Da sich diese Erscheinung mehre Male wiederholte, stand er leise vom Lager auf, um den in der Nähe seines Gefängnisses schlafenden Wächter nicht aufzu- wecken, trat an das stark vergitterte Fenster und öffnete es, um auf die Gasse hinabzuschauen.
Bei einem äußerst schwachen Mondlicht -- der Himmel war mit Regenwolken bedeckt -- sah er in der Gasse zwei Gestalten stehen, deren Kleidung und Gesichtszüge er aber nicht zu unterscheiden vermochte, weil der Mond sich eben gänzlich hinter den Wolken verkrochen hatte. Kaum aber hatte er das Fenster geöffnet, was mit einigem Geräusche geschah, da es von der Feuchtigkeit stark verquollen war, so wurde von einer der unten stehenden Gestalten ein Wort ausgesprochen, das allein ihm verständlich und ein Er- kennungswort war.
-- "Hieram!" rief der Gefangene überrascht aus, denn kein Anderer, als dieser konnte es seyn, weil er allein das Loosungswort kannte.
-- "Er selbst!" antwortete dieser mit so leiser Stimme, daß die Worte nur von den lauschenden Ohren des Propheten gehört werden konnten.
-- "Wie kommst Du hieher?"
-- "Gleichviel! Laßt einen Strick, irgend ein Band, herunter und Jhr sollt Alles erfahren," war die Antwort.
Da ſich dieſe Erſcheinung mehre Male wiederholte, ſtand er leiſe vom Lager auf, um den in der Nähe ſeines Gefängniſſes ſchlafenden Wächter nicht aufzu- wecken, trat an das ſtark vergitterte Fenſter und öffnete es, um auf die Gaſſe hinabzuſchauen.
Bei einem äußerſt ſchwachen Mondlicht — der Himmel war mit Regenwolken bedeckt — ſah er in der Gaſſe zwei Geſtalten ſtehen, deren Kleidung und Geſichtszüge er aber nicht zu unterſcheiden vermochte, weil der Mond ſich eben gänzlich hinter den Wolken verkrochen hatte. Kaum aber hatte er das Fenſter geöffnet, was mit einigem Geräuſche geſchah, da es von der Feuchtigkeit ſtark verquollen war, ſo wurde von einer der unten ſtehenden Geſtalten ein Wort ausgeſprochen, das allein ihm verſtändlich und ein Er- kennungswort war.
— „Hieram!“ rief der Gefangene überraſcht aus, denn kein Anderer, als dieſer konnte es ſeyn, weil er allein das Looſungswort kannte.
— „Er ſelbſt!“ antwortete dieſer mit ſo leiſer Stimme, daß die Worte nur von den lauſchenden Ohren des Propheten gehört werden konnten.
— „Wie kommſt Du hieher?“
— „Gleichviel! Laßt einen Strick, irgend ein Band, herunter und Jhr ſollt Alles erfahren,“ war die Antwort.
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Da ſich dieſe Erſcheinung mehre Male wiederholte,
ſtand er leiſe vom Lager auf, um den in der Nähe
ſeines Gefängniſſes ſchlafenden Wächter nicht aufzu-
wecken, trat an das ſtark vergitterte Fenſter und
öffnete es, um auf die Gaſſe hinabzuſchauen.
Bei einem äußerſt ſchwachen Mondlicht — der
Himmel war mit Regenwolken bedeckt — ſah er in
der Gaſſe zwei Geſtalten ſtehen, deren Kleidung und
Geſichtszüge er aber nicht zu unterſcheiden vermochte,
weil der Mond ſich eben gänzlich hinter den Wolken
verkrochen hatte. Kaum aber hatte er das Fenſter
geöffnet, was mit einigem Geräuſche geſchah, da es
von der Feuchtigkeit ſtark verquollen war, ſo wurde
von einer der unten ſtehenden Geſtalten ein Wort
ausgeſprochen, das allein ihm verſtändlich und ein Er-
kennungswort war.
— „Hieram!“ rief der Gefangene überraſcht
aus, denn kein Anderer, als dieſer konnte es ſeyn,
weil er allein das Looſungswort kannte.
— „Er ſelbſt!“ antwortete dieſer mit ſo leiſer
Stimme, daß die Worte nur von den lauſchenden
Ohren des Propheten gehört werden konnten.
— „Wie kommſt Du hieher?“
— „Gleichviel! Laßt einen Strick, irgend ein
Band, herunter und Jhr ſollt Alles erfahren,“ war
die Antwort.
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/172>, abgerufen am 19.02.2025.
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