt es wohl recht: Noth lernet beten. Doch ich bin ein lebendiger Zeuge, daß man die goͤttliche Huͤlffe ſodann erſtlich recht- ſchaffen erkennen lerne, wenn uns alle Hoffnung auf die menſchliche gaͤntzlich entnommen worden. Doch weil mich GOtt ohnfehlbar zu einem Werck- zeuge auserſehen, verſchiedenen Perſonen zu ihrer zeitlichen, noch mehrern aber zu ihrer geiſtlichen Wohlfahrt behuͤlfflich zu ſeyn, ſo hat er mich auch in F 3

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/97>, abgerufen am 27.11.2024.