Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822.Halbohnmächtige. Wahrhaft herzergreifend ist die Halbohnmächtige. Wahrhaft herzergreifend iſt die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0046" n="36"/> Halbohnmächtige. Wahrhaft herzergreifend iſt die<lb/> Gottergebenheit der Alles duldenden Mutter, im<lb/> Gegenſatz mit dem leidenſchaftlichen Stürmen der<lb/> weit jüngern Magdalena, die im Drange des Welt-<lb/> lebens noch nicht lernen konnte ſich unter den Willen<lb/> Gottes fromm zu beugen. Der Ausdruck, die<lb/> Gruppirung, die Schönheit der Köpfe, ſo wie die<lb/> Drapperie dieſer Gruppe ſind vor Allem bewun-<lb/> dernswerth, beſonders in letzter Hinſicht das dun-<lb/> kelblaue Gewand der Magdalena und das der<lb/> Maria Salome; ein ſehr reizendes mit einer Art<lb/> von goldnem Netz verbundnes Häubchen ſchmückt das<lb/> ſchöne Köpfchen der letzteren. Die um das Kreuz<lb/> verſammelten Phariſäer bilden einen zweiten Kontraſt<lb/> mit den weinenden Frauen; Kriegsknechte auf ſtolzen<lb/> Pferden ſchließen an dieſe ſich an, unter denen ſich<lb/> ein vornehmer Mann im rothen Gewande auszeich-<lb/> net, wahrſcheinlich Pontius Pilatus. Alle dieſe<lb/> Geſtalten, dieſe Köpfe, vom verſchiedenſten Aus-<lb/> druck, ſind voll Leben und Wahrheit. Es iſt ein<lb/> Bild, das den Blick unwiderſtehlich feſſelt, es ath-<lb/> met, es bewegt ſich wenn man es länger betrachtet.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [36/0046]
Halbohnmächtige. Wahrhaft herzergreifend iſt die
Gottergebenheit der Alles duldenden Mutter, im
Gegenſatz mit dem leidenſchaftlichen Stürmen der
weit jüngern Magdalena, die im Drange des Welt-
lebens noch nicht lernen konnte ſich unter den Willen
Gottes fromm zu beugen. Der Ausdruck, die
Gruppirung, die Schönheit der Köpfe, ſo wie die
Drapperie dieſer Gruppe ſind vor Allem bewun-
dernswerth, beſonders in letzter Hinſicht das dun-
kelblaue Gewand der Magdalena und das der
Maria Salome; ein ſehr reizendes mit einer Art
von goldnem Netz verbundnes Häubchen ſchmückt das
ſchöne Köpfchen der letzteren. Die um das Kreuz
verſammelten Phariſäer bilden einen zweiten Kontraſt
mit den weinenden Frauen; Kriegsknechte auf ſtolzen
Pferden ſchließen an dieſe ſich an, unter denen ſich
ein vornehmer Mann im rothen Gewande auszeich-
net, wahrſcheinlich Pontius Pilatus. Alle dieſe
Geſtalten, dieſe Köpfe, vom verſchiedenſten Aus-
druck, ſind voll Leben und Wahrheit. Es iſt ein
Bild, das den Blick unwiderſtehlich feſſelt, es ath-
met, es bewegt ſich wenn man es länger betrachtet.
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