welchem Hasse erfüllt, war er nicht Dem gegenüber gestanden, der ihm das Leben gegeben hatte!
Würde das anders geworden seyn, fragte er sich, wenn er schon früher, nicht erst in der Stunde des Todes, die Entdeckung gemacht hätte, daß die- ser Mann sein Vater sei? Würde er ihn, trotz der Verschiedenheit ihrer Grundsätze, Ueberzeugungen und Bestrebungen, trotz dem, daß er Blicke in sein Jn- neres gethan, die ihn schaudern machten, indem sie ihm einen Abgrund von innerer Verderbtheit zeig- ten, würde er ihn trotz alle Dem haben lieben müssen, weil er sich als seinen Sohn erkannt? Diese und ähnliche Fragen legte er sich vor, ohne eine Antwort darauf zu finden.
Durch die letzten Worte des Gestorbenen hatte sich ihm auch manches Räthsel der Vergangenheit gelöst: die Leiden seiner angebeteten Mutter; das Geheimniß, in das sie sich und ihre frühern Ver- hältnisse hüllte; die Armuth, in der sie, die nach Allem, was er wahrnehmen mußte, einst bessere Tage gesehen hatte, lebte; der nagende Gram, welcher ihrem Leben so früh ein Ziel gesetzt; die Worte, welche sie ihm auf ihrem Sterbebette noch hatte sa- gen wollen, ohne daß sie es gekonnt; die wenigen
welchem Haſſe erfüllt, war er nicht Dem gegenüber geſtanden, der ihm das Leben gegeben hatte!
Würde das anders geworden ſeyn, fragte er ſich, wenn er ſchon früher, nicht erſt in der Stunde des Todes, die Entdeckung gemacht hätte, daß die- ſer Mann ſein Vater ſei? Würde er ihn, trotz der Verſchiedenheit ihrer Grundſätze, Ueberzeugungen und Beſtrebungen, trotz dem, daß er Blicke in ſein Jn- neres gethan, die ihn ſchaudern machten, indem ſie ihm einen Abgrund von innerer Verderbtheit zeig- ten, würde er ihn trotz alle Dem haben lieben müſſen, weil er ſich als ſeinen Sohn erkannt? Dieſe und ähnliche Fragen legte er ſich vor, ohne eine Antwort darauf zu finden.
Durch die letzten Worte des Geſtorbenen hatte ſich ihm auch manches Räthſel der Vergangenheit gelöſt: die Leiden ſeiner angebeteten Mutter; das Geheimniß, in das ſie ſich und ihre frühern Ver- hältniſſe hüllte; die Armuth, in der ſie, die nach Allem, was er wahrnehmen mußte, einſt beſſere Tage geſehen hatte, lebte; der nagende Gram, welcher ihrem Leben ſo früh ein Ziel geſetzt; die Worte, welche ſie ihm auf ihrem Sterbebette noch hatte ſa- gen wollen, ohne daß ſie es gekonnt; die wenigen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0188"n="182"/>
welchem Haſſe erfüllt, war er nicht Dem gegenüber<lb/>
geſtanden, der ihm das Leben gegeben hatte!</p><lb/><p>Würde das anders geworden ſeyn, fragte er<lb/>ſich, wenn er ſchon früher, nicht erſt in der Stunde<lb/>
des Todes, die Entdeckung gemacht hätte, daß die-<lb/>ſer Mann ſein Vater ſei? Würde er ihn, trotz der<lb/>
Verſchiedenheit ihrer Grundſätze, Ueberzeugungen und<lb/>
Beſtrebungen, trotz dem, daß er Blicke in ſein Jn-<lb/>
neres gethan, die ihn ſchaudern machten, indem ſie<lb/>
ihm einen Abgrund von innerer Verderbtheit zeig-<lb/>
ten, würde er ihn trotz alle Dem haben lieben<lb/>
müſſen, weil er ſich als ſeinen Sohn erkannt? Dieſe<lb/>
und ähnliche Fragen legte er ſich vor, ohne eine<lb/>
Antwort darauf zu finden.</p><lb/><p>Durch die letzten Worte des Geſtorbenen hatte<lb/>ſich ihm auch manches Räthſel der Vergangenheit<lb/>
gelöſt: die Leiden ſeiner angebeteten Mutter; das<lb/>
Geheimniß, in das ſie ſich und ihre frühern Ver-<lb/>
hältniſſe hüllte; die Armuth, in der ſie, die nach<lb/>
Allem, was er wahrnehmen mußte, einſt beſſere Tage<lb/>
geſehen hatte, lebte; der nagende Gram, welcher<lb/>
ihrem Leben ſo früh ein Ziel geſetzt; die Worte,<lb/>
welche ſie ihm auf ihrem Sterbebette noch hatte ſa-<lb/>
gen wollen, ohne daß ſie es gekonnt; die wenigen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[182/0188]
welchem Haſſe erfüllt, war er nicht Dem gegenüber
geſtanden, der ihm das Leben gegeben hatte!
Würde das anders geworden ſeyn, fragte er
ſich, wenn er ſchon früher, nicht erſt in der Stunde
des Todes, die Entdeckung gemacht hätte, daß die-
ſer Mann ſein Vater ſei? Würde er ihn, trotz der
Verſchiedenheit ihrer Grundſätze, Ueberzeugungen und
Beſtrebungen, trotz dem, daß er Blicke in ſein Jn-
neres gethan, die ihn ſchaudern machten, indem ſie
ihm einen Abgrund von innerer Verderbtheit zeig-
ten, würde er ihn trotz alle Dem haben lieben
müſſen, weil er ſich als ſeinen Sohn erkannt? Dieſe
und ähnliche Fragen legte er ſich vor, ohne eine
Antwort darauf zu finden.
Durch die letzten Worte des Geſtorbenen hatte
ſich ihm auch manches Räthſel der Vergangenheit
gelöſt: die Leiden ſeiner angebeteten Mutter; das
Geheimniß, in das ſie ſich und ihre frühern Ver-
hältniſſe hüllte; die Armuth, in der ſie, die nach
Allem, was er wahrnehmen mußte, einſt beſſere Tage
geſehen hatte, lebte; der nagende Gram, welcher
ihrem Leben ſo früh ein Ziel geſetzt; die Worte,
welche ſie ihm auf ihrem Sterbebette noch hatte ſa-
gen wollen, ohne daß ſie es gekonnt; die wenigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/188>, abgerufen am 19.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.