Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht allzu appetitlich anzusehen, zumahlen, da
um die Fingers-lange Wunde herum alles Haupt-
Haar mit dem Scheer-Messer abgenommen war.
Der Gouverneur und dessen Gemahlin wolten
sich bey so gestalten Sachen, und zumahlen, da er
noch eine Kugel im dicken Beine stecken hatte,
bald des Todes über meines Bruders Muth und
Hertzhafftigkeit verwundern. Die Söhne sahen
die Wunde auch mit Erstaunen an, da aber die
Töchter gleichfalls herzu traten, und dieselbe be-
trachteten, sanck die älteste gantz unvermuthet in
Ohnmacht dahin, weßwegen man sie nur vor erst
auf das nicht weit davon stehende Bette legte, und
sie mit Schlag-Wasser und flüchtigen Spiritu
nach Verlauf einer viertel Stunde wieder zu sich
selber brachte. Wir beyden Brüder bezeigten
unsere hertzliche Compassion und Exquisen we-
gen dieses Zufalls, allein die Frau Mama sagte
mit lachenden Munde: Das Närrichen hätte
können davon bleiben, denn sie weiß, daß sie nicht
einmahl eine Gans oder Huhn kan abschlachten
sehen. Nachdem aber mein Bruder verbunden,
ersuchte mich der Gouverneur, ich möchte ihm den
Gefallen erweisen, und meine Arm-Wunde eben-
falls in ihrer Gegenwart verbinden lassen; ich
deprecirte zwar solches, weilen es sich in Gegen-
wart hohen Frauenzimmers nicht schickte, allein,
da er nicht nachließ, mich zu bitten, und ich son-
sten wuste, daß ich so weiß und reine an meinem
Leibe, als ein Fisch, so entblössete ich meinen Arm
und Brust, und ließ mich verbinden. Sie ver-
wunderten sich, daß ich, bey der Fingers-langen

Wun-
(f) 3

nicht allzu appetitlich anzuſehen, zumahlen, da
um die Fingers-lange Wunde herum alles Haupt-
Haar mit dem Scheer-Meſſer abgenommen war.
Der Gouverneur und deſſen Gemahlin wolten
ſich bey ſo geſtalten Sachen, und zumahlen, da er
noch eine Kugel im dicken Beine ſtecken hatte,
bald des Todes uͤber meines Bruders Muth und
Hertzhafftigkeit verwundern. Die Soͤhne ſahen
die Wunde auch mit Erſtaunen an, da aber die
Toͤchter gleichfalls herzu traten, und dieſelbe be-
trachteten, ſanck die aͤlteſte gantz unvermuthet in
Ohnmacht dahin, weßwegen man ſie nur vor erſt
auf das nicht weit davon ſtehende Bette legte, und
ſie mit Schlag-Waſſer und fluͤchtigen Spiritu
nach Verlauf einer viertel Stunde wieder zu ſich
ſelber brachte. Wir beyden Bruͤder bezeigten
unſere hertzliche Compaſſion und Exquiſen we-
gen dieſes Zufalls, allein die Frau Mama ſagte
mit lachenden Munde: Das Naͤrrichen haͤtte
koͤnnen davon bleiben, denn ſie weiß, daß ſie nicht
einmahl eine Gans oder Huhn kan abſchlachten
ſehen. Nachdem aber mein Bruder verbunden,
erſuchte mich der Gouverneur, ich moͤchte ihm den
Gefallen erweiſen, und meine Arm-Wunde eben-
falls in ihrer Gegenwart verbinden laſſen; ich
deprecirte zwar ſolches, weilen es ſich in Gegen-
wart hohen Frauenzimmers nicht ſchickte, allein,
da er nicht nachließ, mich zu bitten, und ich ſon-
ſten wuſte, daß ich ſo weiß und reine an meinem
Leibe, als ein Fiſch, ſo entbloͤſſete ich meinen Arm
und Bruſt, und ließ mich verbinden. Sie ver-
wunderten ſich, daß ich, bey der Fingers-langen

