naturgemäßer gemalt seyn als dieser Kopf, nichts edler und wahrer als diese Stellung der kraftvollen Heldengestalt des vollendeten Mannes, in blühen- der Frische der Jugend.
Jn einer von allen Seiten offnen Halle, welcher der heitre blaue Himmel zum Hintergrunde dient, steht auf einem andern Gemälde die Kaiserin Helena, die heilig gesprochne Mutter Konstantins; das wahre Kreuz des Heilandes, dessen Wiederfin- den die Legende zum Theil den Bemühungen dieser frommen Fürstin zuschreibt, lehnt ihr im Arme. Sie ist fast nonnenartig gekleidet und in einen durchsichtig-feinen weißen, in schönen Falten sie umschwebenden Schleier gehüllt, über welchem sie die goldne Kaiserkrone auf dem Haupte trägt. Recht wunderbar wußte der Maler die Kaiserin und die Heilige in der Darstellung dieser hohen, ernsten, etwas ältlichen Frau zu vereinen; aus den blitzen- den Augen, aus der ganzen Haltung der edlen Gestalt, spricht so viel Festigkeit, so viel sicheres Bewußtseyn, so viel Strenge gegen eigne Schwä- chen, daß man unwillkührlich bei ihrem Anblick
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naturgemäßer gemalt ſeyn als dieſer Kopf, nichts edler und wahrer als dieſe Stellung der kraftvollen Heldengeſtalt des vollendeten Mannes, in blühen- der Friſche der Jugend.
Jn einer von allen Seiten offnen Halle, welcher der heitre blaue Himmel zum Hintergrunde dient, ſteht auf einem andern Gemälde die Kaiſerin Helena, die heilig geſprochne Mutter Konſtantins; das wahre Kreuz des Heilandes, deſſen Wiederfin- den die Legende zum Theil den Bemühungen dieſer frommen Fürſtin zuſchreibt, lehnt ihr im Arme. Sie iſt faſt nonnenartig gekleidet und in einen durchſichtig-feinen weißen, in ſchönen Falten ſie umſchwebenden Schleier gehüllt, über welchem ſie die goldne Kaiſerkrone auf dem Haupte trägt. Recht wunderbar wußte der Maler die Kaiſerin und die Heilige in der Darſtellung dieſer hohen, ernſten, etwas ältlichen Frau zu vereinen; aus den blitzen- den Augen, aus der ganzen Haltung der edlen Geſtalt, ſpricht ſo viel Feſtigkeit, ſo viel ſicheres Bewußtſeyn, ſo viel Strenge gegen eigne Schwä- chen, daß man unwillkührlich bei ihrem Anblick
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naturgemäßer gemalt ſeyn als dieſer Kopf, nichts
edler und wahrer als dieſe Stellung der kraftvollen
Heldengeſtalt des vollendeten Mannes, in blühen-
der Friſche der Jugend.
Jn einer von allen Seiten offnen Halle, welcher
der heitre blaue Himmel zum Hintergrunde dient,
ſteht auf einem andern Gemälde die Kaiſerin Helena,
die heilig geſprochne Mutter Konſtantins; das
wahre Kreuz des Heilandes, deſſen Wiederfin-
den die Legende zum Theil den Bemühungen dieſer
frommen Fürſtin zuſchreibt, lehnt ihr im Arme.
Sie iſt faſt nonnenartig gekleidet und in einen
durchſichtig-feinen weißen, in ſchönen Falten ſie
umſchwebenden Schleier gehüllt, über welchem ſie
die goldne Kaiſerkrone auf dem Haupte trägt. Recht
wunderbar wußte der Maler die Kaiſerin und die
Heilige in der Darſtellung dieſer hohen, ernſten,
etwas ältlichen Frau zu vereinen; aus den blitzen-
den Augen, aus der ganzen Haltung der edlen
Geſtalt, ſpricht ſo viel Feſtigkeit, ſo viel ſicheres
Bewußtſeyn, ſo viel Strenge gegen eigne Schwä-
chen, daß man unwillkührlich bei ihrem Anblick
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/155>, abgerufen am 16.02.2025.
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