Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch aber war zu stolz, zu eitel, wenn du willst, in-
dem ich glaubte, daß kein Anderer mich je aus dei-
nem Herzen verdrängen, mir je bei dir gefährlich
werden könnte, und diese Eitelkeit büße ich mit dem
Verluste des höchsten Glücks meines Herzens ab:
nichts gerechter als das!"

Marie antwortete ihm nur durch Thränen. Er
erhob sich und schritt eine Weile, wie in der heftig-
sten Aufregung, durch's Zimmer; dann blieb er vor
ihr stehen, ergriff ihre Hand, drückte sie an sein
Herz und sagte mit dem sanften, einschmeichelnden
Tone, den er sehr in seiner Gewalt hatte:

-- "Gewähre mir jetzt nur das Einzige, was
du mir noch gewähren kannst, Marie: Wahrheit,
volle, unumwundene Wahrheit! Jst es schon zum
Geständnisse zwischen dir und Arnolden gekommen?"

-- "Jch schwöre dir bei Allem, was mir heilig
ist," rief sie, in Thränen aufgelöst, "daß nie das
Wort Liebe zwischen uns ausgesprochen wurde!"

-- "Jch muß den Character dieses jungen Man-
nes immer mehr achten lernen, ja, ich muß demsel-
ben sogar Bewunderung zollen," sagte der Prophet
wie vor sich hin. "So lange mit einem jungen und
so schönen Mädchen unter einem Dache, völlig ab-
geschieden von der Welt, ohne Lauscher, ohne Hor-

13

Jch aber war zu ſtolz, zu eitel, wenn du willſt, in-
dem ich glaubte, daß kein Anderer mich je aus dei-
nem Herzen verdrängen, mir je bei dir gefährlich
werden könnte, und dieſe Eitelkeit büße ich mit dem
Verluſte des höchſten Glücks meines Herzens ab:
nichts gerechter als das!“

Marie antwortete ihm nur durch Thränen. Er
erhob ſich und ſchritt eine Weile, wie in der heftig-
ſten Aufregung, durch’s Zimmer; dann blieb er vor
ihr ſtehen, ergriff ihre Hand, drückte ſie an ſein
Herz und ſagte mit dem ſanften, einſchmeichelnden
Tone, den er ſehr in ſeiner Gewalt hatte:

— „Gewähre mir jetzt nur das Einzige, was
du mir noch gewähren kannſt, Marie: Wahrheit,
volle, unumwundene Wahrheit! Jſt es ſchon zum
Geſtändniſſe zwiſchen dir und Arnolden gekommen?“

— „Jch ſchwöre dir bei Allem, was mir heilig
iſt,“ rief ſie, in Thränen aufgelöſt, „daß nie das
Wort Liebe zwiſchen uns ausgeſprochen wurde!“

— „Jch muß den Character dieſes jungen Man-
nes immer mehr achten lernen, ja, ich muß demſel-
ben ſogar Bewunderung zollen,“ ſagte der Prophet
wie vor ſich hin. „So lange mit einem jungen und
ſo ſchönen Mädchen unter einem Dache, völlig ab-
geſchieden von der Welt, ohne Lauſcher, ohne Hor-

13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0201" n="193"/>
Jch aber war zu &#x017F;tolz, zu eitel, wenn du will&#x017F;t, in-<lb/>
dem ich glaubte, daß kein Anderer mich je aus dei-<lb/>
nem Herzen verdrängen, mir je bei dir gefährlich<lb/>
werden könnte, und die&#x017F;e Eitelkeit büße ich mit dem<lb/>
Verlu&#x017F;te des höch&#x017F;ten Glücks meines Herzens ab:<lb/>
nichts gerechter als das!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Marie antwortete ihm nur durch Thränen. Er<lb/>
erhob &#x017F;ich und &#x017F;chritt eine Weile, wie in der heftig-<lb/>
&#x017F;ten Aufregung, durch&#x2019;s Zimmer; dann blieb er vor<lb/>
ihr &#x017F;tehen, ergriff ihre Hand, drückte &#x017F;ie an &#x017F;ein<lb/>
Herz und &#x017F;agte mit dem &#x017F;anften, ein&#x017F;chmeichelnden<lb/>
Tone, den er &#x017F;ehr in &#x017F;einer Gewalt hatte:</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Gewähre mir jetzt nur das Einzige, was<lb/>
du mir noch gewähren kann&#x017F;t, Marie: Wahrheit,<lb/>
volle, unumwundene Wahrheit! J&#x017F;t es &#x017F;chon zum<lb/>
Ge&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;e zwi&#x017F;chen dir und Arnolden gekommen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Jch &#x017F;chwöre dir bei Allem, was mir heilig<lb/>
i&#x017F;t,&#x201C; rief &#x017F;ie, in Thränen aufgelö&#x017F;t, &#x201E;daß nie das<lb/>
Wort Liebe zwi&#x017F;chen uns ausge&#x017F;prochen wurde!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Jch muß den Character die&#x017F;es jungen Man-<lb/>
nes immer mehr achten lernen, ja, ich muß dem&#x017F;el-<lb/>
ben &#x017F;ogar Bewunderung zollen,&#x201C; &#x017F;agte der Prophet<lb/>
wie vor &#x017F;ich hin. &#x201E;So lange mit einem jungen und<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chönen Mädchen unter <hi rendition="#g">einem</hi> Dache, völlig ab-<lb/>
ge&#x017F;chieden von der Welt, ohne Lau&#x017F;cher, ohne Hor-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0201] Jch aber war zu ſtolz, zu eitel, wenn du willſt, in- dem ich glaubte, daß kein Anderer mich je aus dei- nem Herzen verdrängen, mir je bei dir gefährlich werden könnte, und dieſe Eitelkeit büße ich mit dem Verluſte des höchſten Glücks meines Herzens ab: nichts gerechter als das!“ Marie antwortete ihm nur durch Thränen. Er erhob ſich und ſchritt eine Weile, wie in der heftig- ſten Aufregung, durch’s Zimmer; dann blieb er vor ihr ſtehen, ergriff ihre Hand, drückte ſie an ſein Herz und ſagte mit dem ſanften, einſchmeichelnden Tone, den er ſehr in ſeiner Gewalt hatte: — „Gewähre mir jetzt nur das Einzige, was du mir noch gewähren kannſt, Marie: Wahrheit, volle, unumwundene Wahrheit! Jſt es ſchon zum Geſtändniſſe zwiſchen dir und Arnolden gekommen?“ — „Jch ſchwöre dir bei Allem, was mir heilig iſt,“ rief ſie, in Thränen aufgelöſt, „daß nie das Wort Liebe zwiſchen uns ausgeſprochen wurde!“ — „Jch muß den Character dieſes jungen Man- nes immer mehr achten lernen, ja, ich muß demſel- ben ſogar Bewunderung zollen,“ ſagte der Prophet wie vor ſich hin. „So lange mit einem jungen und ſo ſchönen Mädchen unter einem Dache, völlig ab- geſchieden von der Welt, ohne Lauſcher, ohne Hor- 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/201
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/201>, abgerufen am 04.12.2024.