Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.einzige Auge, an dem das ihre noch glaubend hing, Die Seele soll sich in dem jetzigen, verkümmer- je- *) Gerhard Terstegens Auszug aus des Bernieres Lou-
vigni Schriften, Nürnberg 1809. einzige Auge, an dem das ihre noch glaubend hing, Die Seele ſoll ſich in dem jetzigen, verkuͤmmer- je- *) Gerhard Terſtegens Auszug aus des Bernieres Lou-
vigni Schriften, Nuͤrnberg 1809. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0100" n="90"/> einzige Auge, an dem das ihre noch glaubend hing,<lb/> hat ſich geſchloſſen, um ſie lauter Nacht, alles ſchweigt,<lb/> nur nicht der Spott der Welt, die ſie um des Einen<lb/> willen verlaſſen. „Aber wir weichen nicht! und wo-<lb/> hin ſollten wir weichen, iſt uns doch nichts mehr au-<lb/> ßer dir! Dieſe Liebe zu dir iſt unſterblicher Art, wie<lb/> du ſelber!“ <note place="foot" n="*)">Gerhard Terſtegens Auszug aus des <hi rendition="#aq">Bernieres Lou-<lb/> vigni</hi> Schriften, Nuͤrnberg 1809.</note> — Und ſiehe, die zagende Seele fin-<lb/> det ſich beym Erwachen aus ihren Schmerzen mitten<lb/> in Jenem ſelber befangen, den ſie bang geſucht, dem<lb/> ſie, als ſie ſich ihm am fernſten glaubte, am naͤchſten<lb/> war, und unmittelbar nach der Erſtarrung der kaͤlte-<lb/> ſten Morgenſtunde, erhebt ſich die waͤrmende Sonne.</p><lb/> <p>Die Seele ſoll ſich in dem jetzigen, verkuͤmmer-<lb/> ten Zuſtande, wieder eines hoͤheren und urſpruͤnglichen<lb/> — eines neuen, kuͤnftigen Lebens faͤhig machen. Ueber-<lb/> haupt muß ſich im Tode das Verhaͤltniß von neuem<lb/> umkehren; die (Geiſter)-ſprache des Traumes muß<lb/> wieder Sprache des wachen, gewoͤhnlichen Zuſtandes<lb/> werden. Wie koͤnnte aber dieſes geſchehen, ohne die<lb/> Seele in die groͤßte Gefahr und ſelbſt unmittelbar in<lb/> jenen Abgrund zu ſtuͤrzen, uͤber welchen ſie die Dop-<lb/> pelſeitigkeit ihrer jetzigen ſinnlichen Welt und eigenen<lb/> ſinnlichen Natur noch aufrecht erhaͤlt, (wovon ſpaͤter,)<lb/> wenn nicht vorher jenem unſterblichen Sehnen ſeine<lb/> urſpruͤngliche Bahn und das urſpruͤngliche Ziel ange-<lb/> wieſen wuͤrde. Es muß in dem jetzigen Daſeyn ein<lb/> Weg gefunden werden, auf welchem die Seele aus<lb/> <fw place="bottom" type="catch">je-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [90/0100]
einzige Auge, an dem das ihre noch glaubend hing,
hat ſich geſchloſſen, um ſie lauter Nacht, alles ſchweigt,
nur nicht der Spott der Welt, die ſie um des Einen
willen verlaſſen. „Aber wir weichen nicht! und wo-
hin ſollten wir weichen, iſt uns doch nichts mehr au-
ßer dir! Dieſe Liebe zu dir iſt unſterblicher Art, wie
du ſelber!“ *) — Und ſiehe, die zagende Seele fin-
det ſich beym Erwachen aus ihren Schmerzen mitten
in Jenem ſelber befangen, den ſie bang geſucht, dem
ſie, als ſie ſich ihm am fernſten glaubte, am naͤchſten
war, und unmittelbar nach der Erſtarrung der kaͤlte-
ſten Morgenſtunde, erhebt ſich die waͤrmende Sonne.
Die Seele ſoll ſich in dem jetzigen, verkuͤmmer-
ten Zuſtande, wieder eines hoͤheren und urſpruͤnglichen
— eines neuen, kuͤnftigen Lebens faͤhig machen. Ueber-
haupt muß ſich im Tode das Verhaͤltniß von neuem
umkehren; die (Geiſter)-ſprache des Traumes muß
wieder Sprache des wachen, gewoͤhnlichen Zuſtandes
werden. Wie koͤnnte aber dieſes geſchehen, ohne die
Seele in die groͤßte Gefahr und ſelbſt unmittelbar in
jenen Abgrund zu ſtuͤrzen, uͤber welchen ſie die Dop-
pelſeitigkeit ihrer jetzigen ſinnlichen Welt und eigenen
ſinnlichen Natur noch aufrecht erhaͤlt, (wovon ſpaͤter,)
wenn nicht vorher jenem unſterblichen Sehnen ſeine
urſpruͤngliche Bahn und das urſpruͤngliche Ziel ange-
wieſen wuͤrde. Es muß in dem jetzigen Daſeyn ein
Weg gefunden werden, auf welchem die Seele aus
je-
*) Gerhard Terſtegens Auszug aus des Bernieres Lou-
vigni Schriften, Nuͤrnberg 1809.
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