Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

sein kräftiges Gemüth, sein reines Bewußtseyn,
halfen ihm jedes Geschick in stiller Ergebenheit mit
Geduld und mit Ruhe ertragen. Er starb am sechsten
December des Jahres 1562, in einem Alter von
sieben und sechzig Jahren, vier Monaten und sechs
Tagen. Zwei Jahre vor seinem Tode, malte einer
seiner liebsten Schüler, Autonius Moro, sein sehr
ähnliches Bildniß, doch weiß ich nicht, ob dieses
bis auf unsre Zeit gekommen ist. Ein Zeitraum
von einhundert Jahren liegt zwischen Johann van
Eyck und Johann von Schoreel, aber keiner, von
allen Nachfolgern des großen Stifters der alten
deutschen Schule war jenem im Geiste näher ver-
wandt, als dieser, sogar nicht der in feuriger Begei-
sterung glühende Hemling. Schoreels wie van
Eycks Werke umgibt dieselbe lichthelle Klarheit,
aus beiden spricht der nämliche heitre, ruhig erhabne
Sinn. Dieselbe unübertroffne Farbenpracht strahlt
von Beider Tafeln uns entgegen, dieselbe Wahrheit
des Kolorits, des Ausdrucks, der Anordnung, der
Zeichnung, dieselbe gerade zum Herzen dringende
Jnnigkeit. Wie van Eycks Gestalten, so stehen

ſein kräftiges Gemüth, ſein reines Bewußtſeyn,
halfen ihm jedes Geſchick in ſtiller Ergebenheit mit
Geduld und mit Ruhe ertragen. Er ſtarb am ſechſten
December des Jahres 1562, in einem Alter von
ſieben und ſechzig Jahren, vier Monaten und ſechs
Tagen. Zwei Jahre vor ſeinem Tode, malte einer
ſeiner liebſten Schüler, Autonius Moro, ſein ſehr
ähnliches Bildniß, doch weiß ich nicht, ob dieſes
bis auf unſre Zeit gekommen iſt. Ein Zeitraum
von einhundert Jahren liegt zwiſchen Johann van
Eyck und Johann von Schoreel, aber keiner, von
allen Nachfolgern des großen Stifters der alten
deutſchen Schule war jenem im Geiſte näher ver-
wandt, als dieſer, ſogar nicht der in feuriger Begei-
ſterung glühende Hemling. Schoreels wie van
Eycks Werke umgibt dieſelbe lichthelle Klarheit,
aus beiden ſpricht der nämliche heitre, ruhig erhabne
Sinn. Dieſelbe unübertroffne Farbenpracht ſtrahlt
von Beider Tafeln uns entgegen, dieſelbe Wahrheit
des Kolorits, des Ausdrucks, der Anordnung, der
Zeichnung, dieſelbe gerade zum Herzen dringende
Jnnigkeit. Wie van Eycks Geſtalten, ſo ſtehen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="79"/>
&#x017F;ein kräftiges Gemüth, &#x017F;ein reines Bewußt&#x017F;eyn,<lb/>
halfen ihm jedes Ge&#x017F;chick in &#x017F;tiller Ergebenheit mit<lb/>
Geduld und mit Ruhe ertragen. Er &#x017F;tarb am &#x017F;ech&#x017F;ten<lb/>
December des Jahres 1562, in einem Alter von<lb/>
&#x017F;ieben und &#x017F;echzig Jahren, vier Monaten und &#x017F;echs<lb/>
Tagen. Zwei Jahre vor &#x017F;einem Tode, malte einer<lb/>
&#x017F;einer lieb&#x017F;ten Schüler, Autonius Moro, &#x017F;ein &#x017F;ehr<lb/>
ähnliches Bildniß, doch weiß ich nicht, ob die&#x017F;es<lb/>
bis auf un&#x017F;re Zeit gekommen i&#x017F;t. Ein Zeitraum<lb/>
von einhundert Jahren liegt zwi&#x017F;chen Johann van<lb/>
Eyck und Johann von Schoreel, aber keiner, von<lb/>
allen Nachfolgern des großen Stifters der alten<lb/>
deut&#x017F;chen Schule war jenem im Gei&#x017F;te näher ver-<lb/>
wandt, als die&#x017F;er, &#x017F;ogar nicht der in feuriger Begei-<lb/>
&#x017F;terung glühende Hemling. Schoreels wie van<lb/>
Eycks Werke umgibt die&#x017F;elbe lichthelle Klarheit,<lb/>
aus beiden &#x017F;pricht der nämliche heitre, ruhig erhabne<lb/>
Sinn. Die&#x017F;elbe unübertroffne Farbenpracht &#x017F;trahlt<lb/>
von Beider Tafeln uns entgegen, die&#x017F;elbe Wahrheit<lb/>
des Kolorits, des Ausdrucks, der Anordnung, der<lb/>
Zeichnung, die&#x017F;elbe gerade zum Herzen dringende<lb/>
Jnnigkeit. Wie van Eycks Ge&#x017F;talten, &#x017F;o &#x017F;tehen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0089] ſein kräftiges Gemüth, ſein reines Bewußtſeyn, halfen ihm jedes Geſchick in ſtiller Ergebenheit mit Geduld und mit Ruhe ertragen. Er ſtarb am ſechſten December des Jahres 1562, in einem Alter von ſieben und ſechzig Jahren, vier Monaten und ſechs Tagen. Zwei Jahre vor ſeinem Tode, malte einer ſeiner liebſten Schüler, Autonius Moro, ſein ſehr ähnliches Bildniß, doch weiß ich nicht, ob dieſes bis auf unſre Zeit gekommen iſt. Ein Zeitraum von einhundert Jahren liegt zwiſchen Johann van Eyck und Johann von Schoreel, aber keiner, von allen Nachfolgern des großen Stifters der alten deutſchen Schule war jenem im Geiſte näher ver- wandt, als dieſer, ſogar nicht der in feuriger Begei- ſterung glühende Hemling. Schoreels wie van Eycks Werke umgibt dieſelbe lichthelle Klarheit, aus beiden ſpricht der nämliche heitre, ruhig erhabne Sinn. Dieſelbe unübertroffne Farbenpracht ſtrahlt von Beider Tafeln uns entgegen, dieſelbe Wahrheit des Kolorits, des Ausdrucks, der Anordnung, der Zeichnung, dieſelbe gerade zum Herzen dringende Jnnigkeit. Wie van Eycks Geſtalten, ſo ſtehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/89
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/89>, abgerufen am 21.11.2024.