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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
würden, wären wir z. B. genötigt, den Namen jedes Vorzustellenden
immer erst in Stein zu meisseln!

Der unter l1) erwähnten psychologischen Unterstützung, welche
das Denken aus dem Zeichen schöpft, würde es ohne diese Anforde-
rung grösstenteils verlustig gehen.

Von den Zeichen, über welche die Sprache verfügt, erfüllen (als die
einfachsten) genannte Anforderung am besten die Buchstaben. Deren An-
zahl ist allerdings eine geringe. Man hat dieselbe in's Unbegrenzte ver-
mehrt, indem man sie einerseits mit "Accenten" wie in a', a'', ... andrer-
seits mit angehängten Ziffern oder Zahlzeichen in Form von "Suffixen",
"Stellenzeigern" oder "Indices" versah, wie a1, a2, a3 etc.

Ungeachtet dieser Vermehrung des Vorrates an leidlich einfachen Zeichen
hat man aber vorgezogen, denselben keine ein für allemal feststehende Be-
deutung für den menschlichen Verkehr überhaupt beizulegen, sondern sie
zu vorübergehenden Bezeichnungszwecken sich verfügbar zu erhalten. Für
eigenartige Verwendung in bestimmten Spezialwissenschaften (ich erinnere
an die Zeichen für die chemischen Elemente), für diverse Untersuchungs-
gebiete und Untersuchungen (wie Buchstabenrechnungen) -- eventuell zu
beliebiger Verwendung -- sind die Buchstaben reservirt, also dass diese
gleichsam die Rolle spielen oder den Dienst zu versehen haben des "Mäd-
chens für Alles" in dem Haushalte -- mit Zeichen.

Zur Unterstützung des Denkens sowol als zur Darstellung und Be-
schreibung seiner Gesetze werden auch wir in der hier vorliegenden Spezial-
wissenschaft von dieser Gunst der Situation umfassenden Gebrauch machen
und zwar einen viel ernstlicheren, als es in Deutschland bei der einschlä-
gigen Literatur bislang üblich gewesen. Auch nehmen wir gelegentlich
das Vorrecht jeder Wissenschaft in Anspruch, sich für die eigenartigen ihrer
Betrachtung unterliegenden Objekte noch besondre zu deren Darstellung
vorzugsweise geeignete Zeichen zu schaffen.

Im übrigen sind wir aber nicht in der Lage, die Zeichen, deren unser
Denken bedarf, vollkommen frei nach unserm Gutdünken -- beschränkt
lediglich durch objektive Zweckmässigkeitsrücksichten -- willkürlich zu
wählen, sondern wir finden uns zunächst daran gebunden, aus einem bereits
vorhandenen Zeichenvorrat zu schöpfen, indem wir eben angewiesen sind
auf den historisch überkommenen Wörterschatz der Sprache.

p1) Von dem uns schon mit der Sprache gegebenen Zeichenvorrat,
mit welchem wir (also) in erster Linie zu rechnen haben, pflegen ein-
wörterige Namen die erwähnte erste der an das Zeichen zu stellenden
Anforderungen immerhin schon leidlich gut zu erfüllen.

Das hörbare und sichtbare Zeichen, als welches ein solcher Name
erscheint, zeigt sich nun dergestalt mit der Vorstellung verwachsen,
dass diese kommt, wenn das Zeichen ruft, sowie auch umgekehrt bei
der Vorstellung uns stets der Name einfällt -- Vorgänge, bei welchen
sogar, wie unter l1) auseinandergesetzt, die Vorstellung nicht selten

Einleitung.
würden, wären wir z. B. genötigt, den Namen jedes Vorzustellenden
immer erst in Stein zu meisseln!

Der unter λ1) erwähnten psychologischen Unterstützung, welche
das Denken aus dem Zeichen schöpft, würde es ohne diese Anforde-
rung grösstenteils verlustig gehen.

Von den Zeichen, über welche die Sprache verfügt, erfüllen (als die
einfachsten) genannte Anforderung am besten die Buchstaben. Deren An-
zahl ist allerdings eine geringe. Man hat dieselbe in's Unbegrenzte ver-
mehrt, indem man sie einerseits mit „Accenten“ wie in a', a'', … andrer-
seits mit angehängten Ziffern oder Zahlzeichen in Form von „Suffixen“,
Stellenzeigern“ oder „Indices“ versah, wie a1, a2, a3 etc.

Ungeachtet dieser Vermehrung des Vorrates an leidlich einfachen Zeichen
hat man aber vorgezogen, denselben keine ein für allemal feststehende Be-
deutung für den menschlichen Verkehr überhaupt beizulegen, sondern sie
zu vorübergehenden Bezeichnungszwecken sich verfügbar zu erhalten. Für
eigenartige Verwendung in bestimmten Spezialwissenschaften (ich erinnere
an die Zeichen für die chemischen Elemente), für diverse Untersuchungs-
gebiete und Untersuchungen (wie Buchstabenrechnungen) — eventuell zu
beliebiger Verwendung — sind die Buchstaben reservirt, also dass diese
gleichsam die Rolle spielen oder den Dienst zu versehen haben des „Mäd-
chens für Alles“ in dem Haushalte — mit Zeichen.

