Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

hörete es nicht auf zu ruffen: Ah, mi Anna! Ah,
mi Anna!
Die Leute verwunderten sich ungemein
über den Verstand dieses Kindes, wolten also
unter der Hand von mir erforschen, wem dieses
Kind zugehörete; jedoch, da ich in vielen Tagen
nicht vom Hintertheile einer Henne gespeiset hatte,
müste mich ein thörichter Geist regiert haben, wenn
ich gesagt hätte: daß dieß die eintzige Printzeßin
des Fürsten von Candahar wäre. Nein! das
that Frau Anna nicht, sondern, weilen ich befürch-
tete, daß man vielleicht ein etwa allzu starckes Löse-
Geld vor diese kleine Printzeßin fordern möchte,
so sagte ich, sie wäre die Tochter eines Obristen von
der Reuterey, welcher, wie ich schon vernommen, im
letzteren Treffen geblieben, ihre Mutter aber nach-
hero durch einen unvermutheten Pfeil-Schuß wä-
re getödtet worden.

Zu meinem Glück ließ sich ein Jude im Lager
erblicken, da ich denn bey Nachts-Zeit mein Nest
aufmachte, und 3. Diamanten von ziemlichem
Werth heraus langte, diese 3. Diamanten nehete
ich sogleich in meinen lincken Ermel, trennete her-
nach in Gegenwart aller Anwesenden und des Ju-
den dieselben wieder heraus, und sagte: Dieses ist
es alles, was ich und mein Kind von der Plünde-
rung übrig behalten haben; der Jude aber ver-
liebete sich sogleich in die Diamanten, und bezahlete
mir dieselben noch so ziemlich, dergestalt, daß ich
nicht allein von selbigem Gelde unsere Zehrungs-
Kosten bey der Officiers-Frau, sondern auch die-
jenigen voraus bezahlen konte, die mich von da
an biß Candahar zu begleiten, sich von selbsten

anga-
(f f) 5

hoͤrete es nicht auf zu ruffen: Ah, mi Anna! Ah,
mi Anna!
Die Leute verwunderten ſich ungemein
uͤber den Verſtand dieſes Kindes, wolten alſo
unter der Hand von mir erforſchen, wem dieſes
Kind zugehoͤrete; jedoch, da ich in vielen Tagen
nicht vom Hintertheile einer Henne geſpeiſet hatte,
muͤſte mich ein thoͤrichter Geiſt regiert haben, wenn
ich geſagt haͤtte: daß dieß die eintzige Printzeßin
des Fuͤrſten von Candahar waͤre. Nein! das
that Frau Anna nicht, ſondern, weilen ich befuͤrch-
tete, daß man vielleicht ein etwa allzu ſtarckes Loͤſe-
Geld vor dieſe kleine Printzeßin fordern moͤchte,
ſo ſagte ich, ſie waͤre die Tochter eines Obriſten von
der Reuterey, welcher, wie ich ſchon vernommen, im
letzteren Treffen geblieben, ihre Mutter aber nach-
hero durch einen unvermutheten Pfeil-Schuß waͤ-
re getoͤdtet worden.

Zu meinem Gluͤck ließ ſich ein Jude im Lager
erblicken, da ich denn bey Nachts-Zeit mein Neſt
aufmachte, und 3. Diamanten von ziemlichem
Werth heraus langte, dieſe 3. Diamanten nehete
ich ſogleich in meinen lincken Ermel, trennete her-
nach in Gegenwart aller Anweſenden und des Ju-
den dieſelben wieder heraus, und ſagte: Dieſes iſt
es alles, was ich und mein Kind von der Pluͤnde-
rung uͤbrig behalten haben; der Jude aber ver-
liebete ſich ſogleich in die Diamanten, und bezahlete
mir dieſelben noch ſo ziemlich, dergeſtalt, daß ich
nicht allein von ſelbigem Gelde unſere Zehrungs-
Koſten bey der Officiers-Frau, ſondern auch die-
jenigen voraus bezahlen konte, die mich von da
an biß Candahar zu begleiten, ſich von ſelbſten

