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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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hen an, verhütete auch unter ihnen, so viel als möglich
war, alles Vollsauffen und anderes liederliche Leben.
Nachdem er mich im Christenthume examiniret,
erstaunete der ehrliche Mann, und weinete fast die
bittersten Thränen über den jämmerlichen Zustand
meiner Seelen, that auch dieserwegen solche Vor-
stellungen, daß mir die Haare zu Berge stunden, und
mein Gewissen auf einmahl plötzlich rege gemacht
wurde. So bald er dieses merckte, sprach er mir
etwas gelinder zu, ermahnete mich nur zum fleißigen
Beten und Kirchen-gehen, im übrigen versprach er,
wegen meiner fernern Unterweisung alle Anstallten
zu machen.

Wenig Tage hernach nahm er einen geistlichen
Studenten in sein Haus, der nicht allein seine 4. Kin-
der informiren, sondern auch alle Morgen und A-
bends Bet-Stunden halten mußte. Welcher von
seinem Gesinde dergleichen nicht mit Andacht besu-
chen und abwarten wolte, durffte auch weder zur
Arbeit noch zu Tische kommen. Jch vor meine
Person hatte den besten Vortheil darbey, denn
vors erste, erlangte ich nunmehro erstlich einen rech-
ten Begriff vom Christenthum, vors andere war
mein Meister so gütig, mir bey müßigen Stunden
das Lesen, Schreiben und Rechnen umsonst lernen
zu lassen, als wovor ich ihm noch in dieser Stunde,
nebst seiner Familie tausendfachen geist-und leiblichen
Segen wünsche. Anbey versäumete ich aber im
Hand-Werck wenig Stunden, sondern hielt mich
dermassen wohl, daß mein Meister vollkommen zu-
frieden war, es rückte zwar die Zeit meines-Losspre-

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hen an, verhuͤtete auch unter ihnen, ſo viel als moͤglich
war, alles Vollſauffen und anderes liederliche Leben.
Nachdem er mich im Chriſtenthume examiniret,
erſtaunete der ehrliche Mann, und weinete faſt die
bitterſten Thraͤnen uͤber den jaͤmmerlichen Zuſtand
meiner Seelen, that auch dieſerwegen ſolche Vor-
ſtellungen, daß mir die Haare zu Berge ſtunden, und
mein Gewiſſen auf einmahl ploͤtzlich rege gemacht
wurde. So bald er dieſes merckte, ſprach er mir
etwas gelinder zu, ermahnete mich nur zum fleißigen
Beten und Kirchen-gehen, im uͤbrigen verſprach er,
wegen meiner fernern Unterweiſung alle Anſtallten
zu machen.

Wenig Tage hernach nahm er einen geiſtlichen
Studenten in ſein Haus, der nicht allein ſeine 4. Kin-
der informiren, ſondern auch alle Morgen und A-
bends Bet-Stunden halten mußte. Welcher von
ſeinem Geſinde dergleichen nicht mit Andacht beſu-
chen und abwarten wolte, durffte auch weder zur
Arbeit noch zu Tiſche kommen. Jch vor meine
Perſon hatte den beſten Vortheil darbey, denn
vors erſte, erlangte ich nunmehro erſtlich einen rech-
ten Begriff vom Chriſtenthum, vors andere war
mein Meiſter ſo guͤtig, mir bey muͤßigen Stunden
das Leſen, Schreiben und Rechnen umſonſt lernen
zu laſſen, als wovor ich ihm noch in dieſer Stunde,
nebſt ſeiner Familie tauſendfachen geiſt-und leiblichen
Segen wuͤnſche. Anbey verſaͤumete ich aber im
Hand-Werck wenig Stunden, ſondern hielt mich
dermaſſen wohl, daß mein Meiſter vollkommen zu-
frieden war, es ruͤckte zwar die Zeit meines-Losſpre-

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[485/0501] hen an, verhuͤtete auch unter ihnen, ſo viel als moͤglich war, alles Vollſauffen und anderes liederliche Leben. Nachdem er mich im Chriſtenthume examiniret, erſtaunete der ehrliche Mann, und weinete faſt die bitterſten Thraͤnen uͤber den jaͤmmerlichen Zuſtand meiner Seelen, that auch dieſerwegen ſolche Vor- ſtellungen, daß mir die Haare zu Berge ſtunden, und mein Gewiſſen auf einmahl ploͤtzlich rege gemacht wurde. So bald er dieſes merckte, ſprach er mir etwas gelinder zu, ermahnete mich nur zum fleißigen Beten und Kirchen-gehen, im uͤbrigen verſprach er, wegen meiner fernern Unterweiſung alle Anſtallten zu machen. Wenig Tage hernach nahm er einen geiſtlichen Studenten in ſein Haus, der nicht allein ſeine 4. Kin- der informiren, ſondern auch alle Morgen und A- bends Bet-Stunden halten mußte. Welcher von ſeinem Geſinde dergleichen nicht mit Andacht beſu- chen und abwarten wolte, durffte auch weder zur Arbeit noch zu Tiſche kommen. Jch vor meine Perſon hatte den beſten Vortheil darbey, denn vors erſte, erlangte ich nunmehro erſtlich einen rech- ten Begriff vom Chriſtenthum, vors andere war mein Meiſter ſo guͤtig, mir bey muͤßigen Stunden das Leſen, Schreiben und Rechnen umſonſt lernen zu laſſen, als wovor ich ihm noch in dieſer Stunde, nebſt ſeiner Familie tauſendfachen geiſt-und leiblichen Segen wuͤnſche. Anbey verſaͤumete ich aber im Hand-Werck wenig Stunden, ſondern hielt mich dermaſſen wohl, daß mein Meiſter vollkommen zu- frieden war, es ruͤckte zwar die Zeit meines-Losſpre- chens h h 3

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/501>, abgerufen am 24.11.2024.