Zur Unterstützung des Denkens sowol als zur Darstellung und Be-
schreibung seiner Gesetze werden auch wir in der hier vorliegenden Spezial-
wissenschaft von dieser Gunst der Situation umfassenden Gebrauch machen
und zwar einen viel ernstlicheren, als es in Deutschland bei der einschlä-
gigen Literatur bislang üblich gewesen. Auch nehmen wir gelegentlich
das Vorrecht jeder Wissenschaft in Anspruch, sich für die eigenartigen ihrer
Betrachtung unterliegenden Objekte noch besondre zu deren Darstellung
vorzugsweise geeignete Zeichen zu schaffen.

Im übrigen sind wir aber nicht in der Lage, die Zeichen, deren unser
Denken bedarf, vollkommen frei nach unserm Gutdünken — beschränkt
lediglich durch objektive Zweckmässigkeitsrücksichten — willkürlich zu
wählen, sondern wir finden uns zunächst daran gebunden, aus einem bereits
vorhandenen Zeichenvorrat zu schöpfen, indem wir eben angewiesen sind
auf den historisch überkommenen Wörterschatz der Sprache.

π1) Von dem uns schon mit der Sprache gegebenen Zeichenvorrat,
mit welchem wir (also) in erster Linie zu rechnen haben, pflegen ein-
wörterige Namen die erwähnte erste der an das Zeichen zu stellenden
Anforderungen immerhin schon leidlich gut zu erfüllen.

Das hörbare und sichtbare Zeichen, als welches ein solcher Name
erscheint, zeigt sich nun dergestalt mit der Vorstellung verwachsen,
dass diese kommt, wenn das Zeichen ruft, sowie auch umgekehrt bei
der Vorstellung uns stets der Name einfällt — Vorgänge, bei welchen
sogar, wie unter λ1) auseinandergesetzt, die Vorstellung nicht selten

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[45/0065] Einleitung. würden, wären wir z. B. genötigt, den Namen jedes Vorzustellenden immer erst in Stein zu meisseln! Der unter λ1) erwähnten psychologischen Unterstützung, welche das Denken aus dem Zeichen schöpft, würde es ohne diese Anforde- rung grösstenteils verlustig gehen. Von den Zeichen, über welche die Sprache verfügt, erfüllen (als die einfachsten) genannte Anforderung am besten die Buchstaben. Deren An- zahl ist allerdings eine geringe. Man hat dieselbe in's Unbegrenzte ver- mehrt, indem man sie einerseits mit „Accenten“ wie in a', a'', … andrer- seits mit angehängten Ziffern oder Zahlzeichen in Form von „Suffixen“, „Stellenzeigern“ oder „Indices“ versah, wie a1, a2, a3 etc. Ungeachtet dieser Vermehrung des Vorrates an leidlich einfachen Zeichen hat man aber vorgezogen, denselben keine ein für allemal feststehende Be- deutung für den menschlichen Verkehr überhaupt beizulegen, sondern sie zu vorübergehenden Bezeichnungszwecken sich verfügbar zu erhalten. Für eigenartige Verwendung in bestimmten Spezialwissenschaften (ich erinnere an die Zeichen für die chemischen Elemente), für diverse Untersuchungs- gebiete und Untersuchungen (wie Buchstabenrechnungen) — eventuell zu beliebiger Verwendung — sind die Buchstaben reservirt, also dass diese gleichsam die Rolle spielen oder den Dienst zu versehen haben des „Mäd- chens für Alles“ in dem Haushalte — mit Zeichen. Zur Unterstützung des Denkens sowol als zur Darstellung und Be- schreibung seiner Gesetze werden auch wir in der hier vorliegenden Spezial- wissenschaft von dieser Gunst der Situation umfassenden Gebrauch machen und zwar einen viel ernstlicheren, als es in Deutschland bei der einschlä- gigen Literatur bislang üblich gewesen. Auch nehmen wir gelegentlich das Vorrecht jeder Wissenschaft in Anspruch, sich für die eigenartigen ihrer Betrachtung unterliegenden Objekte noch besondre zu deren Darstellung vorzugsweise geeignete Zeichen zu schaffen. Im übrigen sind wir aber nicht in der Lage, die Zeichen, deren unser Denken bedarf, vollkommen frei nach unserm Gutdünken — beschränkt lediglich durch objektive Zweckmässigkeitsrücksichten — willkürlich zu wählen, sondern wir finden uns zunächst daran gebunden, aus einem bereits vorhandenen Zeichenvorrat zu schöpfen, indem wir eben angewiesen sind auf den historisch überkommenen Wörterschatz der Sprache. π1) Von dem uns schon mit der Sprache gegebenen Zeichenvorrat, mit welchem wir (also) in erster Linie zu rechnen haben, pflegen ein- wörterige Namen die erwähnte erste der an das Zeichen zu stellenden Anforderungen immerhin schon leidlich gut zu erfüllen. Das hörbare und sichtbare Zeichen, als welches ein solcher Name erscheint, zeigt sich nun dergestalt mit der Vorstellung verwachsen, dass diese kommt, wenn das Zeichen ruft, sowie auch umgekehrt bei der Vorstellung uns stets der Name einfällt — Vorgänge, bei welchen sogar, wie unter λ1) auseinandergesetzt, die Vorstellung nicht selten

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/65>, abgerufen am 04.12.2024.