willig und bereit darzu, zumahlen, da sie eben aus der Kirche gekommen, worbey ich gedencken muß, daß sie sich ungemein andächtig bey dem Gottes- dienste aufführete, und sonderlich unter der Pre- digt, die sie schon der Aussprache nach, fast voll- kommen verstehen konte, zu vielen mahlen Thrä- nen vergoß, und ihre Hände runge, vornemlich aber, wenn nach der Predigt der Seegen vor dem Altare gesprochen wurde, da sie denn gemeinig- lich heisse Thränen fallen ließ. Auf mein Bitten aber, wegen Erzehlung ihres Lebens-Lauffs, gab sie mir folgende Worte zu vernehmen: Mein Herr! ihr höret und wisset, daß ich eine unförmliche und sehr schwere Ausrede habe, welcher Fehler an meiner Zunge liegt, weiln ich vielleicht schon in meiner Ju- gend daran verwahrloset worden, oder die Natur etwa einen mercklichen Fehler an mir stifften wollen; Derowegen habet die Güte, und redet der Anna zu, daß sie euch meine Begebenheit erzehle, denn diese hat nicht allein eine weit beredtere Zunge, als ich, sondern wird auch alles vom Anfange an, biß auf diesen Tag, was meine Geschichte anbelanget, bes- ser vorzubringen wissen, als ich selbst zu thun vermö- gend wäre, da ich mich meiner Kinder-Jahre nicht so gar sonderlich mehr zurück erinnern kan; Jedoch will ich ihr, wenn sie ja dann und wann etwas vergessen oder übergehen solte, schon einzuhelffen, und sie auf dem rechten Wege der Geschichte fort zu bringen wissen.
Als demnach die Frau Anna dieserwegen an- gesprochen worden, ließ sie sich gleich bereit und wil- lig darzu finden, sagte aberzum voraus: wenn ich die
Lebens-
willig und bereit darzu, zumahlen, da ſie eben aus der Kirche gekommen, worbey ich gedencken muß, daß ſie ſich ungemein andaͤchtig bey dem Gottes- dienſte auffuͤhrete, und ſonderlich unter der Pre- digt, die ſie ſchon der Ausſprache nach, faſt voll- kommen verſtehen konte, zu vielen mahlen Thraͤ- nen vergoß, und ihre Haͤnde runge, vornemlich aber, wenn nach der Predigt der Seegen vor dem Altare geſprochen wurde, da ſie denn gemeinig- lich heiſſe Thraͤnen fallen ließ. Auf mein Bitten aber, wegen Erzehlung ihres Lebens-Lauffs, gab ſie mir folgende Worte zu vernehmen: Mein Herr! ihr hoͤret und wiſſet, daß ich eine unfoͤrmliche und ſehr ſchwere Ausrede habe, welcher Fehler an meiner Zunge liegt, weiln ich vielleicht ſchon in meiner Ju- gend daran verwahrloſet worden, oder die Natur etwa einen mercklichen Fehler an mir ſtifften wollen; Derowegen habet die Guͤte, und redet der Anna zu, daß ſie euch meine Begebenheit erzehle, denn dieſe hat nicht allein eine weit beredtere Zunge, als ich, ſondern wird auch alles vom Anfange an, biß auf dieſen Tag, was meine Geſchichte anbelanget, beſ- ſer vorzubringen wiſſen, als ich ſelbſt zu thun vermoͤ- gend waͤre, da ich mich meiner Kinder-Jahre nicht ſo gar ſonderlich mehr zuruͤck erinnern kan; Jedoch will ich ihr, wenn ſie ja dann und wann etwas vergeſſen oder uͤbergehen ſolte, ſchon einzuhelffen, und ſie auf dem rechten Wege der Geſchichte fort zu bringen wiſſen.
