von jenem noch die hellen, glänzenden Farben an sich trug. Diese Farben verloschen aber nach und nach, und mit ihnen die Lebenskraft im Vogel. Dieser flog umher, zuerst um mein Haupt, dann in ein enges Zimmer, das einer Kapelle glich, und wie er mehr vorwärts flog, wich das Leben immer mehr von ihm, und er wurde endlich zu einem Stein, anfangs perl- farben, dann immer dunkler; ob er aber gleich kein Leben mehr hatte, so flog er doch immer. Als der Vogel noch um mein Haupt fleg, und noch in seiner Lebenskraft war, erschien ein Geist, welcher von un- ten, durch die Gegend der Lenden bis zur Brust auf- stieg, und wollte von da jenen Vogel wegnehmen. Weil dieser aber so schön war, verwehrten es die Geister die um mich waren, denn sie hatten alle ihr Gesicht mit mir zugleich auf die Erscheinung gerichtet. Er aber beredete sie, daß der Herr mit ihm sey, und daß er es aus dem Herrn thue, und obgleich die meisten es nicht glaubten, hinderten sie ihn nicht wei- ter. Weil aber in diesem Augenblick der Himmel sei- nen Einfluß gab, vermochte er nichts über den Vo- gel, sondern dieser entflog ihm frey. Indem dieß ge- schahe, redeten die Geister unter einander von der Bedeutung dieses Gesichts. Sie erkannten, daß die- ses nichts anders, als etwas Himmlisches habe an- zeigen können, und wußten daß das flammende We- sen die himmliche Liebe und deren Rührungen bedeute, die Hand: das Leben und seine Schöpferkraft, die Veränderung der Farben: die Verwandlungen des Le- bens durch Weisheit und Erkenntniß. Auch der Vo- gel bedeutet Liebe und deren Erkenntniß, aber wäh- rend das Flammende die himmlische Liebe: die Liebe
zu
von jenem noch die hellen, glaͤnzenden Farben an ſich trug. Dieſe Farben verloſchen aber nach und nach, und mit ihnen die Lebenskraft im Vogel. Dieſer flog umher, zuerſt um mein Haupt, dann in ein enges Zimmer, das einer Kapelle glich, und wie er mehr vorwaͤrts flog, wich das Leben immer mehr von ihm, und er wurde endlich zu einem Stein, anfangs perl- farben, dann immer dunkler; ob er aber gleich kein Leben mehr hatte, ſo flog er doch immer. Als der Vogel noch um mein Haupt fleg, und noch in ſeiner Lebenskraft war, erſchien ein Geiſt, welcher von un- ten, durch die Gegend der Lenden bis zur Bruſt auf- ſtieg, und wollte von da jenen Vogel wegnehmen. Weil dieſer aber ſo ſchoͤn war, verwehrten es die Geiſter die um mich waren, denn ſie hatten alle ihr Geſicht mit mir zugleich auf die Erſcheinung gerichtet. Er aber beredete ſie, daß der Herr mit ihm ſey, und daß er es aus dem Herrn thue, und obgleich die meiſten es nicht glaubten, hinderten ſie ihn nicht wei- ter. Weil aber in dieſem Augenblick der Himmel ſei- nen Einfluß gab, vermochte er nichts uͤber den Vo- gel, ſondern dieſer entflog ihm frey. Indem dieß ge- ſchahe, redeten die Geiſter unter einander von der Bedeutung dieſes Geſichts. Sie erkannten, daß die- ſes nichts anders, als etwas Himmliſches habe an- zeigen koͤnnen, und wußten daß das flammende We- ſen die himmliche Liebe und deren Ruͤhrungen bedeute, die Hand: das Leben und ſeine Schoͤpferkraft, die Veraͤnderung der Farben: die Verwandlungen des Le- bens durch Weisheit und Erkenntniß. Auch der Vo- gel bedeutet Liebe und deren Erkenntniß, aber waͤh- rend das Flammende die himmliſche Liebe: die Liebe
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von jenem noch die hellen, glaͤnzenden Farben an ſich
trug. Dieſe Farben verloſchen aber nach und nach,
und mit ihnen die Lebenskraft im Vogel. Dieſer flog
umher, zuerſt um mein Haupt, dann in ein enges
Zimmer, das einer Kapelle glich, und wie er mehr
vorwaͤrts flog, wich das Leben immer mehr von ihm,
und er wurde endlich zu einem Stein, anfangs perl-
farben, dann immer dunkler; ob er aber gleich kein
Leben mehr hatte, ſo flog er doch immer. Als der
Vogel noch um mein Haupt fleg, und noch in ſeiner
Lebenskraft war, erſchien ein Geiſt, welcher von un-
ten, durch die Gegend der Lenden bis zur Bruſt auf-
ſtieg, und wollte von da jenen Vogel wegnehmen.
Weil dieſer aber ſo ſchoͤn war, verwehrten es die
Geiſter die um mich waren, denn ſie hatten alle ihr
Geſicht mit mir zugleich auf die Erſcheinung gerichtet.
Er aber beredete ſie, daß der Herr mit ihm ſey, und
daß er es aus dem Herrn thue, und obgleich die
meiſten es nicht glaubten, hinderten ſie ihn nicht wei-
ter. Weil aber in dieſem Augenblick der Himmel ſei-
nen Einfluß gab, vermochte er nichts uͤber den Vo-
gel, ſondern dieſer entflog ihm frey. Indem dieß ge-
ſchahe, redeten die Geiſter unter einander von der
Bedeutung dieſes Geſichts. Sie erkannten, daß die-
ſes nichts anders, als etwas Himmliſches habe an-
zeigen koͤnnen, und wußten daß das flammende We-
ſen die himmliche Liebe und deren Ruͤhrungen bedeute,
die Hand: das Leben und ſeine Schoͤpferkraft, die
Veraͤnderung der Farben: die Verwandlungen des Le-
bens durch Weisheit und Erkenntniß. Auch der Vo-
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rend das Flammende die himmliſche Liebe: die Liebe
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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/106>, abgerufen am 16.07.2024.
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