Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

treuesten Nachahmung der lebendigen Natur sich bis
zum Jdeal der höchsten Schönheit hinaufschwingen,
das in dem Marmor vor seinen wonnetrunknen
Blicken zu athmen schien. Doch sein guter Genius
bewahrte ihn hier auf dem Scheidewege vor jenen
Jrrgängen, auf welchen viele seiner Nachfolger und
zuletzt die deutsche Kunst selbst zu Grunde gingen;
Mabuse erkannte, daß Wahrheit ewig das erste Be-
dingniß der Schönheit seyn werde, und wagte es
deshalb nie, sich von ihr und der Natur zu entfer-
nen, obgleich er stets, und oft sehr glücklich, dar-
nach strebte, sie mit dem, seinem inneren Sinne
vorschwebenden, ihm höher dünkenden Reiz des
Jdeellen zu schmücken.

Er war es, der zuerst bei seiner Heimkehr
aus Jtalien die späterhin auf Kosten des guten Ge-
schmacks nur zu sehr herrschend gewordnen allegori-
schen Darstellungen in das Gebiet seiner vaterlän-
dischen Kunst einführte. Er zuerst brachte die ita-
liänische Weise in der Komposition seiner Gemälde
an, und auch jene südliche Art vorzüglich nackte
Figuren zu malen, was die züchtigen ehrbaren Alt-

treueſten Nachahmung der lebendigen Natur ſich bis
zum Jdeal der höchſten Schönheit hinaufſchwingen,
das in dem Marmor vor ſeinen wonnetrunknen
Blicken zu athmen ſchien. Doch ſein guter Genius
bewahrte ihn hier auf dem Scheidewege vor jenen
Jrrgängen, auf welchen viele ſeiner Nachfolger und
zuletzt die deutſche Kunſt ſelbſt zu Grunde gingen;
Mabuſe erkannte, daß Wahrheit ewig das erſte Be-
dingniß der Schönheit ſeyn werde, und wagte es
deshalb nie, ſich von ihr und der Natur zu entfer-
nen, obgleich er ſtets, und oft ſehr glücklich, dar-
nach ſtrebte, ſie mit dem, ſeinem inneren Sinne
vorſchwebenden, ihm höher dünkenden Reiz des
Jdeellen zu ſchmücken.

Er war es, der zuerſt bei ſeiner Heimkehr
aus Jtalien die ſpäterhin auf Koſten des guten Ge-
ſchmacks nur zu ſehr herrſchend gewordnen allegori-
ſchen Darſtellungen in das Gebiet ſeiner vaterlän-
diſchen Kunſt einführte. Er zuerſt brachte die ita-
liäniſche Weiſe in der Kompoſition ſeiner Gemälde
an, und auch jene ſüdliche Art vorzüglich nackte
Figuren zu malen, was die züchtigen ehrbaren Alt-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="26"/>
treue&#x017F;ten Nachahmung der lebendigen Natur &#x017F;ich bis<lb/>
zum Jdeal der höch&#x017F;ten Schönheit hinauf&#x017F;chwingen,<lb/>
das in dem Marmor vor &#x017F;einen wonnetrunknen<lb/>
Blicken zu athmen &#x017F;chien. Doch &#x017F;ein guter Genius<lb/>
bewahrte ihn hier auf dem Scheidewege vor jenen<lb/>
Jrrgängen, auf welchen viele &#x017F;einer Nachfolger und<lb/>
zuletzt die deut&#x017F;che Kun&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t zu Grunde gingen;<lb/>
Mabu&#x017F;e erkannte, daß Wahrheit ewig das er&#x017F;te Be-<lb/>
dingniß der Schönheit &#x017F;eyn werde, und wagte es<lb/>
deshalb nie, &#x017F;ich von ihr und der Natur zu entfer-<lb/>
nen, obgleich er &#x017F;tets, und oft &#x017F;ehr glücklich, dar-<lb/>
nach &#x017F;trebte, &#x017F;ie mit dem, &#x017F;einem inneren Sinne<lb/>
vor&#x017F;chwebenden, ihm höher dünkenden Reiz des<lb/>
Jdeellen zu &#x017F;chmücken.</p><lb/>
        <p>Er war es, der zuer&#x017F;t bei &#x017F;einer Heimkehr<lb/>
aus Jtalien die &#x017F;päterhin auf Ko&#x017F;ten des guten Ge-<lb/>
&#x017F;chmacks nur zu &#x017F;ehr herr&#x017F;chend gewordnen allegori-<lb/>
&#x017F;chen Dar&#x017F;tellungen in das Gebiet &#x017F;einer vaterlän-<lb/>
di&#x017F;chen Kun&#x017F;t einführte. Er zuer&#x017F;t brachte die ita-<lb/>
liäni&#x017F;che Wei&#x017F;e in der Kompo&#x017F;ition &#x017F;einer Gemälde<lb/>
an, und auch jene &#x017F;üdliche Art vorzüglich nackte<lb/>
Figuren zu malen, was die züchtigen ehrbaren Alt-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0036] treueſten Nachahmung der lebendigen Natur ſich bis zum Jdeal der höchſten Schönheit hinaufſchwingen, das in dem Marmor vor ſeinen wonnetrunknen Blicken zu athmen ſchien. Doch ſein guter Genius bewahrte ihn hier auf dem Scheidewege vor jenen Jrrgängen, auf welchen viele ſeiner Nachfolger und zuletzt die deutſche Kunſt ſelbſt zu Grunde gingen; Mabuſe erkannte, daß Wahrheit ewig das erſte Be- dingniß der Schönheit ſeyn werde, und wagte es deshalb nie, ſich von ihr und der Natur zu entfer- nen, obgleich er ſtets, und oft ſehr glücklich, dar- nach ſtrebte, ſie mit dem, ſeinem inneren Sinne vorſchwebenden, ihm höher dünkenden Reiz des Jdeellen zu ſchmücken. Er war es, der zuerſt bei ſeiner Heimkehr aus Jtalien die ſpäterhin auf Koſten des guten Ge- ſchmacks nur zu ſehr herrſchend gewordnen allegori- ſchen Darſtellungen in das Gebiet ſeiner vaterlän- diſchen Kunſt einführte. Er zuerſt brachte die ita- liäniſche Weiſe in der Kompoſition ſeiner Gemälde an, und auch jene ſüdliche Art vorzüglich nackte Figuren zu malen, was die züchtigen ehrbaren Alt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/36
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/36>, abgerufen am 21.11.2024.