Als demnach die Frau Anna dieſerwegen an- geſprochen worden, ließ ſie ſich gleich bereit und wil- lig darzu finden, ſagte aberzum voraus: wenn ich die
Lebens-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0421"n="411"/>
willig und bereit darzu, zumahlen, da ſie eben aus<lb/>
der Kirche gekommen, worbey ich gedencken muß,<lb/>
daß ſie ſich ungemein andaͤchtig bey dem Gottes-<lb/>
dienſte auffuͤhrete, und ſonderlich unter der Pre-<lb/>
digt, die ſie ſchon der Ausſprache nach, faſt voll-<lb/>
kommen verſtehen konte, zu vielen mahlen Thraͤ-<lb/>
nen vergoß, und ihre Haͤnde runge, vornemlich<lb/>
aber, wenn nach der Predigt der Seegen vor dem<lb/>
Altare geſprochen wurde, da ſie denn gemeinig-<lb/>
lich heiſſe Thraͤnen fallen ließ. Auf mein Bitten<lb/>
aber, wegen Erzehlung ihres Lebens-Lauffs, gab ſie<lb/>
mir folgende Worte zu vernehmen: Mein Herr!<lb/>
ihr hoͤret und wiſſet, daß ich eine unfoͤrmliche und ſehr<lb/>ſchwere Ausrede habe, welcher Fehler an meiner<lb/>
Zunge liegt, weiln ich vielleicht ſchon in meiner Ju-<lb/>
gend daran verwahrloſet worden, oder die Natur<lb/>
etwa einen mercklichen Fehler an mir ſtifften wollen;<lb/>
Derowegen habet die Guͤte, und redet der <hirendition="#aq">Anna</hi> zu,<lb/>
daß ſie euch meine Begebenheit erzehle, denn dieſe<lb/>
hat nicht allein eine weit beredtere Zunge, als ich,<lb/>ſondern wird auch alles vom Anfange an, biß auf<lb/>
dieſen Tag, was meine Geſchichte anbelanget, beſ-<lb/>ſer vorzubringen wiſſen, als ich ſelbſt zu thun vermoͤ-<lb/>
gend waͤre, da ich mich meiner Kinder-Jahre nicht<lb/>ſo gar ſonderlich mehr zuruͤck erinnern kan; Jedoch<lb/>
will ich ihr, wenn ſie ja dann und wann etwas<lb/>
vergeſſen oder uͤbergehen ſolte, ſchon einzuhelffen,<lb/>
und ſie auf dem rechten Wege der Geſchichte fort zu<lb/>
bringen wiſſen.</p><lb/><p>Als demnach die Frau <hirendition="#aq">Anna</hi> dieſerwegen an-<lb/>
geſprochen worden, ließ ſie ſich gleich bereit und wil-<lb/>
lig darzu finden, ſagte aberzum voraus: wenn ich die</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Lebens-</hi></fw><lb/></div></body></text></TEI>
[411/0421]
willig und bereit darzu, zumahlen, da ſie eben aus
der Kirche gekommen, worbey ich gedencken muß,
daß ſie ſich ungemein andaͤchtig bey dem Gottes-
dienſte auffuͤhrete, und ſonderlich unter der Pre-
digt, die ſie ſchon der Ausſprache nach, faſt voll-
kommen verſtehen konte, zu vielen mahlen Thraͤ-
nen vergoß, und ihre Haͤnde runge, vornemlich
aber, wenn nach der Predigt der Seegen vor dem
Altare geſprochen wurde, da ſie denn gemeinig-
lich heiſſe Thraͤnen fallen ließ. Auf mein Bitten
aber, wegen Erzehlung ihres Lebens-Lauffs, gab ſie
mir folgende Worte zu vernehmen: Mein Herr!
ihr hoͤret und wiſſet, daß ich eine unfoͤrmliche und ſehr
ſchwere Ausrede habe, welcher Fehler an meiner
Zunge liegt, weiln ich vielleicht ſchon in meiner Ju-
gend daran verwahrloſet worden, oder die Natur
etwa einen mercklichen Fehler an mir ſtifften wollen;
Derowegen habet die Guͤte, und redet der Anna zu,
daß ſie euch meine Begebenheit erzehle, denn dieſe
hat nicht allein eine weit beredtere Zunge, als ich,
ſondern wird auch alles vom Anfange an, biß auf
dieſen Tag, was meine Geſchichte anbelanget, beſ-
ſer vorzubringen wiſſen, als ich ſelbſt zu thun vermoͤ-
gend waͤre, da ich mich meiner Kinder-Jahre nicht
ſo gar ſonderlich mehr zuruͤck erinnern kan; Jedoch
will ich ihr, wenn ſie ja dann und wann etwas
vergeſſen oder uͤbergehen ſolte, ſchon einzuhelffen,
und ſie auf dem rechten Wege der Geſchichte fort zu
bringen wiſſen.
Als demnach die Frau Anna dieſerwegen an-
geſprochen worden, ließ ſie ſich gleich bereit und wil-
lig darzu finden, ſagte aberzum voraus: wenn ich die
Lebens-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/421>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.