tigkeit, wie die Flamme des brennenden Körpers em- porgetragen. Die Psyche, von der Kälte der langen Nacht erstarrt, schlief noch ihren tiefen Schlummer unter den welken Blumen, bis der erste Frühlingsstrahl sie berührte, und die gebundnen Schwingen sich lösten, und die Befreyte frölich zurückkehrte in die alte Hey- math.
So lange in der thierischen, oder vielleicht selbst der thierisch menschlichen Natur der höhere Geist, wel- cher uns über die Kluft zwischen dem jetzigen und einem künftigen Daseyn hinüberführt, noch nicht erwachte, scheint es nach einer alten Meynung der Weltweisen, daß der Planet noch nicht sein Recht verlohren, und daß die Wesen durch den Tod nur in die Verwandlung einer neuen irdischen Form eingehen. Aber die Augen- blicke jener höheren Begeisterung, welche das mensch- liche Daseyn zu seinem höchsten Gipfel zu führen, und unser eigentliches Wesen erst zur Blüthe zu bringen scheinen, sind unsrer Natur nichts Fremdes, und öfters werden sie selbst in einer sonst irren und wüsten Natur gesehen. Wenn es auch nur ein Augenblick des Blü- hens wäre, dieser wird vielfältig in der menschlichen Natur gefunden, und mit Recht für die beste und see- ligste Zeit des Lebens gehalten.
Aber was ist es, wenn wir hierüber selbst nur das Gesetz der äußeren Natur befragen, was in der Natur der Wesen jene am tiefsten liegende Eigenschaft, jenen
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tigkeit, wie die Flamme des brennenden Koͤrpers em- porgetragen. Die Pſyche, von der Kaͤlte der langen Nacht erſtarrt, ſchlief noch ihren tiefen Schlummer unter den welken Blumen, bis der erſte Fruͤhlingsſtrahl ſie beruͤhrte, und die gebundnen Schwingen ſich loͤſten, und die Befreyte froͤlich zuruͤckkehrte in die alte Hey- math.
So lange in der thieriſchen, oder vielleicht ſelbſt der thieriſch menſchlichen Natur der hoͤhere Geiſt, wel- cher uns uͤber die Kluft zwiſchen dem jetzigen und einem kuͤnftigen Daſeyn hinuͤberfuͤhrt, noch nicht erwachte, ſcheint es nach einer alten Meynung der Weltweiſen, daß der Planet noch nicht ſein Recht verlohren, und daß die Weſen durch den Tod nur in die Verwandlung einer neuen irdiſchen Form eingehen. Aber die Augen- blicke jener hoͤheren Begeiſterung, welche das menſch- liche Daſeyn zu ſeinem hoͤchſten Gipfel zu fuͤhren, und unſer eigentliches Weſen erſt zur Bluͤthe zu bringen ſcheinen, ſind unſrer Natur nichts Fremdes, und oͤfters werden ſie ſelbſt in einer ſonſt irren und wuͤſten Natur geſehen. Wenn es auch nur ein Augenblick des Bluͤ- hens waͤre, dieſer wird vielfaͤltig in der menſchlichen Natur gefunden, und mit Recht fuͤr die beſte und ſee- ligſte Zeit des Lebens gehalten.
Aber was iſt es, wenn wir hieruͤber ſelbſt nur das Geſetz der aͤußeren Natur befragen, was in der Natur der Weſen jene am tiefſten liegende Eigenſchaft, jenen
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tigkeit, wie die Flamme des brennenden Koͤrpers em-
porgetragen. Die Pſyche, von der Kaͤlte der langen
Nacht erſtarrt, ſchlief noch ihren tiefen Schlummer
unter den welken Blumen, bis der erſte Fruͤhlingsſtrahl
ſie beruͤhrte, und die gebundnen Schwingen ſich loͤſten,
und die Befreyte froͤlich zuruͤckkehrte in die alte Hey-
math.
So lange in der thieriſchen, oder vielleicht ſelbſt
der thieriſch menſchlichen Natur der hoͤhere Geiſt, wel-
cher uns uͤber die Kluft zwiſchen dem jetzigen und einem
kuͤnftigen Daſeyn hinuͤberfuͤhrt, noch nicht erwachte,
ſcheint es nach einer alten Meynung der Weltweiſen,
daß der Planet noch nicht ſein Recht verlohren, und
daß die Weſen durch den Tod nur in die Verwandlung
einer neuen irdiſchen Form eingehen. Aber die Augen-
blicke jener hoͤheren Begeiſterung, welche das menſch-
liche Daſeyn zu ſeinem hoͤchſten Gipfel zu fuͤhren, und
unſer eigentliches Weſen erſt zur Bluͤthe zu bringen
ſcheinen, ſind unſrer Natur nichts Fremdes, und oͤfters
werden ſie ſelbſt in einer ſonſt irren und wuͤſten Natur
geſehen. Wenn es auch nur ein Augenblick des Bluͤ-
hens waͤre, dieſer wird vielfaͤltig in der menſchlichen
Natur gefunden, und mit Recht fuͤr die beſte und ſee-
ligſte Zeit des Lebens gehalten.
Aber was iſt es, wenn wir hieruͤber ſelbſt nur das
Geſetz der aͤußeren Natur befragen, was in der Natur
der Weſen jene am tiefſten liegende Eigenſchaft, jenen
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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/335>, abgerufen am 24.11.2024.
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