Wun-
(f) 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0095" n="85"/>
nicht allzu <hi rendition="#aq">appetit</hi>lich anzu&#x017F;ehen, zumahlen, da<lb/>
um die Fingers-lange Wunde herum alles Haupt-<lb/>
Haar mit dem Scheer-Me&#x017F;&#x017F;er abgenommen war.<lb/>
Der <hi rendition="#aq">Gouverneur</hi> und de&#x017F;&#x017F;en Gemahlin wolten<lb/>
&#x017F;ich bey &#x017F;o ge&#x017F;talten Sachen, und zumahlen, da er<lb/>
noch eine Kugel im dicken Beine &#x017F;tecken hatte,<lb/>
bald des Todes u&#x0364;ber meines Bruders Muth und<lb/>
Hertzhafftigkeit verwundern. Die So&#x0364;hne &#x017F;ahen<lb/>
die Wunde auch mit Er&#x017F;taunen an, da aber die<lb/>
To&#x0364;chter gleichfalls herzu traten, und die&#x017F;elbe be-<lb/>
trachteten, &#x017F;anck die a&#x0364;lte&#x017F;te gantz unvermuthet in<lb/>
Ohnmacht dahin, weßwegen man &#x017F;ie nur vor er&#x017F;t<lb/>
auf das nicht weit davon &#x017F;tehende Bette legte, und<lb/>
&#x017F;ie mit Schlag-Wa&#x017F;&#x017F;er und flu&#x0364;chtigen <hi rendition="#aq">Spiritu</hi><lb/>
nach Verlauf einer viertel Stunde wieder zu &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elber brachte. Wir beyden Bru&#x0364;der bezeigten<lb/>
un&#x017F;ere hertzliche <hi rendition="#aq">Compa&#x017F;&#x017F;ion</hi> und <hi rendition="#aq">Exqui&#x017F;</hi>en we-<lb/>
gen die&#x017F;es Zufalls, allein die Frau <hi rendition="#aq">Mama</hi> &#x017F;agte<lb/>
mit lachenden Munde: Das Na&#x0364;rrichen ha&#x0364;tte<lb/>
ko&#x0364;nnen davon bleiben, denn &#x017F;ie weiß, daß &#x017F;ie nicht<lb/>
einmahl eine Gans oder Huhn kan ab&#x017F;chlachten<lb/>
&#x017F;ehen. Nachdem aber mein Bruder verbunden,<lb/>
er&#x017F;uchte mich der <hi rendition="#aq">Gouverneur,</hi> ich mo&#x0364;chte ihm den<lb/>
Gefallen erwei&#x017F;en, und meine Arm-Wunde eben-<lb/>
falls in ihrer Gegenwart verbinden la&#x017F;&#x017F;en; ich<lb/><hi rendition="#aq">deprecir</hi>te zwar &#x017F;olches, weilen es &#x017F;ich in Gegen-<lb/>
wart hohen Frauenzimmers nicht &#x017F;chickte, allein,<lb/>
da er nicht nachließ, mich zu bitten, und ich &#x017F;on-<lb/>
&#x017F;ten wu&#x017F;te, daß ich &#x017F;o weiß und reine an meinem<lb/>
Leibe, als ein Fi&#x017F;ch, &#x017F;o entblo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ete ich meinen Arm<lb/>
und Bru&#x017F;t, und ließ mich verbinden. Sie ver-<lb/>
wunderten &#x017F;ich, daß ich, bey der Fingers-langen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(f) 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Wun-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0095] nicht allzu appetitlich anzuſehen, zumahlen, da um die Fingers-lange Wunde herum alles Haupt- Haar mit dem Scheer-Meſſer abgenommen war. Der Gouverneur und deſſen Gemahlin wolten ſich bey ſo geſtalten Sachen, und zumahlen, da er noch eine Kugel im dicken Beine ſtecken hatte, bald des Todes uͤber meines Bruders Muth und Hertzhafftigkeit verwundern. Die Soͤhne ſahen die Wunde auch mit Erſtaunen an, da aber die Toͤchter gleichfalls herzu traten, und dieſelbe be- trachteten, ſanck die aͤlteſte gantz unvermuthet in Ohnmacht dahin, weßwegen man ſie nur vor erſt auf das nicht weit davon ſtehende Bette legte, und ſie mit Schlag-Waſſer und fluͤchtigen Spiritu nach Verlauf einer viertel Stunde wieder zu ſich ſelber brachte. Wir beyden Bruͤder bezeigten unſere hertzliche Compaſſion und Exquiſen we- gen dieſes Zufalls, allein die Frau Mama ſagte mit lachenden Munde: Das Naͤrrichen haͤtte koͤnnen davon bleiben, denn ſie weiß, daß ſie nicht einmahl eine Gans oder Huhn kan abſchlachten ſehen. Nachdem aber mein Bruder verbunden, erſuchte mich der Gouverneur, ich moͤchte ihm den Gefallen erweiſen, und meine Arm-Wunde eben- falls in ihrer Gegenwart verbinden laſſen; ich deprecirte zwar ſolches, weilen es ſich in Gegen- wart hohen Frauenzimmers nicht ſchickte, allein, da er nicht nachließ, mich zu bitten, und ich ſon- ſten wuſte, daß ich ſo weiß und reine an meinem Leibe, als ein Fiſch, ſo entbloͤſſete ich meinen Arm und Bruſt, und ließ mich verbinden. Sie ver- wunderten ſich, daß ich, bey der Fingers-langen Wun- (f) 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/95
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/95>, abgerufen am 18.12.2024.