anga-
(f f) 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div>
              <p><pb facs="#f0467" n="457"/>
ho&#x0364;rete es nicht auf zu ruffen: <hi rendition="#aq">Ah, mi Anna! Ah,<lb/>
mi Anna!</hi> Die Leute verwunderten &#x017F;ich ungemein<lb/>
u&#x0364;ber den Ver&#x017F;tand die&#x017F;es Kindes, wolten al&#x017F;o<lb/>
unter der Hand von mir erfor&#x017F;chen, wem die&#x017F;es<lb/>
Kind zugeho&#x0364;rete; jedoch, da ich in vielen Tagen<lb/>
nicht vom Hintertheile einer Henne ge&#x017F;pei&#x017F;et hatte,<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;te mich ein tho&#x0364;richter Gei&#x017F;t regiert haben, wenn<lb/>
ich ge&#x017F;agt ha&#x0364;tte: daß dieß die eintzige Printzeßin<lb/>
des Fu&#x0364;r&#x017F;ten von <hi rendition="#aq">Candahar</hi> wa&#x0364;re. Nein! das<lb/>
that Frau <hi rendition="#aq">Anna</hi> nicht, &#x017F;ondern, weilen ich befu&#x0364;rch-<lb/>
tete, daß man vielleicht ein etwa allzu &#x017F;tarckes Lo&#x0364;&#x017F;e-<lb/>
Geld vor die&#x017F;e kleine Printzeßin fordern mo&#x0364;chte,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;agte ich, &#x017F;ie wa&#x0364;re die Tochter eines Obri&#x017F;ten von<lb/>
der Reuterey, welcher, wie ich &#x017F;chon vernommen, im<lb/>
letzteren Treffen geblieben, ihre Mutter aber nach-<lb/>
hero durch einen unvermutheten Pfeil-Schuß wa&#x0364;-<lb/>
re geto&#x0364;dtet worden.</p><lb/>
              <p>Zu meinem Glu&#x0364;ck ließ &#x017F;ich ein Jude im Lager<lb/>
erblicken, da ich denn bey Nachts-Zeit mein Ne&#x017F;t<lb/>
aufmachte, und 3. Diamanten von ziemlichem<lb/>
Werth heraus langte, die&#x017F;e 3. Diamanten nehete<lb/>
ich &#x017F;ogleich in meinen lincken Ermel, trennete her-<lb/>
nach in Gegenwart aller Anwe&#x017F;enden und des Ju-<lb/>
den die&#x017F;elben wieder heraus, und &#x017F;agte: Die&#x017F;es i&#x017F;t<lb/>
es alles, was ich und mein Kind von der Plu&#x0364;nde-<lb/>
rung u&#x0364;brig behalten haben; der Jude aber ver-<lb/>
liebete &#x017F;ich &#x017F;ogleich in die Diamanten, und bezahlete<lb/>
mir die&#x017F;elben noch &#x017F;o ziemlich, derge&#x017F;talt, daß ich<lb/>
nicht allein von &#x017F;elbigem Gelde un&#x017F;ere Zehrungs-<lb/>
Ko&#x017F;ten bey der <hi rendition="#aq">Officiers-</hi>Frau, &#x017F;ondern auch die-<lb/>
jenigen voraus bezahlen konte, die mich von da<lb/>
an biß <hi rendition="#aq">Candahar</hi> zu begleiten, &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;ten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(f f) 5</fw><fw place="bottom" type="catch">anga-</fw><lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[457/0467] hoͤrete es nicht auf zu ruffen: Ah, mi Anna! Ah, mi Anna! Die Leute verwunderten ſich ungemein uͤber den Verſtand dieſes Kindes, wolten alſo unter der Hand von mir erforſchen, wem dieſes Kind zugehoͤrete; jedoch, da ich in vielen Tagen nicht vom Hintertheile einer Henne geſpeiſet hatte, muͤſte mich ein thoͤrichter Geiſt regiert haben, wenn ich geſagt haͤtte: daß dieß die eintzige Printzeßin des Fuͤrſten von Candahar waͤre. Nein! das that Frau Anna nicht, ſondern, weilen ich befuͤrch- tete, daß man vielleicht ein etwa allzu ſtarckes Loͤſe- Geld vor dieſe kleine Printzeßin fordern moͤchte, ſo ſagte ich, ſie waͤre die Tochter eines Obriſten von der Reuterey, welcher, wie ich ſchon vernommen, im letzteren Treffen geblieben, ihre Mutter aber nach- hero durch einen unvermutheten Pfeil-Schuß waͤ- re getoͤdtet worden. Zu meinem Gluͤck ließ ſich ein Jude im Lager erblicken, da ich denn bey Nachts-Zeit mein Neſt aufmachte, und 3. Diamanten von ziemlichem Werth heraus langte, dieſe 3. Diamanten nehete ich ſogleich in meinen lincken Ermel, trennete her- nach in Gegenwart aller Anweſenden und des Ju- den dieſelben wieder heraus, und ſagte: Dieſes iſt es alles, was ich und mein Kind von der Pluͤnde- rung uͤbrig behalten haben; der Jude aber ver- liebete ſich ſogleich in die Diamanten, und bezahlete mir dieſelben noch ſo ziemlich, dergeſtalt, daß ich nicht allein von ſelbigem Gelde unſere Zehrungs- Koſten bey der Officiers-Frau, ſondern auch die- jenigen voraus bezahlen konte, die mich von da an biß Candahar zu begleiten, ſich von ſelbſten anga- (f f) 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/467
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/467>, abgerufen am 16.06.2024.