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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846.

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stärker ansetzende Wind sie berührte und in dem ge-
fiederten Laube der Akazien rief er ein melodisches Ge-
murmel hervor, während er zugleich ihre schneeweißen
Blüten zwang, noch mehr des süßen Duftes auszu-
streuen, den sie in ihren Kelchen bewahrten.

Diese Schönheit der Natur, dieses ruhige Wan-
deln der ewigen Gestirne durch die unermeßlichen Räume
hin; dieses melodische Säuseln und Flüstern, das wie
holdes Kosen der Gewächse mit der geheimnißvollen
Nacht klang, bildete den schneidendsten Contrast gegen
die Aufgeregtheit seines Jnnern, und der Gedanke,
wie unbekümmert doch die ewige Natur um ihre Ge-
schöpfe sei, wie ruhig, wie unwandelbar sie ihren
Gang fortgehe, möge ein fühlendes Geschöpf in Freude
aufjauchzen oder sich im Todesschmerz krümmen, wurde
zum brennenden Schmerze für seine Seele.

-- "Wie wenig," rief er tief ergriffen aus,
"muß auch Menschenwohl und Menschenweh dem
Schöpfer gelten; mit wie leichtem Gewichte der höchste
Schmerz und die höchste Seligkeit in die Waagschale
des Ewigen fallen! Nichts, was geschieht, verändert
die sich ewig gleich bleibenden Gesetze der Natur;
Nichts ändert den Lauf der Gestirne, die unbeküm-
mert um das Gräßlichste, das geschieht, den ihnen ein-
mal vorgeschriebenen Weg ruhig fortwandeln. Nichts
vermag Stockung in die Räder des großen Uhrwerks

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ſtärker anſetzende Wind ſie berührte und in dem ge-
fiederten Laube der Akazien rief er ein melodiſches Ge-
murmel hervor, während er zugleich ihre ſchneeweißen
Blüten zwang, noch mehr des ſüßen Duftes auszu-
ſtreuen, den ſie in ihren Kelchen bewahrten.

Dieſe Schönheit der Natur, dieſes ruhige Wan-
deln der ewigen Geſtirne durch die unermeßlichen Räume
hin; dieſes melodiſche Säuſeln und Flüſtern, das wie
holdes Koſen der Gewächſe mit der geheimnißvollen
Nacht klang, bildete den ſchneidendſten Contraſt gegen
die Aufgeregtheit ſeines Jnnern, und der Gedanke,
wie unbekümmert doch die ewige Natur um ihre Ge-
ſchöpfe ſei, wie ruhig, wie unwandelbar ſie ihren
Gang fortgehe, möge ein fühlendes Geſchöpf in Freude
aufjauchzen oder ſich im Todesſchmerz krümmen, wurde
zum brennenden Schmerze für ſeine Seele.

— „Wie wenig,“ rief er tief ergriffen aus,
„muß auch Menſchenwohl und Menſchenweh dem
Schöpfer gelten; mit wie leichtem Gewichte der höchſte
Schmerz und die höchſte Seligkeit in die Waagſchale
des Ewigen fallen! Nichts, was geſchieht, verändert
die ſich ewig gleich bleibenden Geſetze der Natur;
Nichts ändert den Lauf der Geſtirne, die unbeküm-
mert um das Gräßlichſte, das geſchieht, den ihnen ein-
mal vorgeſchriebenen Weg ruhig fortwandeln. Nichts
vermag Stockung in die Räder des großen Uhrwerks

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[177/0185] ſtärker anſetzende Wind ſie berührte und in dem ge- fiederten Laube der Akazien rief er ein melodiſches Ge- murmel hervor, während er zugleich ihre ſchneeweißen Blüten zwang, noch mehr des ſüßen Duftes auszu- ſtreuen, den ſie in ihren Kelchen bewahrten. Dieſe Schönheit der Natur, dieſes ruhige Wan- deln der ewigen Geſtirne durch die unermeßlichen Räume hin; dieſes melodiſche Säuſeln und Flüſtern, das wie holdes Koſen der Gewächſe mit der geheimnißvollen Nacht klang, bildete den ſchneidendſten Contraſt gegen die Aufgeregtheit ſeines Jnnern, und der Gedanke, wie unbekümmert doch die ewige Natur um ihre Ge- ſchöpfe ſei, wie ruhig, wie unwandelbar ſie ihren Gang fortgehe, möge ein fühlendes Geſchöpf in Freude aufjauchzen oder ſich im Todesſchmerz krümmen, wurde zum brennenden Schmerze für ſeine Seele. — „Wie wenig,“ rief er tief ergriffen aus, „muß auch Menſchenwohl und Menſchenweh dem Schöpfer gelten; mit wie leichtem Gewichte der höchſte Schmerz und die höchſte Seligkeit in die Waagſchale des Ewigen fallen! Nichts, was geſchieht, verändert die ſich ewig gleich bleibenden Geſetze der Natur; Nichts ändert den Lauf der Geſtirne, die unbeküm- mert um das Gräßlichſte, das geſchieht, den ihnen ein- mal vorgeſchriebenen Weg ruhig fortwandeln. Nichts vermag Stockung in die Räder des großen Uhrwerks 12

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/185>, abgerufen am 15.05.2024.